Keine feine Gesellschaft. Olaf Kolbrück. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Olaf Kolbrück
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783741868252
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schnell sie gegenüber Kerner wieder in den knappen Stil informellen Austausches geriet, den sich beide in langen Jahren im Büro angewöhnt hatten.

      »Eva, du bist nicht mehr im Dienst.«

      »Und wieso bist du hier? Das ist doch eigentlich Aufgabe der Hofheimer Kollegen.«

      »Ihnen fehlen die Leute. Grippewelle. Und der Rest ist im Urlaub oder feiert Überstunden ab. In Hofheim sitzt wohl im Moment nur eine Kommissaranwärterin. Die wollten sie wohl noch nicht in die freie Wildbahn lassen.«

      »Also sag schon, wann und womit ist er umgebracht worden? Vielleicht hab ich auch was für dich. Ich wette, der Tote hatte keine Papiere. Wer sich die Mühe macht, jemanden in eine solche Gartenbox zu quetschen, ist auch geistesgegenwärtig genug, die Papiere verschwinden zu lassen. Also, wisst ihr schon, wer es ist?«

      »Eva, lass die Spielchen. Du bist Zivilistin.« Er stemmte die Arme in die Hüfte. Sie konnte das Knurren hören, dass sich in seinem Kehlkopf anstaute und herauswollte.

      »Wir haben ihn immerhin gefunden. Du weißt, dass wir damit nicht hausieren gehen. Information gegen Information. Das spart dir ein paar Stunden Arbeit. Ansonsten weiß ich von nichts. Ich bin Zivilistin, eine einfache Bürgerin.«

      Als Karrierist hatte Kerner ein gutes Gespür, wann er anderen auf die Füße treten musste, und wann er besser für gutes Klima sorgte. Er öffnete seinen Sakko, um ein wenig lockerer zu wirken und machte eine wegwischende Handbewegung.

      »Jetzt sei bitte nicht eingeschnappt, Eva. Wir können doch normal miteinander reden.«

      Für einen Augenblick entspannten sich die Mienen. Eva registrierte, dass man sogar den Frühling riechen konnte, nachdem die Pfeife von Wim ausgegangen war. Ein Sekunde später hätte sie die kalte Pfeife Kerner liebend gerne an den Kopf geworfen.

      »Versprich mir nur, dass du jetzt nicht anfängst, als hessische Miss Marple durchzustarten.«

      Sie warf ihm einen Blick zu, den er aus Verhören nur zu gut kannte. Für den Verdächtigen wurde es dann meist bis an die Grenzen des rechtlich Möglichen unbequem.

      »Miss Marple?« Sie zischte es mehr, als das sie es sagte. »Du bist heute wieder sehr charmant.« Sie schnaubte übertrieben laut. Auch weil sie sich selbst in letzter Zeit zunehmend als etwas fülliger empfunden und deshalb den Entschluss gefasst hatte, endlich einmal wieder etwas abzunehmen, bevor sie wirklich eines fernen Tages aussehen würde wie eine alte Schachtel. Dann hatte sie über die Gedanken an die paar überflüssigen Pfunde nur gelacht. Als wenn sie keine anderen Sorgen hätte. Aber umso empfindlicher reagierte sie nun auf Bemerkungen, die sie an einer wunden Stelle trafen.

      »Davon bin ich ja wohl noch dreißig Jahre entfernt. Mindestens. Oder sehe ich aus wie jemand, der sich die Haare lila ondulieren lässt?«

      Kerner schluckte und Voss versteckte sein Grinsen hinter der Pfeife.

      »Sorry. Du weißt, wie ich das meinte.« Er überlegte einen Moment. »Tatzeit wahrscheinlich irgendwann gestern zwischen 21 Uhr und Mitternacht. Vermutlich eine Automatik. Der Schuss kam von hinten. Du hast ihn doch da liegen gesehen. Ich sag dir doch sicher nichts Neues?«

      »Ich wollte nur sicher sein.«

      »Er muss hier in der Kleingartenanlage erschossen worden sein. Wahrscheinlich da vorne auf dem Weg.« Er deutete ungefähr in die Richtung. »Ich habe Blut und Schleifspuren gefunden. Dann hat der Täter vermutlich nach einem Versteck gesucht und die Leiche in die Truhe gelegt.«

      »Zeugen?«

      »Ich habe einen Kollegen zum Vereinsvorsitzenden geschickt.«

      »Der wird Ihnen sagen, dass die Deponierung von Leichen in der Anlage gegen die Satzung verstößt«, unterbrach ihn ein grinsender Wim Voss.

      Kerner stemmte die Hände in die Hüfte und zog die Mundwinkel nach unten.

      »Ich lasse noch die Mitglieder befragen. Vielleicht war noch einer von ihnen spätabends hier. Womöglich haben auch die Nachbarn in der Wohnsiedlung etwas gesehen. Ich habe ein paar Leute losgeschickt. Aber bei diesen fürchterlich hohen Hecken hier rund um die Anlage habe ich wenig Hoffnung. Was treibt denn so ein Kerl nachts hier im Kleingarten? Im Business-Anzug. Das ist doch wohl nicht der passende Aufzug.«

      Missmutig sah er Voss an, als wollte er dessen verschlissenen Aufzug mit dem des Toten vergleichen. Kerner verschränkte die Arme vor der Brust. »Vielleicht findet die Spurensicherung ja doch noch etwas. Viel Hoffnung habe ich nicht. Es hat heute Nacht geregnet. Falls es auf dem Weg weitere Spuren gibt, werden die kaum zu gebrauchen sein. Auch sonst Fehlanzeige. Es ist nichts da. Keine Papiere, keine Autoschlüssel. Nichts. Das wird eine elendige Arbeit.« Er hüstelte.

      »Ich kann dir ein wenig weiterhelfen« sagte Eva selbstzufrieden. »Der Tote ist Jens Lücker. Eurobest-Bank. Anfang 30 und schon die Nummer 2 dort. Ein top Fondsverwalter. Brachte der Bank viel Geld ein. Ziemlich gut vernetzt und verdrahtet. Er saß im Vorstand verschiedener Hilfsorganisationen, war Mitglied im Golfclub, Reitclub, Rotarier, das übliche halt, wenn man Networking betreibt. Mit unserem Polizeipräsidenten soll er schon manche Runde auf dem Golfplatz gedreht haben. Ich habe mir kürzlich erst ein Dossier über ihn bei uns im Büro angesehen, nachdem ich ihn mit seinem Chef auf einer dieser Stehpartys getroffen habe. Du weißt ja: lokale Prominenz, Geldadel, Politiker. Das sind seine Kreise. Der Fall schreit geradezu nach Fettnäpfchen. Einmal falsch aufgetreten und schon hat deine Personalakte einen Fleck. Ich wünsche dir viel Spaß dabei. Du weißt ja, wie sensibel dein Chef bei solchen Fällen wird. Rück schon mal die Krawatte gerade.«

      Sie spürte, dass sie Spaß daran hatte, Kerner ein wenig zu piesacken. Er hustete mehrmals. Sie ließ ihn stehen.

      3. Kapitel

      Der Briefkasten an der Hoftür, eine umgebaute Kuckucksuhr, die ihr Ex-Mann hinterlassen hatte, war leer. Wieder kein Ergebnis von der Biopsie. Ob sie in der Klinik anrufen sollte? Vielleicht später. Vielleicht auch nicht. »Wahrscheinlich ist es dir ganz recht. Du willst es doch gar nicht so genau wissen«, hätte ihre Tochter Corinna gesagt. Eva wischte den Gedanken beiseite. Was wusste sie schon mit ihren knapp 18 Jahren über ihre Mutter und das Leben? Zu viel. Besser nicht weiter darüber nachdenken. Sie war nicht in der Stimmung, ihrer Tochter recht zu geben. Nicht einmal in aller Stille.

      War Corinna zu Hause? Eva warf den Schlüssel auf den Altarschrank in der Diele, den sie einmal bei einem alten Pfarrer im Hintertaunus abgestaubt hatte. Abgestaubt war eigentlich nicht das richtige Wort. Er hatte ihn ihr aufgedrängt, als er ihren begehrlichen Blick auf das barocke Stück bemerkt hatte. Sie war beim Pfarrer im Zuge eines Falles auf ein paar kleine Ungereimtheiten gestoßen. Die Kommode sollte ihren Blick auf die Sünden des Pfarrers verstellen, die mit zwei Ave Maria allein kaum aus der Welt waren. Weil es aber auch zivilrechtliche Sünden waren, sollte die Kommode als Ablass dienen. Eva Ritter hatte ihm Absolution erteilt, weil von seinen finanziellen Mauscheleien die Kinder in der Gemeinde profitierten. Diese Art von Ungehorsam fand Eva nicht unbedingt strafbar. Den Altarschrank hatte sie trotzdem akzeptiert und an die Stelle des abgeblätterten Triptychon einen Spiegel installiert.

      Wie eine Heilige sah sie darin heute wirklich nicht aus.

      Ihre halb langen schwarzen Haare waren zerzaust. Unter ihren grünen Augen zeigten sich Tränensäcke, so blass wie zerlaufener Joghurt. Aber die hatten ihr noch nie gefallen. Sie zog ihre schmale Nase kraus und verzog dann ihren breiten Mund zu einer Schnute. Sie überlegte kurz, ob sie Lippenstift auflegen sollte, um etwas frischer zu wirken. Aber sie hatte sich nie viel aus Schminke gemacht und außer ein wenig Wimperntusche benutzte sie Make-up nur bei wichtigen Geschäftsterminen. Stattdessen ballte sie die Hände zu Fäusten und rieb sich damit über ihre hochstehenden Wangenknochen. So kam wenigstens etwas Farbe in ihr Gesicht. Schon besser. Sie verzog ihre Lippen zu einem Lachen, dass bis an ihre angewachsenen Ohrläppchen reichte. »Du bist 42, und siehst auch so aus«, sagte sie zum Spiegel. »Betrachte das als Erfolg.«

      Sie ging die Treppe hinauf in die obere Etage, wo Corinna ihr Zimmer hatte. Sie klopfte. Nach einem zustimmenden Brummen steckte sie den Kopf hinein. Ihre Tochter saß über ein Buch gebeugt am Schreibtisch