»Ganz ruhig. Und nichts mehr anfassen.«
»Ich bewege mich doch schon gar nicht mehr.«
Was sachlich nicht völlig korrekt war, wie sie bemerkte. Er zitterte. Eva seufzte kurz Richtung Feldberg, vor dem gerade zwei Krähen vorüberzogen, um sich auf dem Feld neben der Kleingartenanlage niederzulassen.
Sie wusste, wenn sie länger über die Situation nachdachte, würde sie richtig sauer werden. Falsch. Sie war es schon. Natürlich sollte sie diese Leiche nicht persönlich nehmen. Zufall. Niemand hatte die Leiche dort deponiert, damit genau sie sie fand. Trotzdem. Sie nahm es persönlich. Sie war hier. Die Leiche lag dort in der Box und sie würde den Mörder finden. Das würde sie sich nicht gefallen lassen. Im Kleingarten ihrer Freunde und in ihrer Nachbarschaft, gewissermaßen vor der Haustür, legte niemand eine Leiche ab. Jedenfalls niemand, dem sie nun nicht lebenslänglich Zeit dafür verschaffen würde, über seinen Fehler nachzudenken.
Sie hakte eine Hand unter den Ellbogen von Wim und zog ihn mit kleinen Schritten rückwärts langsam von der Box und der Leiche weg. Als sie die Steinterrasse vor der Laube unter den Schuhen spürte, hielt sie an und ließ ihn los. Neben ihr atmete Voss tief durch.
Für jemanden mit seiner Vergangenheit, stellte er sich ihrer Meinung nach extrem wehleidig an. Männer. Weiter dachte sie den Gedanken nicht.
»Mein Gott, sehen Mordopfer immer so aus? So tot? So zugerichtet? Es war doch Mord? Ich muss was trinken. Willst du auch was trinken?«
Die Fragen stolperten Wim Voss regelrecht über die Lippen.
»Freiwillig ist er bestimmt nicht da hinein geklettert.«
Sie sah wie Wim zusammenzuckte, während er in die Hütte schlurfte, um sich etwas zu trinken zu holen.
»Und dieser Tote sieht sogar noch passabel und vorzeigbar aus«, rief sie ihm hinterher. »Jedenfalls bis er die Obduktion hinter sich hat«, fügte sie mehr zu sich selbst hinzu.
»Was sagtest du?«
Voss reichte ihr eine Cola.
»Nicht wichtig. Schnapp dir dein Handy. Du musst meine Ex-Kollegen anrufen.«
Sein Dackelblick sagte: »Kannst du?«
Eva nickte, kramte nach dem Handy in ihrer Jackentasche und sah hinüber zu den Krähen auf dem Feld.
»Bin ich denn jetzt verdächtig? Ich war es nicht. Ich hab ihn nicht umgebracht und auch nicht da hineingelegt. Ich kenne den Knaben nicht einmal.«
»Ich kenne ihn aber. Und ich wundere mich, wie der Mensch hier her kommt und was er in dieser Anlage wollte. Mit Tulpenzwiebeln hatte er nichts am Hut.«
Das Telefonat war kaum beendet, da spürte Eva, dass Wim ein wenig herumdruckste.
»Da wäre noch was«, sagte er.
»Erzähl schon«.
»Deine Kollegen werden doch sicher so etwas wie eine Hausdurchsuchung in der Bude hier machen. Womöglich nehmen sie mich auch für ein Protokoll auf die Wache?«
»Man nennt das Routine«. Es sollte ein Witz sein, doch Voss lachte nicht.
»Wo ist das Problem?«
»Ich hab da noch ein wenig Haschisch im Häuschen.« Wim sah Eva ein wenig schuldbewusst an.
»Wie viel?«
»Ausreichend.«
»Wofür?«
»Ein Jahr mindestens.«
»Ein Jahr Knast?«
»Das weiß ich nicht. Die Menge reicht bis Ende des Jahres. Ich kaufe immer in einem Schwung. Alles andere ist mir zu lästig. Aber natürlich nur für den Eigenbedarf.« Sein Blick war eine Mischung aus Schalk und ehrlichem Flehen.
Eva war nun klar, worauf er hinaus wollte.
»Du hast Angst, dass dein kleines Hasch-Depot auffliegt. Und du meinst, ich solle dein Haschisch an mich nehmen, weil die Kollegen mich wohl kaum filzen werden.«
Wim nickte eifrig und sein Schnäuzer wippte dabei synchron mit dem vorgeschobenen Bauch und gab ihm eine gewisse Ähnlichkeit mit einer Robbe, die mit aufforderndem Kopfwackeln auf Fisch hofft.
»Ich dachte immer, deine buddhistische Ruhe hat allein natürliche Ursachen.«
»Hat sie auch. Aber auch der Dalai Lama hat bestimmt so seine kleinen Schwächen. Außerdem trinke ich keinen Alkohol, wie du weißt. So gleicht sich alles wieder aus.«
»Bring schon her. Ich stecke es ein. Die Kollegen würden am Ende nur Haschkekse daraus machen, wenn sie die lausigen konfiszierten paar Tütchen mal wieder an der Vernichtung vorbeischleusen.«
Sie spürte, wie Wim sie zweifelnd anschaute.
»Ja, was dachtest du denn? Da arbeiten doch keine Chorknaben. Wenn sie ein paar harmlose Gramm ohne Aufsehen abzweigen können, wird damit die nächste Feierabendsause gesponsert.«
2. Kapitel
Eva Ritter bekam eine Gänsehaut, als sie das Glockengeläut aus der Stadt herüberwehen hörte. Wie eine surreale Filmmusik zur Arbeit der Spurensicherung am Tatort. Eva stand abseits am Zaun und sah nur die Rücken der Männer, die um die Leiche herum standen, Nummern auf dem Boden verteilten, Fotos machten und hier und da kleinere Fundstücke in Tüten packten. Zum ersten Mal seit ihrem Abschied aus dem Dienst spürte Eva fast körperlich, dass sie nicht mehr dazu gehörte. Als ihr Ex-Kollege Bernd Kerner mit der üblichen zynischen Miene in der Kleingartenanlage eintraf, hatte er sie freundlich aber bestimmt gebeten, Abstand zu halten. Eigentlich war er dabei weniger nett gewesen. Eva wusste genau, wie sein Grummeln gemeint war. Sie hatte schließlich lange genug mit ihm zusammengearbeitet.
»Glaubst du, sie verdächtigen mich?«, fragte Wim Voss. Er saß neben ihr auf der Holzbank vor der Gartenlaube und versuchte, nicht allzu neugierig auf die Männer von der Spurensicherung zu starren. Er kramte ein Päckchen Tabak aus der Hosentasche und stopfte sich eine alte, abgegriffene Pfeife.
»Wenn schon, verdächtigen sie mich nicht weniger als dich. Wer die Leiche findet, ist in den seltensten Fällen der Mörder. Das weiß auch Kerner. Er ist nicht dumm. Nur extrem ehrgeizig.«
Wim Voss zündete den Tabak an und zog zweimal kräftig an der Pfeife.
»Das sieht man ihm an. Ganz schön drahtig dein Ex-Kollege. Hartes Kinn. Weicher Kern?«
Eva schüttelte den Kopf. Zum ersten Mal sah sie sich ihren ehemaligen Partner bei der Mordkommission als Unbeteiligte an. Wim hatte recht. Die Energie sprühte Kerner aus jedem Knopfloch seines perfekt sitzenden Anzugs. Selbst der Knoten der Krawatte wirkte wie mit dem Winkelmesser gezogen. Man hätte ihn auch für einen eiligen Börsenmakler zwischen zwei Terminen halten können. Als Kommissar in einem ›Tatort‹ wäre er in diesem Aufzug eine glatte Fehlbesetzung gewesen. Selbst Derrick hätte sich gegenüber Kerner zumindest ein wenig ungepflegt gefühlt.
An Voss und Ritter war Kerner zunächst im Stechschritt, die vom frechen Wind verwirbelten Haare glatt streichend, vorbeimarschiert. Ein knappes »Zu euch komme ich später« musste als Gruß genügen. Er hatte dabei nicht einmal seine Brille mit den getönten grünen Gläsern abgesetzt. Ebenso wenig wie sich sein breites Grinsen nur einen Moment verändert hatte. Eva hatte das schon immer eigenartig gefunden. Kerner hatte es sogar aufgesetzt, wenn er einen Bericht anfertigte. Wahrscheinlich hatte er es sich bei einem dieser toughen Detektive im Kino abgeguckt und regelmäßig vor dem Spiegel geübt. Sie wunderte sich nur, warum Kerner hier war. Genau wie sie einst, saß er in der Kriminaldirektion in Frankfurt. Für Eschborn waren aber die Hofheimer Kollegen zuständig.
Er agierte jetzt ganz anders als früher zusammen mit Eva Ritter. Sie hatte ihn regelrecht zur Langsamkeit gezwungen, hatte immer ein bedächtiges Tempo eingeschlagen, mit dem sie jeden Zeugen und Verdächtigen beinahe einschläferte. Das war auch