Die Servator Verschwörung. Jürgen Ruhr. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jürgen Ruhr
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742743503
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er anhand eines Stadtplans eine günstige, in der Nähe gelegene Pension und eine Bank ausfindig machen. Jetzt bereute er, diese Dinge nicht schon von Amerika aus geklärt zu haben. Aber ehrlich gesagt hatte er auch nicht damit gerechnet, hier direkt so eingespannt zu werden. Vielleicht ließ Fellger ihn ja ein wenig früher gehen, so dass er noch etwas erledigen konnte.

      Die Blonde kam erst fünfundvierzig Minuten später zurück. Entweder befand sich der Chinese doch weiter entfernt als gedacht, oder sie legte die Pausenzeiten sehr großzügig aus. Dafür waren die Nudeln lieblos in eine Pappschachtel gequetscht und ziemlich kalt. Ron nahm sich vor, zukünftig auf dieses chinesische Essen zu verzichten.

      Seine Arbeit dagegen zeigte deutliche Fortschritte. Auch hatte er inzwischen ein Zimmer in einer kleinen Pension bekommen können. Und das noch nicht einmal sehr weit von der Redaktion entfernt. Es befand sich sogar eine Bank auf dem Weg zu seiner neuen Unterkunft, so dass er sich ebenfalls mit Bargeld würde versorgen können.

      Den Rest der kalten Nudeln entsorgte er schließlich im Papierkorb. Dann wandte er sich den Aufgaben zu, die eigene Recherchen erforderten. Hierbei handelte es sich ausschließlich um lokale Ereignisse. Ein Fußballspiel irgendeiner unbekannten Mannschaft gegen einen ebenso wenig bekannten Gegner, die Eröffnung einer Ausstellung impressionistischer Bilder eines Berliner Künstlers, das Konzert einer Laienmusikergruppe oder irgendein Straßenfest. Der interessanteste Termin schien noch die Gerichtsverhandlung gegen einen Einbrecher zu sein. Ron notierte sich die Daten. Es würde genügen, bei allen Veranstaltungen jeweils kurz anwesend zu sein und ansonsten den Rest seiner Phantasie zu überlassen. Er seufzte. Sicher: Er hatte nicht erwartet, besonders anspruchsvolle oder interessante Themen vorzufinden. Das würde hier kaum anders sein, als in New York. Aber Ron wusste auch, dass es die spontanen und plötzlich geschehenden Dinge waren, die seinen Beruf erst interessant machten. Ein Überfall, ein Unfall oder einfach die selbstlose und aufopfernde Hilfsleistung eines Menschen. Dinge, über die es sich zu berichten lohnte. Wie in New York würde es auch hier in Berlin an diesen Vorfällen kaum mangeln.

      Wider Erwarten zeigte sich Fellger großzügig und gab ihm den Rest des Nachmittags frei. Ron wollte dem Chefredakteur noch seine Ergebnisse und die Aktualisierung der Onlineseite präsentieren, doch der winkte lediglich ab. Dabei gab er sich alle Mühe, seine Rotweinfahne zu verbergen.

      Ronald lernte seine neuen Kollegen am nächsten Morgen kennen, auch wenn der kranke Egon Müller noch fehlte. Die Begrüßung fiel freundlich aus, man konnte merken, dass die beiden froh waren, Verstärkung zu bekommen. „Ronald Nayst“, stellte er sich vor.

      „Dirk Meizel, du kannst Dirk zu mir sagen.“

      „Zinad Changa, für dich Zinad.“

      Sie schüttelten sich die Hände. „Okay“, grinste Ronald, „für euch Ronald oder besser Ron. So nennen mich meine Freunde.“ Sie unterhielten sich noch eine Weile und Ron beschloss, dass die beiden eindeutig zum netten Teil der Belegschaft gehörten.

      Die kleine Pension, die er sich tags zuvor ausgesucht hatte, erwies sich als Glücksgriff. Es handelte sich um ein Stadthaus, gerade einmal vier Straßen von der Redaktion entfernt und zu Fuß gut zu erreichen. Eine ältere, sehr freundliche Dame, wies ihm ein großzügiges Zimmer im ersten Stock zum Hof hinaus zu. Dabei betonte sie mehrere Male, dass es sich um das schönste und ruhigste Zimmer handele. Ron war zufrieden. Der Raum war hell, modern möbliert und sehr gepflegt. Es stand ihm ein Fernseher zur Verfügung und das Haus verfügte sogar über einen Internetzugang. Selbst ein kleiner Safe befand sich ein wenig versteckt in einem der Schränke. Ron würde eine eigene Zahlenkombination einstellen können, müsste aber beim Auszug diese wieder löschen. Und ein umfangreiches Frühstücksbuffet würde er morgens in dem kleinen Gemeinschaftsraum vorfinden. Er verstand sich mit der kleinen, älteren Frau auf Anhieb prächtig.

      Am nächsten Tag klopfte Ron, kurz bevor der Chefredakteur wieder in seine verfrühte Mittagspause verschwand, an dessen Bürotür. Nach einem unwirschen ‚Herein‘ betrat er den Raum.

      „Herr Nayst, was kann ich für sie tun?“

      „Es geht um meine Termine. Ich habe mir die Themenvorgaben angesehen und ich mü...“

      Fellger unterbrach ihn: „Völlig freie Hand, mein Lieber. Sie haben völlig freie Hand. Und arbeiten sie selber einmal weitere Themen aus. Am besten sie schauen einmal in die lokale Presse, was hier so los ist.“ Fellger lachte leise. „Ich kann ihnen zwar hin und wieder Themen vorgeben, aber sie sind ja ein großer Junge ...“ Wieder lachte er. Dann sah er Ron fragend an: „Oder ist sonst noch etwas?“

      Ron schüttelte den Kopf: „Nein, nein. Ich wollte lediglich die Termine mit ihnen durchsprechen.“

      „Freie Hand. Machen sie ihre Arbeit und so lange alles flutscht ...“ Auch diesen Satz ließ der Chefredakteur unbeendet. Ron stellte sich vor, dass der Mann seine Artikel ebenfalls unbeendet lassen würde. Aber da hatte Fellger ihn schon wieder hinauskomplimentiert.

      ‚Auch gut‘, dachte Ron. ‚Völlig freie Hand‘. Aber was war mit den Redaktionssitzungen? Er wusste, dass die Kollegen gestern am späten Nachmittag noch die heutige Ausgabe besprochen hatten. Musste er als Onlineredakteur nicht daran teilnehmen? Bisher war das bei allen Zeitungen, bei denen er gearbeitet hatte, der Fall gewesen. Ron schüttelte den Kopf und nahm sich vor, Fellger beim nächsten Mal darauf anzusprechen.

      Doch zunächst wartete ein Berg Arbeit auf ihn. Der erste Termin auf seiner Liste war die Vernissage eines unbekannten Berliner Künstlers. Der Veranstalter hatte im Vorfeld alle ihm bekannten Pressestellen informiert und es auch nicht versäumt, Funk und Fernsehen auf das bevorstehende Ereignis hinzuweisen. Ron traf genau zu Beginn der Veranstaltung, die in einer kleinen Galerie in einer Berliner Seitenstraße stattfand, ein. Gerade einmal ein Dutzend Leute scharrten sich um einen Tapeziertisch, der mit einer weißen Decke als Getränkebuffet diente. Auf dem Tisch standen halbvolle Sektkelche aus Plastik. Der Redakteur sah sich um. Es hatte nicht den Anschein, als wären irgendwelche Kollegen anderer Zeitungshäuser anwesend. Auch vom Radio oder Fernsehen schien niemand anwesend zu sein.

      Eine Frau mittleren Alters, die sich als Veranstalterin zu erkennen gab, hielt eine kurze Rede, in der sie immer wieder das herausragende Talent des Künstlers hervorhob. Dann nötigte sie ein kleines, dürres Männchen zu sich, das sich als der Künstler vorstellte. Mit piepsiger Stimme wiederholte der einige Worte seiner Vorrednerin und fügte anschließend hinzu, dass alle Bilder zum Verkauf freistünden. „Ich freue mich, dass ihr so zahlreich erschienen seid“, piepste er und hob sein Plastikglas. „Das Buffet ist eröffnet. Und - ach ja“, er sah Ronald mit einem treuherzigen Dackelblick an, „ich danke auch der Presse für ihre Anwesenheit. Prost!“

      Die Gäste, die dem Vortrag nur mit einem halben Ohr zugehört hatten, wurden beim letzten Wort aufmerksam, hoben ebenfalls die Gläser und schütteten den Sekt in sich hinein. Ronald schoss derweil mit einer kleinen Digitalkamera mehrere Fotos. Schon kam die ältere Dame mit dem Künstler im Schlepptau zu ihm. „Sie sind von der Presse“, stellte sie unnötigerweise fest. Ron nickte nur.

      „Das ist der Künstler, Hermann Dööppel. Doppel Ö und doppel P. Dass sie mir den Namen ja auch richtig schreiben! Dööppel. Und nun zu ihren Fragen, der Künstler wird ihnen alles gerne beantworten.“

      Ron stellte einige Standardfragen, ließ sich ein Glas unheimlich klebrig schmeckenden Sekt aufdrängen und fotografierte noch einmal den Künstler mit seiner Veranstalterin. Dann schoss er noch einige Fotos der ausgehängten Bilder. Endlich stand er wieder draußen auf der kleinen Straße. Nun, bei allem Zynismus, den er in seinen Artikeln sonst an den Tag legen konnte - über dieses arme Würstchen von Künstler würde er doch eher positiv berichten. Das nahm er sich vor. Und wenn nicht positiv, so doch wenigstens neutral. Der Mann war ja nicht unsympathisch gewesen.

      Die Tage vergingen wie im Flug, Ron war mit seiner Aufgabe sehr gut beschäftigt, zumal Maike sich wohl ausschließlich der Kaffeezubereitung zu widmen schien. Aber die Gestaltung der Onlineseite kam gut voran. Es würde bald Zeit werden, mit Fellger über einen zweiten Onlineredakteur zu sprechen, der nach Rons Rückkehr in die Staaten den Job hier übernehmen könnte. Doch noch war keine Eile geboten.

      Der