Tote Gäste. Elisa Scheer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elisa Scheer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783737562577
Скачать книгу
Schmitt, das – und das – und ja, das da auch, das müsste bis zum Meeting fertig sein.“

      Ich stöhnte. Das war´s dann mit dem Hochgefühl!

      Immerhin schleppte ich den ganzen Haufen brav in die Sitzung. Was an manchen dieser Unterlagen so dringend sein sollte, war mir nicht ganz klar geworden – Fortbildung, eine mögliche Beförderung, die Frage, wie viele Lehrstellen wir zum Herbst anbieten konnten, und diverse Schreiben, die zum Teil auf nicht nachvollziehbaren Wegen bei mir gelandet waren. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass alle sagten: „Was ist denn das für ein Blödsinn? Werfen wir´s doch der Engelmann in die Post!“

      Manches verteilte ich im Meeting mit süffisantem Grinsen wieder an die anderen – und mit besonderem Genuss schob ich eine Einladung zu einem Juristenkongress quer über den Tisch zu Rosen: „Das dürfte Sie ja wohl eher betreffen.“ Er zog ein Gesicht. „Am zwanzigsten kann ich nicht.“

      Ich zuckte die Achseln. „Sie müssen ja nicht hinfahren, aber in meiner Post hat das auch nichts zu suchen.“

      Wir feilschten um die Lehrstellenzahl, hörten den Betriebsrat zum Fall Uhlmann (keine Einwände, woher auch), arbeiteten etlichen Kleinkram ab und waren relativ pünktlich fertig. „Ob wir für die neue Produktpalette noch Mitarbeiter brauchen, klären wir am Montag“, verkündete Schmitt im Aufstehen, was ihm von Mönsche einen verblüfften Blick eintrug. Als ich wieder in meinem Büro war, kam die Reichle angeschossen. „Die Uhlmann war da!“

      „Was hier oben?“

      „Nein, in ihrem alten Büro. Die Teck war geistesgegenwärtig genug, ihr den Schlüssel abzunehmen, das hatte sie gestern wohl vergessen. Die Uhlmann hat rumgekräht, dass es eine Frechheit ist, sie zu feuern, obwohl sie gar nichts gemacht hat.“

      „Gar nichts gemacht trifft wohl eher auf ihre Arbeitsleistung zu“, murmelte ich. „Ist sie dann friedlich gegangen?“

      „Ja, nach wüsten Drohungen gegen alle, die, die sie verpetzt haben, die, die sie gefeuert haben, die, die das nicht verhindert haben. Und natürlich alle die, die jetzt blöde grinsen, denen wird es noch besonders leidtun.“ Sie grinste schief.

      „Also alle Welt. Na, da hat sie noch was zu tun, wenn sie sich an allen rächen will. Wir sollten vielleicht über ein Hausverbot nachdenken... naja, wenn sie noch mal kommt. Vielleicht hat sie jetzt ja schon genug Dampf abgelassen. Und die Sache mit dem Arbeitsamt hatte ich ihr ja erklärt.“

      „Na, ich weiß nicht. Die kommt bestimmt wieder. Das ist so die Sorte, die sich immer unfair behandelt vorkommt. Ich könnte sie mir gut in so einer Talkshow vorstellen.“

      Ich lachte. „Ja, ich auch. Bei so einem richtigen Loser-Treff. Aber ich glaube, die haben mittlerweile gar keine echten Gestörten mehr, sondern bloß noch Schauspieler. Manches ist so abgedreht, das kann gar nicht echt sein.“

      „Ja, das denke ich auch immer. Aber ich habe festgestellt, dass es im wahren Leben noch viel krassere Typen gibt als im Fernsehen. Zum Beispiel – haben Sie einen Moment Zeit?“

      „Klar“, beteuerte ich wider besseres Wissen. „Na, also, da wo ich wohne, da gibt´s im Erdgeschoss ein Paar, die streiten sich dauernd lautstark. Am Anfang haben wir alle geglaubt, wir müssten uns einmischen, die Frau retten, wenn sie so gekreischt hat, aber erstens hat sie immer ihn verprügelt -“

      Sie machte eine Pause und wartete auf meine Reaktion. Ich bekundete das erwartete Erstaunen.

      „und zweitens hat der Typ immerzu nebenbei anderen Mädels, und denen macht er auch gerne ein Kind, ihr aber nicht, bei ihr passt er auf.“

      „Und sie will ein Kind?“

      „Ja, klar!“

      „Dann würde ich ihn auch verprügeln. Oder mir einen anderen suchen.“

      „Genau! Vielleicht sogar einen Schöneren. Der Typ sieht aus, ich sag´s ihnen, das glaubt man nicht. Höchstens einssechzig, zaundürr, Riesenzahnlücken, vorne kahl und hinten lange Strähnen...“

      „Wie Otto?“

      „Wie wer?“

      „Der Komiker“, erklärte ich. „Otto Waalkes.“

      „Ach so, ja. Noch krasser. Und immer leicht im Tran. Der Typ war seit Jahren nicht mehr wirklich nüchtern. Sie macht die Hausarbeit, verdient das Geld, und zum Dank vögelt er rum – Entschuldigung.“

      Ich grinste. „Macht nichts. Aus seiner Sicht ist das vielleicht ganz vernünftig. Er würde ja den Ast absägen, auf dem er sitzt, wenn er seine Ernährerin schwängert.“

      „Hm, klingt logisch.“

      Das Telefon schnitt mich von weiteren Informationen über Frau Reichles Nachbarn ab. Die hörten sie ja wirklich an wie die Verrückten in den Talkshows! Warum blieb die Frau bei so einem?

      Die Rechtsabteilung wollte einen Vorgang haben, der angeblich bei uns gelandet sein sollte. Ich wühlte herum, fand ihn, verfluchte wieder einmal unseren Boten, der anscheinend gar nicht lesen konnte, und sagte: „Ich bring´s schnell rüber. Mit Grützmeier warten Sie ja ewig.“

      Frau Heinl, Rosens Sekretärin, lachte.

      Wahrscheinlich benahm ich mich als Vorgesetzte falsch, überlegte ich unterwegs. Ich blödelte mit meiner Sekretärin herum, trug fehl geleitete Post im Notfall selbst weiter und hatte sogar schon selbst Kaffee gekocht. Die Männer achteten bestimmt viel besser auf ihre Position, aber dafür tat Frau Reichle alles für mich, auch wenn sie noch etwas auf den letzten Drücker machen musste (was allerdings selten vorkam, so verplant war ich nun auch wieder nicht). Hatte ich zu wenig Distanz oder die bessere Sozialkompetenz? Interpretationssache. Aber Rosen sollte wirklich mal einen Kurs in Kommunikation machen! Ich stieß die Tür zu seinem Sekretariat auf und wedelte mit der Akte. „Hier, Frau Heinl! Prompter Service!“

      Dann erst bemerkte ich Rosen, der, einen aufgeschlagenen Ordner in der Hand, am Fenster stand und mich stirnrunzelnd musterte. Ich hoffte, dass ich nicht rot wurde. „Entschuldigen Sie die Störung“, sagte ich so kalt wie möglich und verzog mich schnell. Draußen rannte ich förmlich, als könnte ich, sobald ich wieder an meinem Schreibtisch saß, so tun, als sei ich nie weggewesen.

      Blöder Hund. Was um Himmels Willen hatte er denn gegen mich? Ich hatte ihm nie was getan, ich hatte mich ihm auch nie aufgedrängt. Schlimmstenfalls hatte ich ihm am Anfang ein paar interessierte Blicke zugeworfen und war vielleicht mal rot geworden, aber das war noch kein Grund, so angewidert zu schauen! Und in so einen blöden Stoffel war ich verliebt – ich musste ja wirklich eine Vollmeise haben! Aber damit war jetzt Schluss.

      Endgültig und sofort!

      Beim nächsten Mal würde ich nur noch durch ihn hindurchsehen und so kalt wie möglich sein. Obwohl – das machte ich schließlich jetzt schon, und es nützte gar nichts. Sollte ich vielleicht meine Beförderung rückgängig machen lassen, bloß damit er mich nie mehr sehen musste? Womöglich mir einen neuen Job suchen? Das kam ja wohl überhaupt nicht in Frage!

      Ich versuchte mir einen Mann vorzustellen, der mit der Begründung kündigte, eine Kollegin könne ihn nicht leiden und er wolle ihr seinen Anblick ersparen. Abwegig! Nur eine Frau konnte so blöd sein, über so etwas auch nur nachzudenken. Nein, ich dachte auch gar nicht daran. Ich würde nur die Objektivität in Person sein, quasi ein weiblicher Lieutenant Data. Und wenn die Juristen das nächste Mal eine Akte vermissten, würde ich entweder Dienst nach Vorschrift machen und Grützmeier herbeordern oder Frau Reichle schicken.

      Problem gelöst!

      Ich vertiefte mich in meine Unterlagen und schaffte es wenigstens, bis zum Abend alles vom Tisch zu haben und ein Konzept zur Personalbewertung zu entwerfen. Es hatte noch ein paar Macken, aber ich musste es ja auch noch nicht so bald vorlegen. Und bei unserer Personalverwaltungssoftware musste man auch dringend etwas ändern. Ich schrieb ein entsprechendes Memo an unsere hauseigene Programmierabteilung, warf alles in den Ausgangskorb, schloss den Schreibtisch ab, löschte das Licht, schickte Frau Reichle heim und griff nach meinem Mantel. Nichts wie weg hier! Wenn ich