Tote Gäste. Elisa Scheer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elisa Scheer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783737562577
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war ich nun mal nicht.

      Alles sinnlos.

      Vielleicht stand er auch eher auf Männer? Oder hatte sich dem Zölibat verpflichtet? Oder er glaubte, mit seinen Behinderungen fände er sowieso keine? Nein, das war zu sehr Kitschroman, so blöde waren die Leute im wahren Leben nicht. Egal.

      Nein, nicht egal. Ich wollte wissen, warum er so schlecht drauf war, woher er den lahmen Arm und das Hinkebein hatte, was er dachte, was er liebte und was er hasste (außer mir natürlich) – und das seit einem halben Jahr. Ich hatte schon mit dem Gedanken gespielt, mir irgendein juristisches Problem zuzulegen, privat natürlich, und ihn um Rat zu bitten. Aber wie ich ihn einschätzte, würde er mir den vollen Stundensatz berechnen und nach fünf Minuten merken, dass das Problem gefakt war. Und dann hätte ich endgültig bei ihm verschissen.

      Carla und Paul hatten ihren Ehevertrag woanders aufsetzen lassen, bei irgendeinem Bekannten von Paul, aber das hatte mich nicht so interessiert, dass ich nachgefragt hätte. Ansonsten hätte man ihn dadurch vielleicht an die Familie Engelmann binden können... ach, wozu - der wollte ja gar nicht.

      Irgendwann käme ich schon darüber hinweg. Das war mir schon früher passiert, als ich mich im zweiten Semester rettungslos in diesen süßen Assistenten in der VWL-Übung verknallt hatte. Total umsonst, der wurde immer von seiner hochschwangeren Freundin abgeholt und freute sich auch noch darüber. Gegen Ende des Semesters dann von Freundin mit umgeschnalltem rotgesichtigem Zwerg. Konnte ich vergessen. Und eines Tages, im Semester darauf, hatte ich ihn in der Bibliothek getroffen, ihn geistesabwesend gegrüßt (ich suchte gerade einen Artikel, denn offenbar jemand für eine Hausarbeit geklaut hatte) und dann erst gemerkt, dass mein Herz kein bisschen schneller geschlagen hatte: Vorbei, ich war geheilt.

      Mit Rosen würde es mir genauso gehen, eines Tages würde er ins Besprechungszimmer kommen, ich würde ihm gleichgültig zunicken und dann erst merken, dass er mich so kalt ließ wie ich ihn.

      So toll waren Beziehungen schließlich auch nicht. Klar, Carla und Paul glaubten im Moment an die ewige Liebe. Mussten sie ja auch, sonst könnten sie sich den ganzen Almauftrieb gleich sparen. Anette hatte ziemlich daran geknabbert, dass Andi so plötzlich verschwunden war, und wenn ich an den Kerl dachte, den Silke vor Fabian gehabt hatte, diesen – äh – Max, genau. Der hatte immerzu Heiratspläne geschmiedet. Anfangs hatte Silke dabei auch mitgemacht, sie war der Typ, der langfristig geordnete Verhältnisse vorzog.

      Der erste Termin musste verschoben werden, weil Max dringend geschäftlich nach Köln musste. Der zweite, weil er einen hässlichen Ausschlag hatte. Der dritte, weil sich seine Mutter plötzlich quer stellte und lieber wollte, dass Max eine Tochter ihrer lieben Jugendfreundin heiratete. Max schwor, er würde sich nur einmal mit dieser Tochter treffen und seiner Mutter dann klar machen, dass er die blöd fand. Gut, Silke wartete und sagte den Termin im Rathaus ab. Max legte einen vierten Termin fest, Silke buchte wieder alles, ich bügelte mein dunkelgraues Seidenkostüm zum vierten Mal auf, und Max´ Mutter musste genau an diesem Tag zur Kur gefahren werden. das ging natürlich vor.

      Das fünfte Mal platzte, weil Max am Tag zuvor einen Unfall baute. Nur Blechschaden, aber er stand ja so fürchterlich unter Schock, dass ihm eine Hochzeit nicht zuzumuten war.

      Beim sechsten Mal sagte er nicht ab. Das war auch gar nicht nötig, weil Silke überhaupt keinen Termin mehr vereinbart hatte. Zu dem Zeitpunkt, den sie Max genannt hatte, warteten wir gegenüber dem Rathaus – und er kam gar nicht. Er nicht, seine Mutter nicht, sein stieseliger Trauzeuge nicht.

      Daraufhin forderte sie ihn abends auf, doch endlich zuzugeben, dass er gar nicht heiraten wollte, und machte Schluss. Max soll ziemlich erleichtert gewirkt haben. Warum schmiedete jemand gegen seinen Willen Hochzeitspläne? Silke hatte doch nicht damit angefangen, sondern er, aber warum bloß?

      Auf jeden Fall war Silke hinterher ziemlich entnervt, und ich konnte mir gut vorstellen, dass dieses Mal Fabian die Termine machen musste, weil Silke sich langsam vor den Leuten im Rathaus genierte.

      Nina war verheiratet, gut. Aber ob das noch so toll war? So, wie sie manchmal über ihren Florian redete, wenn er wieder mal ungefragt Gäste anschleppte, immerzu Urlaube in Südtirol buchte, obwohl Nina und die Kinder seit Jahren von einem anständigen Sandstrand träumten, nie bemerkte, wenn sie an sich oder im Haus etwas verschönert hatte und mittlerweile nur noch ein Viertel so viel redete wie vor der Hochzeit, ihr außerdem die Kindererziehung ganz alleine überließ... war das noch der große Liebestraum? Oder konnte man das sowieso nicht erwarten, sondern wurschtelte einfach friedlich neben jemandem her, in den man immerhin vor Jahren mal verliebt gewesen war? Vielleicht ging gar nicht mehr.

      Cora hatte dauernd einen neuen Freund, und wenn man fragte, was denn aus Sowieso geworden war, prustete sie bloß: „Der? Wer war das noch mal gleich wieder? Der war ja so doof, nee, den hab ich schnell wieder abgehakt. Jetzt hab ich einen kennen gelernt, der ist wirklich süß...“

      Ja, für zwei Wochen vielleicht. Immerhin kam Cora so ordentlich herum und musste allmählich ein ganz sicheres Urteil über Männer haben.

      Oder auch nicht, wenn sie immer wieder an diese Zweiwochenkerle geriet. Gab es eigentlich immer noch keinen ultimativen Ratgeber für den Umgang mit Männern? So einen wie bei populärer Traumdeutung? Statt Wenn Sie von Läusen träumen, machen Sie bald eine Erbschaft könnte es zum Beispiel heißen Wenn er nie anruft, wenn es später wird, ist er ein rücksichtsloses Schwein. Wenn er wegen jeder fünf Minuten anruft, ist er ein blöder Korinthenkacker. Fazit: Man konnte prophylaktisch jeden Kerl sofort wieder verabschieden.

      Unbrauchbare Bande – aber sie würden ja über kurz oder lang sowieso aussterben, hatte ich gelesen. Das Y-Chromosom war nicht mehr als ein defektes X, Männer waren kränker, lebten kürzer und auf Steinzeitniveau und waren im Alltag völlig hilflos. Nicht einmal für Multitasking reichte es bei diesen Simpelhirnen!

      Also, warum zerbrachen wir uns dauernd den Kopf über diese Geschöpfe? Schließlich brauchten wir sie ja nicht mehr, wir konnten uns selbst ernähren, selbst das Auto in die Werkstatt bringen, selbst einen Rechner aufbauen und wenn es gar nicht mehr anders ging, auch selbst einen Vibrator kaufen.

      Wer hatte bloß die Liebe erfunden? Ohne könnte ich mich in den Meetings richtig konzentrieren und müsste mich in drei Wochen nicht in diese apricotfarbene Scheußlichkeit werfen, Silke hätte mehr Zeit zum Korrigieren, Anette keinen Ärger mit Geistern aus der Vergangenheit und Nina Zeit für ihren Job und ihre lieben Freundinnen. Mama und Papa hätten ihre Ruhe und Carla könnte sich mit voller Energie auf Fondsmanagement konzentrieren. Und Cora wäre vielleicht schon mit dem Studium fertig.

      Genau, und Stefan müsste seine kärgliche Freizeit nicht damit vertun, seiner kostbaren Martine Kissen in den Rücken zu stopfen oder Heringe mit Ananas zu besorgen oder mit ihr atmen zu üben.

      Keine Liebe und Nachwuchs aus dem Reagenzglas. Brave New World hatte doch auch gewisse Vorzüge! In dieser mürrischen Stimmung verzog ich mich ins Bett. Den Film konnte ich auch morgen noch weiter gucken, außerdem kannte ich ihn sowieso fast auswendig.

      Der Modeschmuckladen am Bahnhof war eine Offenbarung. Ich hätte fast meine Mittagspause überzogen, so faszinierend fand ich das Angebot. Nach längerem genussreichem Wühlen fand ich einen schweren Eisenring mit Totenkopf (mit kleinen roten Augen und fiesem Grinsen) für Paul und für Carla ein großes Herz aus orangefarbenem Karfunkelstein mit Glittereinschlüssen, eingefasst mit unglaublich unecht aussehenden Brillanten. Das Ganze so groß, dass es mehr als ein Fingerglied bedeckte. Und beide Teile kosteten nur zehn Euro – zusammen!

      Und dann gab es Tattoo-Abziehbilder! Hm... Barcodes auf der Schulter, als wären wir Ware vom Fließband? Oder französische Lilien, als hätte man uns in den Drei Musketieren als Huren oder Diebinnen gebrandmarkt? Oder mehrfarbige Herzen mit Spruchband wie aus dem Poesiealbum? Pro Stück einen Euro... ich nahm die Lilien. Sehr vergnügt kam ich zu TechCo zurück und traf auf dem Gang prompt Rosen, der mich misstrauisch beäugte. Ich unterbrach mein Pfeifen kurz, grinste ihm breit zu und verschwand, sehr zufrieden mit mir. Cooler Auftritt! Nur schade, dass ich mich nicht umdrehen konnte, um die Wirkung zu überprüfen.

      Ich pfiff noch vor mich hin, während ich Akten wälzte