Tote Gäste. Elisa Scheer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elisa Scheer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783737562577
Скачать книгу
finde ich. Ich hab ihn ja erst zweimal gesehen, aber ich kann ihn billigen. Gute Wahl.“

      „Ja, und für so ein reiches Söhnchen ist er wirklich persönlich bescheiden. Kein Porsche, kein Heli-Skiing, keine wüsten Züge durch die Gemeinde – nur fleißige Arbeit. Das war mir gleich von Anfang an sympathisch. Und dieses Jungenhafte...“

      „Wieso reiches Söhnchen?“, fragte ich verblüfft. „Ist er jemand, den man irgendwie kennen müsste? Ich weiß ja nicht einmal seinen Nachnamen!“

      „Koch heißt er“, sagte Silke und machte eine Kunstpause. Sollte mir jetzt ein Licht aufgehen oder was? „Koch heißen ja nun viele Leute“, wich ich aus.

      „Von der Koch GmbH“, ergänzte sie, etwas ungeduldig.

      Das sagte mir allerdings etwas. Die Koch GmbH war unsere Hauptkonkurrenz, was die Produktion von Kleinelektronik, Navigationssystemen und – ganz altmodisch – Autoradios betraf. Seit Neuestem mischte auch noch ein Laden namens DigEL auf diesem Sektor mit, aber eine nennenswerte Konkurrenz waren die noch nicht – erst seit einem Jahr an der Börse, und nach Anfangserfolgen um den Ausgabekurs herumdümpelnd. Koch war da schon interessanter. „Der Koch“, stellte ich also fest. „Arbeitet er in der Firma?“

      „Ja, im Marketing. Der Vater ist anscheinend ziemlich altmodisch – der Bub muss von der Pike auf lernen, und für die Tochter haben sie etwas Weiblicheres gesucht. Ich glaube, sie hat eine Boutique oder so. Ich hab sie erst einmal gesehen, und da kam sie mir ein bisschen schnepfig vor. Aber, naja, vielleicht muss man sie besser kennen lernen.“ Schnepfig, das hieß Jetset, arrogantes Getue, perfektes Styling und nichts im Hirn außer Verachtung für Leute, die etwas Sinnvolles arbeiteten. Ich brummte.

      „Du bringst Fabian doch auf die Hochzeit mit, oder?“

      „Nein. Er ist sowieso eingeladen, ich muss ihn gar nicht mitbringen. Die Kochs sind Freunde von den Zorns.“

      „Ihh, dann kommt die schnepfige Schwester auch?“

      „Klar. Plus die Eltern, die sind auch gewöhnungsbedürftig. Die Schwester heißt übrigens Vanessa, und sie legt Wert darauf, dass man es englisch ausspricht. Wenn nicht, guckt sie, als sei sie von Analphabeten umgeben. Ve-nessa also.“

      „Gar nicht affig, was? Wo ist da der Unterschied zu Mändy mit ä?“

      „Dass Mändy mit ä so geschrieben wird, wie man es in der DDR ausgesprochen hat, wo man es ja nur aus dem Westfernsehen kannte und nie gedruckt gesehen hat. Du, da muss ich dir was erzählen. Ich hab doch in meiner Neunten eine Kathleen, nicht?“

      „Kann sein“, antwortete ich. Ich konnte mir doch nicht die Namen all ihrer Schüler merken! Wie die Lehrer das schafften, war mir sowieso rätselhaft.

      „Ja, und sie besteht darauf, dass das deutsch ausgesprochen wird, also wirklich Kat-lehn. Ich hab zuerst Kath-lien gesagt, da hat sie mich angeschaut, als hätte ich sie nicht mehr alle.“

      „Mein Gott, das muss ihr doch schon öfter passiert sein! Ist sie vor dir noch nie jemandem begegnet, der weiß, dass das ein englischer oder schottischer Name oder wasweißich ist?“

      „Anscheinend nicht. Und jetzt haben wir ihre kleine Schwester in der Fünften. Schreiben tut sie sich T-r-a-c-y. Wie würdest du das aussprechen?“

      „Drahzie“, schlug ich vor und gackerte. „Das arme Kind!“

      Silke gackerte auch. „Das sind so die kleinen Freuden im Lehrerzimmer, das tröstet über diese fürchterlichen Abiklausuren hinweg, die uns allen bevorstehen. Kannst du mir mal verraten, warum immer die ein Fach fürs schriftliche Abitur nehmen, die da gar nichts können? Ich hatte so gute Mathematiker im Kurs, und die machen sonst wo Abitur, aber die Pfeifen bei mir. Leute, die schon an der Definitionsmenge scheitern! Und in Wirtschaft genau die, die Angebot und Nachfrage nicht auseinander halten können. Da kann man ja nur schwarzsehen.“

      „Ach komm, das gibt´s doch gar nicht!“

      „Hast du eine Ahnung“, grummelte Silke. „Alles gibt´s. Wenn ich dich am Siebten anrufe und in den Hörer weine, weißt du, warum.“

      „Ich werde dich trösten“, versprach ich lachend. Arme Silke – Korrigieren hätte mich auch nicht gereizt. Ich war eigentlich ziemlich froh, dass ich dem Lockruf der Schule widerstanden hatte. Vielleicht hatte das auch daran gelegen, dass mir nie ein zweites Fach zu Wirtschaft eingefallen wäre. Außerdem verdiente ich bei TechCo bestimmt doppelt so viel wie Silke beim Staat – auch netto. Dafür hatte sie ihren Job sicher, bei mir hing er davon ab, wie gut der Laden lief. Aber noch ein paar Jahre, und das Arbeitsamt konnte mich gern haben. Oder ich zog wirklich eine Ich-AG auf, im Gegensatz zu den meisten anderen wusste ich schließlich, was man bei einer Firmengründung zu beachten hatte.

      Jetzt fehlte wirklich nur noch Nina, dann hatten alle angerufen. Na, Cora vielleicht noch, um mir zu erzählen, dass Carla jetzt völlig übergeschnappt war. Cora hätte bestimmt viel Sinn dafür, bei der Hochzeit ein paar Gags zu zünden, überlegte ich. Morgen in der Mittagspause würde ich mal in diesen Modeschmuckladen am Bahnhof gucken. Und abends in Leiching vorbeischauen und Cora meine Ausbeute zeigen. Obwohl – konnte sie auch dichthalten? Eher nicht.

      Cora wohnte noch bei unseren Eltern, mit der nicht unvernünftigen Begründung, dass sie sich nach dem Diplom und mit einem ordentlichen Job eine anständige Wohnung leisten könne und keine Lust habe, jetzt in einer schimmeligen WG oder einem Einzimmerloch zu hausen, bloß um Selbständigkeit zu demonstrieren, die sie in Leiching genauso gut haben konnte. Wir hänselten sie ab und zu als Mamakind, aber sie kochte selbst, wusch selbst und machte selbst ihre Steuererklärung. Besser als viele Männer, die sich die saubere Wäsche von ihrer Mutti bringen ließen.

      Hatte man alles schon erlebt, ich musste ja bloß an den biederen Bernhard denken oder an den tumben Thomas. Bernhard fand, Waschen sei Frauensache (er war eher konservativ veranlagt, da, wo es ihm zugute kam), Thomas dagegen war schon vom Anblick einer Waschmaschine völlig überfordert („Wo muss ich jetzt draufdrücken? Wieso Waschpulver? Ach, ich kann mir das nie merken, willst du nicht lieber...?“ Nein, ich wollte nicht. Tschüss, Thomas!)

      Bernhard hatte von selbst Tschüss gesagt, nach einem längeren Vortrag darüber, welche üblen Folgen es haben würde, wenn ich weiterhin meine Weiblichkeit so verdrängte. Aber das Risiko wollte ich lieber eingehen.

      Wie war das eigentlich mit Carlas Paul und Silkes Fabian? Ob die alltagstauglich waren? Nein, ich rief die beiden jetzt nicht an, um danach zu fragen, die rührten sich schnell genug von selbst wieder – wegen Blumenkränzen, zerbeultem Rolls Royce, lästigen Korrekturen, Tante Mathildes entsetzlichem Hochzeitsgeschenk oder was auch immer.

      Wie schaute es damit wohl bei Nicholas Rosen aus? Der sah mir irgendwie nicht aus, als hätte er noch eine Mutti im Hintergrund, die mit Töpfen voller Sauerbraten und Paketen mit gebügelten Hemden zu ihm radelte. Er wirkte eher, als hätte er eine gute Putzfrau und ein Abo bei der Reinigung.

      Egal, der wollte ja sowieso nichts von mir. Wahrscheinlich war er einfach schon in festen Händen, und ich sollte mir die Sache endlich mal aus dem Kopf schlagen. Leichter gesagt als getan! Ich nahm mir dauernd vor, damit aufzuhören, aber dann sah ich ihn wieder, im Meeting, in seinem Zimmer mit dem Rücken zur Tür telefonieren, über den Parkplatz zu seinem Wagen hinken – und jedes Mal entdeckte ich etwas anderes Entzückendes: die Form seiner Ohren, seine Rückenlinie, die Art, wie er sich kleidete (irgendwie englisch), seine langen, schmalen Hände, den trockenen Ton, in dem er auf juristische Probleme hinwies, die kalte Art, mit der er ungerechtfertigte Beschwerden abwies, die Bewegung, wenn er sich durchs Haar fuhr, die akkurat gebundenen Krawatten, die Tatsache, dass er absolut keine Ringe trug (das fand ich bei Männern bescheuert, vor allem Siegelringe).

      Verheiratet war er nicht, das wusste ich aus der Personalakte, weil da die Steuerklasse drin stand. Aber deshalb konnte er schließlich eine Freundin plus Kinder haben! Entweder das oder ich war einfach nicht sein Geschmack. Vielleicht redete ich zu viel, vielleicht trat ich bei den Meetings nicht so auf, wie er es wollte, vielleicht stand er auf kleine dicke dunkle Frauen und nicht auf große dünne mit undefinierbar