Wir fuhren, unsere Ängste ignorierend, los.
Wie selbstverständlich saß er auf der falschen Seite des Autos und fuhr auf der falschen Seite der Straße, als ob er linksseitig geboren wäre. In unserer gesamten Zeit auf australischen Straßen hat er keinen Kratzer in unser Auto gebracht. Leichter Neid nagte an mir. Scheinbar hatte ich in meiner Jugend versäumt eine wichtige Fähigkeit zu erlernen. In der gesamten Zeit fuhr ich kein einziges Mal selber in Sidney. Meine räumliche Orientierung blieb marginal. Später half ich mir selbst mit der Theorie, dass Architekten visuell besonders ausgebildet werden und Männer im Allgemeinen über besseres räumliches Sehen verfügen.
Aber mein Tag der Selbstdarstellung und des Sieges über neue Probleme kam, als wir endlich in unsere hübsche Wohnung eingezogen waren, etwa drei Wochen nach unserer Ankunft. Das Gebäude lag auf einem Hügel, der eine schöne Aussicht über Paddington und Elizabeth Harbor bot. Jeder von uns besaß zwei Koffer voll von persönlichen Dingen. Alle weiteren Sachen, die wir benötigten, um ein halbwegs gemütliches Zuhause zu schaffen, mussten gekauft werden. Unser begrenztes Budget bestimmte, was wir erwerben konnten. So kauften wir Holzplatten, aus denen wir eine Art Plateau herstellten. Darauf kamen unsere Matratzen. Sie waren mit unserem einzigen Betttuch überzogen. Ebenso zimmerte mein Verlobter einen Wohnzimmertisch, der auch als Esstisch dienen musste. Um beide Funktionen zu erfüllen, musste er mittelmäßig hoch sein. Die zwei Stühle, die wir in einem Geschäft kauften, das mich an einen Flohmarkt erinnerte, mussten in der Höhe angepasst und deshalb abgesägt werden. Küche und Bad waren vom Besitzer schon eingebaut. Somit war das La-Boheme-Apartement fertig.
Unser Budget erlaubte uns nicht, ständig in Restaurants zu speisen. Jedoch hatte noch keiner von uns daran gedacht, den Kühlschrank zu füllen. Als mein Verlobter auf einem unserer geschätzten Stühle stand, um eine Lampe aufzuhängen, war es gerade Mittagszeit und mein Magen knurrte. Er aber war ein Mann, der Hunger und Essen vergaß, wenn eine Arbeit erledigt werden musste. Somit war die Ernährung von uns beiden meine Aufgabe. Ich war allerdings keine begeisterte Köchin und meine Fähigkeiten in diesem Fach beschränkt. Unschuldig dachte ich, ob ich denn wirklich kochen musste und was um alles in der Welt es sein sollte. Es musste auf jeden Fall eines sein, wozu ich kein Rezept brauchte, denn ich hatte keines mitgebracht. Die bayerische Küche rettete mich. Ich sah zu diesem geduldigen, toleranten Mann auf dem Stuhl hoch und fragte: "Möchtest du abgebräunten Leberkäse mit Spiegelei, Kartoffelsalat und grünem Salat zum Mittagessen?"
Seine Antwort kam in lässigem Stil, sachlich und ohne Anzeichen von Spott: "Weißt du, wie man es zubereitet?" Er hatte sich definitiv nicht wegen meines kulinarischen Expertentums in mich verliebt.
Den deutschen Emigranten sei es gedankt, dass ich am anderen Ende der Welt Leberkäse finden konnte. Ich ging Einkaufen, kam zurück und kochte. Es war ein herrliches Mahl! Ich kam, sah und siegte!
Am nächsten Tag jedoch traf mich die Erkenntnis, dass diese Notwendigkeit, ein Mahl zu bereiten, nun jeden Tag und für immer im Raum stehen würde. Was tun? Als ich 15 Jahre alt war, wurde ich einmal für ein Jahr in eine Kochschule in den bayerischen Alpen gesteckt. Nun versuchte ich mich an Rezepte zu erinnern. Aber ich sah nur die Bilder von Gerichten vor meinen Augen. Mein Verlobter schrieb an eine Bekannte, die wir in München zurückgelassen hatten. Sie schickte zwei Seiten Rezepte für Anfänger wie mich, liebevoll handgeschrieben. Von meiner Mutter erhielt ich ein Kochbuch mit dem Titel Bayerische Spezialitäten. Für sie war ich eben ihr bayerisches Mädchen, deren kulinarische Geschmacksrichtung sie gut kannte. Abgesehen von der Tatsache, dass man für bayerisches Kochen etliche Stunden pro Mahlzeit benötigt, war es auch schwer, in Sydney die richtigen Zutaten dafür zu bekommen. Ich bat um ein anderes Buch: Die schnelle Küche. So weit, so gut. Als ich müde vom Umrechnen der metrischen Maße wurde, erstellte mir mein Verlobter eine Liste jeglicher Maße, die man in einem angelsächsischen Leben brauchen könnte: Quarts, Pints, Unzen, Pfund, Yards, Zoll, Fuß, Meilen, Temperatur in Fahrenheit und, jawohl, die britischen Stones. Diese mit liebender Hand produzierte Liste habe ich von Kontinent zu Kontinent mit umgezogen. Ich hütete sie, wie der Homo sapiens das Feuer, das er zu Urzeiten errang. Meine Küche hat aber seit damals immer zwei Sets von Maßen und Geräten zum Messen, sowie Rezepte in deutscher und englischer Sprache enthalten. Über die Jahre hinweg habe ich Rezepte aus allen Ländern, in denen ich gelebt habe, gesammelt, meist nur als Souvenir.
Mit Geduld für Recherchen und der Hilfe meines Verlobten erlernte ich langsam, uns in Australien kulinarisch akzeptabel zu versorgen. Wir hatten einen ungarischen Metzger gefunden, der Fleisch auf meine gewohnte Art schneiden und auch die australisch-englische Art erklären konnte. Die Bäckerei von französischen Einwanderern versorgte uns mit wohlschmeckendem Brot.
All dies schien mir zu helfen, den berühmten Kulturschock zu vermeiden. Es gab allerdings Anzeichen, dass hier der Wunsch der Vater des Gedankens war. Mein Ego wurde arg gestresst und konnte mein Selbstvertrauen und mein Selbstwertgefühl noch nicht heben. Mein gestörter Orientierungssinn und die Gewöhnungsbedürftigkeit des linksseitigen Autofahrens, sollte ich das lernen müssen, nagten an meinem Stolz. Aber es würde noch mehr dieser Sorte auf mich zukommen.
Da war zum Beispiel das Problem der Sprachauffassung, die durch den australischen Akzent sehr erschwert wurde: Mit zwei Jahren amerikanischem Business-Englisch und zwei Jahren britischem Englisch kam ich in Deutschland gut zurecht. Allerdings hatte ich bis dato mit keinem muttersprachlich Englisch sprechenden Menschen außerhalb akademischer Kreise gesprochen, außer während meiner einzigen Woche in London. In Australien zeigte sich bald, was mir fehlte. Das führte zu Hemmungen und schüchternem Vermeiden zu sprechen. Wie erwähnt: Der australische Akzent machte es zusätzlich schwer, einer Unterhaltung zwischen mehreren Beteiligten zu folgen. Als Neuankömmlinge wurden wir von freundlichen und verständnisvollen Australiern häufig eingeladen. In solchen Runden verlor ich den Faden der Konversation meist schnell. Manchmal saß ich schweigend dabei. Schnell merkte ich auch, dass meine Fragen den Unterhaltungsfluss sehr störten. Allmählich zog ich sogar vor, nicht angesprochen zu werden, da immer Erklärungen und Übersetzungen und häufig schallendes Gelächter folgten. Außerdem gab es manche empfindliche Seele, die mein Problem nicht nachvollziehen konnte und leicht beleidigt fragte: "Sprechen wir denn so schlecht?" Dieses ganze Szenario belastete meine Psyche sehr.
Ein Wort zu mangelnder Sprachbeherrschung
Das Erlernen der Sprache ist eine der frühesten Aufgaben der Kindheit. Im Allgemeinen sind sich Kleinkinder ihrer lückenhaften Ausdrucksweise und des mangelnden Redeflusses nicht bewusst. So stolpern sie unbedarft durch den Wörterwald, in der Methode des Versuches und Fehlens, begleitet von den entzückten Ausrufen der Erwachsenen als Belohnung. Wenn aber ein Erwachsener auf sprachliches Kinderniveau zurückfällt, ist das eine ganz andere Sache. In meinen ersten Monaten in Australien konnte ich dies an mir selbst beobachten. Nachdem ich mich nicht wie ein Erwachsener — der das benötigte Vokabular und die Sprache nicht flüssig beherrschte — fühlen konnte, fühlte ich mich zwangsläufig eben wie ein kleines Mädchen. Es manifestierte sich durch die vielen Wiederholungen einzelner Ausdrücke, die ich erbitten musste, durch die Übersetzungen, die ich benötigte, durch das Lachen, das ich auf meine holprigen Versuche der Konversation hin erntete, und durch die oft kindische Sprache, die andere mir gegenüber anwandten. Der Verlust sprachlicher Kompetenz kann in Gefühlen der Verletzbarkeit und der verbalen Schutzlosigkeit enden. Viele, mit denen ich dieses Thema besprochen und erforscht hatte, die sich in solchen Situationen befanden oder befunden hatten, bestätigten, dass sogar eine leicht paranoide Verhaltensweise entstehen kann. Indizien dafür sind Misstrauen in die Absichten der einheimischen Sprecher und Argwohn, dass sie unaufrichtig sind. Mein Selbstbewusstsein, mein Selbstvertrauen und mein Selbstverständnis waren durch die psychologische Wirkung der Sprachschwierigkeiten sehr gefordert.
Dieses Dilemma war aber nicht von Dauer. Zum einen musste ich auf der Universität New South Wales weitere Englischkurse belegen, wie vom Gesetz gefordert, zum anderen verbesserte sich meine Sprachkompetenz sehr, als ich anfing in einem Import-Export-Großhandel zu arbeiten, wo ich die deutsch-englische Korrespondenz erledigte. Plötzlich hatte ich auch einen Vorteil durch meine Muttersprache, und nicht nur einen Nachteil. Mein Selbstbewusstsein kehrte zurück. Aber ich fühlte mich auch generell besser, nachdem ich einen