Ich sehe, entgegnet er mit weiter ungespielter Freundlichkeit, Sie scheinen eine recht präzise Vorstellung unserer Methoden zu besitzen. Dann gehen Sie doch auch sicher davon aus, dass wir in der Lage sind, gewisse Informationen aus gewissen Personen … herauszubekommen?
Sicher, antworte ich. Deshalb befindet sich meine Lebensversicherung an einem Ort, der mir selbst nicht bekannt ist.
Trotzdem dürften sie Informationen über die Person besitzen, welche diese Lebensversicherung für Sie aufbewahrt…
Weniger als Sie denken: Weder der Aufenthaltsort noch der wahre Name dieser Person sind mir bekannt. Ob Sie es glauben oder nicht! Bis Sie die wenigen relevanten Informationen aus mir herausgefoltert hätten, wäre das Paket schon längst verloren. Für Sie. Denn das geschieht automatisch nach Ablauf einer bestimmten Frist.
Was für ein grässliches Wort Sie da in den Mund nehmen – als wären wir die letzten Barbaren! Die Menschen scheinen uns auch wirklich alles zuzutrauen… Glauben Sie mir, für so etwas gibt es heute wesentlich … dezentere Methoden.
Und wie ich Ihnen glaube! Deshalb sitze ich hier mit zittrigen Fingern und der kalte Schweiß steht mir auf der Stirn, erwidere ich. Doch das ändert nicht das geringste an der Tatsache, dass Sie nichts aus mir herauskriegen würden – weil ich nunmal nichts weiß. Sie können mich gerne jeder Art von Test unterziehen! Wenn Sie wollen, schließen Sie mich an einen … Lügendetektor an. Oder wie immer Sie diese Dinger heutzutage nennen…
Wieder blickt er zur Decke, als suche er Kontakt zu seinem verborgenen Gesprächspartner. Alle Parameter normal, keine Unregelmäßigkeiten, wiederholt er nickend und hält sich dabei den Mittelfinger ans Ohr.
Wie gesagt, Ihre persönlichen Gegenstände kriegen Sie zurück, raunt der Bluthund nach einer Weile und erhebt sich. Er wird gleich bei Ihnen sein.
Kann ich vielleicht eine rauchen? Und einen Kaffee haben? rufe ich hinterher.
Bedaure.
Wieder warte ich. Doch diesmal bleiben meine Finger regungslos. Meine Atmung arbeitet unabhängig, ich schenke ihr keine Aufmerksamkeit. Er wird gleich bei Ihnen sein… Ich versuche mir vorzustellen, wie Er aussehen könnte. Meine Finger sind klebrig und kalt. Von innen zittern sie, doch die Bewegung überträgt sich nicht auf die Oberfläche. Mein ganzer Körper ist weich – aber ich verstecke ihn unter einer zum Standbild erfrorenen Schale. Starr klebt meine Hand auf der Tischplatte. Von außen bin ich ein totes Objekt: Mann im Sitzen – Skulptur. Nur drinnen überschlägt sich meine schwindelnde Seele.
Die Tür öffnet sich: Bleiben Sie sitzen!
Ein alter Mann betritt den Raum.
Sein Haar ist weiß. So weiß wie die Unschuld. Seine ganze Erscheinung ist weiß. So rein wie seine Kleidung ist sein Gewissen. Seine Seele. So rein, dass er leuchtet.
Sein gegerbtes Gesicht ist durchzogen von den Furchen des Schicksals. Nichts an ihm ist Zufall. Sein Leben ist Pflicht, sein Dasein Bestimmung. Seine Augen sind müde – tiefe Ringe tropfen von ihnen herab. Weil seine Aufrichtigkeit niemals schläft. Doch ihr Blick ist wach. Die weiße Flamme der Überzeugung hält ihn am Leben. Den Gedanken ans Aufhören kennt er nicht.
Genau wie sein Körper scheint seine Stimme ein unaufhörliches Zittern zu unterdrücken. Wie eine kalte, klare Melodie schneidet sie in den Raum:
Haben Sie Angst?
Ja, antworte ich.
Angst hat, wer Unrecht tut.
Oh nein! Angst hat, wer sich erwischen lässt.
Sie haben Sich erwischen lassen.
Nein. Ich bin zu Ihnen gekommen.
Um Buße zu tun?
Nein. Um zu verhandeln.
Über Recht und Unrecht verhandle ich nicht.
Darum geht es auch nicht.
Aber natürlich! Sie haben Unrecht getan.
Ich habe vielleicht gegen das Gesetz verstoßen.
Vielleicht? Der Besitz von 20 Kilogramm Kokain verstößt eindeutig gegen das Gesetz.
Wenn Sie so wollen, besitze ich dieses Kokain gar nicht. Ich weiß lediglich, wo es sich befindet. Und biete Ihnen die Information darüber gegen einen … Finderlohn an.
Wenn ich so will… Aber vielleicht will ich Sie auch einfach nur bestrafen.
Ich hoffe, dass Sie das nicht wollen.
Und was gibt Ihnen diese Hoffnung? Ich bin ein sehr idealistischer Mensch – das sollten Sie nicht unterschätzen! Mir ist wenig so verhasst wie der Werterelativismus dieser heutigen Zeit…
Genau das gibt mir diese Hoffnung! Vor einem Richter dürfte ich mit der Rechtfertigung meines Handelns Probleme bekommen – denn mir bliebe nichts übrig als der erbärmliche Versuch des Relativierens: jugendlicher Leichtsinn, finanzielle Probleme, vielleicht noch ein Attest über meine labile Psyche, Alkohol- und Drogenprobleme? Aber Sie gehören in eine andere Kategorie als die kleingeistigen Kettenhunde bürgerlicher Gesetzgebung. Mit Ihnen kann ich mich auf einer anderen Ebene unterhalten.
Ist das so?
Warum sollten Sie sonst dieses Gespräch mit mir führen? Ich habe Ihrer Organisation ein Geschäft vorgeschlagen. Das hätte ich auch mit einem Ihrer Stellvertreter verhandeln können. Aber Sie haben sich persönlich die Mühe gemacht…
Zum ersten Mal schleicht sich Wohlwollen in seinen Blick.
Alles, was ich Ihnen darüber hinaus anbieten kann, ist eine Unterhaltung. An deren Ende werde ich Ihnen dargelegt haben, dass ich kein ordinärer Verbrecher bin, der aus Habgier gegen Prinzipien verstößt, die ihm als solche geläufig sind. Sondern dass mein Handeln klar mit einem differenzierten Wertesystem korrespondiert, das mich ethisch in keinerlei Konflikte bringt. Ich habe ein reines Gewissen.
Diese Leute sind die Schlimmsten.
Sie meinen die, die Böses tun und es für das Richtige halten?
So ist es.
Ich stimme Ihnen zu. Aber seien Sie unbesorgt – ich bin keiner dieser Fanatiker.
Auch das behaupten sie alle.
Ich weiß. Und dennoch bin ich anders. Aber beweisen kann ich Ihnen das nur, wenn Sie mich sprechen lassen…
Sie bringen es auf eigentümliche Weise fertig, dass ich Ihre Couragiertheit, die Sie zweifelsohne mit diesem Besuch an den Tag legen, nicht als Größenwahn interpretiere.
Von Größenwahn kann nun wirklich kaum die Rede sein. Schließlich habe ich keine Ahnung, ob und in welchem Zustand ich diesen Raum je wieder verlassen werde…
Jetzt hätten Sie wohl gern meinen Widerspruch gehört, wie? entgegnet der Alte kichernd. Doch wenn Sie gestatten, hätte ich zunächst ein paar Fragen an Sie.
Aber natürlich – was bleibt mir anderes übrig, antworte ich durch eine lakonische Geste.
Gut. Also: Wie sind Sie an diese Tasche gekommen?
Ich erinnere mich… Alles fing damit an, dass ich eines Tages dieses Manuskript gefunden habe, entgegne ich und lasse die Seiten das Stapels Papier durch meine Finger gleiten, der vor mir auf der Tischplatte ruht.
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Es ist handschriftlich verfasst, beginne ich meine Geschichte. Und beim Autor handelt es sich offenbar um einen jungen Mann, der seinen Namen allerdings die ganze Zeit über geheimhält. Doch er scheint hier in dieser Stadt zu leben! Denn obwohl er selten konkrete Anhaltspunkte verrät, erkenne ich viele Orte und Situationen