„Was fährt der, Fahrrad?“ Der Boss lachte. „Zu mehr reicht es bei ihm wohl nicht, ha, ha, ha. Und wo ist er mit dem Fahrrad gewesen?“
„Er hat sich in der Ruine rumgetrieben. Da haben wir ihm einen Balken auf den Kopf geworfen.“
„Und? Habt ihr ihn erwischt?“
„Nee, nicht ganz. Aber es hat ihn ganz schön erschreckt.“
„Das sollte es ja auch. Vielleicht haut er jetzt ja ab.“
„Und dann war er im Romantika. Und der Kellner sagt, er hätte sich besonders für das Bild interessiert.“
„Nützt ihm das was?“
„Nee, Boss, nicht in echt.“
„Beobachtet ihn trotzdem weiter. Und versucht ihn zu verscheuchen, klar?
„Ja, klar, Boss. Ende und aus.“
Dritter Tag: Die Verhaftung
Winner wurde am nächsten Morgen durch ein Geräusch geweckt, das er zunächst nicht zuordnen konnte. Es hatte geklungen wie ein alter Wecker oder wie eine Haustürklingel. Er öffnete die Augen und stellte fest, dass es draußen gerade erst dämmerte. Er schaute auf die Uhr und sah, dass es 6.15 Uhr war. Wer – zum Teufel – sollte um diese Zeit etwas von ihm wollen?
Als es das zweite Mal klingelte richtete er sich im Bett auf. Es war tatsächlich seine Haustürklingel. Er wusste gar nicht, dass das Haus so etwas besaß. Er beschloss, nicht zu öffnen. Schließlich war er hier im Urlaub. Wer etwas von ihm wollte, sollte halt später noch einmal vorbei kommen.
Dann hörte er, dass zwei Personen miteinander redeten: ein Mann und eine Frau. Die weibliche Stimme konnte von seiner Nachbarin Ramona sein, die männliche Stimme kannte er nicht.
Das nächste Geräusch ließ ihn aufschrecken: Jemand schloss seine Haustür auf. Er sprang aus dem Bett und schlich ins Wohnzimmer. Im Notfall hätte er dort durch die Glastür über die Terrasse fliehen können. Aber wie und wohin sollte er flüchten - barfuß und im Schlafanzug? Zu Ramona ja wohl kaum. Und zu Cäsars Herrchen? Nein, auch das schloss er aus.
Dann wurde die Haustür geöffnet und die Männerstimme von eben rief: „Señor Sommer?“
Winner stand noch immer unschlüssig im Wohnzimmer vor der Terrassentür, als der Mann durch den Flur in das Wohnzimmer kam. Er blickte Winner an und sagte erneut: „Señor Sommer?“
Winner nickte nur.
Der Mann trug eine spanische Polizeiuniform. Er ließ Winner nicht aus den Augen und rief über seine Schulter etwas auf Spanisch, das wohl so viel bedeutete, wie „Er ist hier!“
Denn nun kam ein zweiter Uniformierter ins Wohnzimmer. Er hielt sogar seine Waffe im Anschlag und bedrohte Winner damit. Dann folgte ein Redeschwall des ersten Beamten, aus dem Winner entnahm, dass er verhaftet sei, sich anziehen und den beiden Beamten auf die Polizeistation folgen sollte.
Winner wusste aus seinem Einsatz auf Teneriffa, dass es keinen Sinn machte, mit spanischen Polizisten zu diskutieren. Wenn sie etwas sagen, dann muss man es machen, basta. Beschweren konnte man sich gegebenenfalls später.
Also zog Winner sich notdürftig an und steckte seinen Ausweis und sein Portmonee ein. Dann wurde er abgeführt. Ein Beamter ging vor ihm her, einer hinter ihm. Klar, dachte Winner, aus Sicherheitsgründen. Auf Handschellen hatte man - Gott sei Dank - verzichtet.
Am Tor stand, verlegen und irgendwie schuldbewusst, Ramona. „Ich konnte nichts machen“, sagte sie auf Deutsch. Woraufhin der zweite Beamte sie mit lauter Stimme zum Verstummen brachte. Wie bei uns, dachte Winner, mit Verdächtigen darf man nicht reden.
Auf der Straße stand ein Polizeiauto der Guardia zivil. Der vordere Beamte öffnete eine der hinteren Türen und bedeutete Winner einzusteigen. Dabei legte er seine Hand auf Winners Kopf und drückte ihn leicht nach unten. Warum machen die das immer? fragte er sich. Wollen sie verhindern, dass ich mir den Kopf stoße oder haben sie Angst, dass ich flüchten könnte?
In fast jedem Fernsehkrimi sieht man diese Geste immer wieder. Aber warum? Er konnte sich nicht erinnern, das auf der Polizeischule gelernt zu haben. Oder war es schon so lange her, dass …
Während der Fahrt redeten die Beamten über das Wetter, über Fußball und über das kommende Wochenende. Ihr Gefangener interessierte sie dabei nicht die Bohne. Man fuhr Richtung Haria. Soviel hatte Winner aus den Wegweisern erkennen können.
Winner überdachte seine Situation. Warum hatte man ihn verhaftet? War sein falscher Pass daran schuld? War der kleine Ganove Sebastian Sommer hier doch bekannt? Oder war sein Inkognito aufgeflogen? Musste er nun seine wahre Identität preisgeben? Das wollte er so lange wie möglich verhindern.
Irgendwann hielt der Wagen vor dem Eingang eines großen auffälligen Gebäudes, das Winner als die Polizeistation erkannte. Im Geleit der beiden Beamten wurde er die breite Eingangstreppe hinaufgeführt. Der Vordermann öffnete die Eingangstür. Nachdem sie hineingegangen waren befanden sie sich in einem riesigen Flur, von dem aus eine weitere breite Treppe ins obere Stockwerk führte. Sie traten gleich rechts in einen kleinen Raum, der genau so aussah, wie eine Wachstube in Deutschland: Ein Tresen, dahinter zwei Schreibtische, zwei Drehstühle, zwei ältere Telefone, ein Aktenschrank. An der rechten Seite vor dem Tresen stand eine einfache Holzbank. Der Beamte wies Winner an, dort Platz zu nehmen und sagte: „Uno Momento.“
Das hieß zwar genau genommen: „Einen Moment!“, aber Winner wusste, dass dieser „Moment“ durchaus sehr lang sein konnte. Und so war es dann auch.
Er war wohl tatsächlich etwas eingenickt, als er durch eine laute Männerstimme recht unsanft geweckt wurde: „Señor Sommer! Vamos!“
Wieder wurde Winner im Geleitzug der zwei Beamten geführt: Durch die Tür zur rechten, dann einen langen Gang entlang, eine Treppe hoch, wieder einen Gang entlang bis vor eine große braune Doppeltür. Der vordere Beamte klopfte, und als er von innen eine Stimme hörte, öffnete er die Tür, trat ein, salutierte und sagte ein paar Sätze zu einer Person, die Winner noch nicht sehen konnte.
Dann gab er Winner durch ein energisches Handzeichen zu verstehen, dass er eintreten sollte.
Winner betrat einen riesigen Raum, dessen Fenster durch Gardinen etwas abgedunkelt war. Zur Linken wurde der Raum von einem riesigen Schreibtisch dominiert. Dahinter saß in einem protzigen Sessel ein uniformierter Mann.
Er machte sich nicht die Mühe aufzustehen, als Winner nähertrat. Er blickte noch nicht einmal auf, sonder zeigte nur wortlos auf einen einfachen Holzstuhl vor dem Schreibtisch und studierte weiterhin intensiv eine Akte. Winner war unsicher, aber dann setzte er sich doch. Einer der Beamten, die ihn verhaftet hatten, lehnte sich an die Wand und wartete. Dann geschah erst einmal gar nichts.
Winner kannte diese Taktik aus vielen Verhören, die er selbst geführt hatte. So schüchtert man Leute ein, dachte er: Der protzige Schreibtisch, der unbequeme Holzstuhl und dann den Verdächtigen erst einmal warten lassen.
Winner nutzte die Gelegenheit um sich den „Chef“ der Polizeistation etwas näher anzusehen. Er war nicht mehr der Jüngste. Winner schätzte, dass sie vielleicht im gleichen Alter sein konnten, aber aus seiner Erfahrung mit den spanischen Kollegen auf Teneriffa wusste er, dass das Alter der Südländer sehr schwer einzuschätzen war. Der Mann hatte wohl einen höheren Dienstgrad, was er mit dem silbernen Schulterbesatz und diversen Orden und Ehrenabzeichen an seiner Uniform auch deutlich sichtbar machte.
„Señor Sommer?“,sagte er dann irgendwann urplötzlich. Winner nickte. „Oder soll ich Ronny Berg oder Dominik Krause zu Ihnen sagen?“ fragte er auf Deutsch.
Winner stutzte. Aha, dachte er, daher weht der Wind. Also war der echte Sebastian Sommer hier doch bekannt.
Der Mann fuhr fort: „Ja, mein Herr, so klein ist die Welt. Sie hatten wohl gedacht hier auf unserer entlegenen Insel untertauchen zu können. Aber wir sind hier auch