Frau mit rotem Hut. Erich Hübener. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Erich Hübener
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742798619
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      E-Mail

      Von: Polizeistation Flughafen

      An: Polizeistation Haria

      Betreff: Sebastian Sommer

      Danke für die Amtshilfe und für die Information. Unser Wachpersonal ist informiert. Sein neues Foto liegt bereits den entsprechenden Dienststellen aller kanarischen Inseln vor.

      Der Boss (3)

      Winner schlenderte noch ein bisschen durch Mala. Er schaute bei Pedro rein und kaufte ein paar Scheiben luftgetrockneten Schinken. Dann kehrte er bei Don Quijote ein und bestellte sich ein Abendessen: Gegrillte Dorade mit Papas arrugadas und einem gemischten Salat. Dazu trank er einen halben Liter des von ihm geschätzten Hausweins.

      Irgendwo in Deutschland klingelte ein Telefon. Eine etwas müde Männerstimme sagte: „Ja“.

      „Boss, hier ist…“

      „Keine Namen, du Idiot!“

      „Du hast doch gesagt, wir sollen auf ihn aufpassen, oder? Also, der Typ ist verhaftet worden. Ja, in echt. Die Bullen sind vorgefahren und haben ihn hopsgenommen.“

      „Und dann?“, wollte der Boss wissen.

      „Sie haben ihn mitgenommen nach Haria und verhört. Aber rausgekommen ist nix. Und dann haben sie ihm ein aktuelles Fot in seinen Pass gemacht.“

      „Waaas?“

      „Ja, Boss, die Bullen haben aus seinem falschen Pass jetzt einen echten gemacht. Jetzt hat er in seinem Pass ein Foto mit Bart.“

      „So `ne Scheiße!“, fluchte der Boss. „Aber woher wisst ihr das eigentlich alles?“

      „Ach, wir haben da so unsere Beziehungen. Einen der Bullen haben wir in der Hand, weil wir was über ihn wissen, was ihn seinen Job kosten würde, wenn es herauskommt. Und deshalb lassen wir uns von ihm mit allen möglichen Informationen füttern.“

      „Das ist gut. Und was macht unser Freund sonst so?“

      „Er hat sich ein bisschen in Haria herumgetrieben und die Palmen gezählt.“

      „Hat er es geschafft?“

      „Ich glaube nicht.“

      Der Boss dachte nach. „Ist schon eine eigenartige Type, dieser Kerl“ sagte er dann.

      „Ja, wir verstehen auch manches nicht.“

      „Also gut, oder besser gesagt, schlecht. Mir passt der Kerl gar nicht in meinen Plan. Seht doch mal zu, dass ihr ihn verscheuchen könnt. Zur Not müsst ihr eben ein bisschen Druck machen.“

      „Okay Boss. Ende und aus.“

      Der Falke

      Erst gegen Abend kehrte Winner in sein Haus zurück. Es dämmerte schon und wie auf Kommando wurde er von Cäsar mit Gebell begrüßt.

      „Ja“, sagte Winner, „pass du nur gut auf mein Haus auf.“

      Und auch jetzt meinte Winner eine ganz leichte Bewegung der Gardine im Nachbarhaus bemerkt zu haben. Er setzte sich noch ein bisschen auf die Terrasse, um die Abendluft zu genießen. Was gibt es doch für neugierige Leute, dachte er dabei. Stehen den ganzen Tag hinter dem Fenster um alles mitzubekommen, was im Nachbargarten passiert. Na gut, es kommt sicher nicht alle Tage vor, dass der Nachbar von der Polizei abgeholt wird. Aber sonst hatte er bisher doch nicht viel zu bieten gehabt, oder?

      Winner öffnete noch eine Flasche von dem guten Lanzarotewein und genehmigte sich zwei Gläser. Warum auch nicht? Jetzt war er ein von der spanischen Polizei anerkannter Ganove mit Aufenthaltsgenehmigung auf Lanzarote. Was wollte er mehr? Unter dem Etikett würde ihn kein deutscher Kollege suchen. Und das war schließlich Sinn der ganzen Aktion.

      Am nächsten Morgen war der Falke wieder da. Aber dieses Mal saß er nicht auf der hinteren Dachkante, sondern vorne am Rand oberhalb der Terrasse. Als er Winner erblickte, legte er sofort mit seinem Geschrei los. Scheint ihm geschmeckt zu haben, dachte Winner, ging an den Kühlschrank, schnitt sicherheitshalber gleich drei Stückchen vom Putenfleisch ab und begann mit der Fütterung. Der Falke reagierte sofort. Winner warf das Fleisch hoch, der Falke stürzte sich vom Dach und griff sich die vermeintliche „Beute“ im Flug. Ich werde ihn „Otto“ nennen, dachte Winner. Und bevor er das zweite Stück hochwarf rief er: „Otto!“

      Winner erinnerte sich an seine Zeit in Deutschland, als er junge Kollegen ausgebildet und ihnen dabei das Beispiel vom „Falken“ erzählt hatte. Und er wusste, dass sie ihn deshalb hinter seinem Rücken den „Falken“ nannten. Na ja, ein Schimpfwort war es ja gerade nicht, eher ein Kompliment, wenn man als Kriminalkommissar mit einem Falken verglichen wurde. Und während er Otto beim Fressen zusah dachte er darüber nach, wie es wäre, wenn man tatsächlich so lautlos wie ein Falke über seiner Beute schweben könnte. Ja, ein Hubschrauber konnte zwar wie ein Rötelfalke auf der Stelle schweben, aber nur unter Entwicklung einer enormen Lautstärke. Und das würde jede Observation unmöglich machen.

      Als er das dritte Stück Fleisch hochwarf rief er: „Zugriff!“ Und Otto stürzte sich sofort auf seine Beute.

      Nach dem Frühstück war er mit dem Fahrrad im Barranca de Tenegüime unterwegs. So nennt sich ein einsames unbewohntes Gebiet im Hinterland von Guatiza.

      Plötzlich bemerkte er im Vorbeifahren einen Schriftzug auf der Asphaltstraße. Er fuhr zurück, hielt an und besah sich die Schrift, konnte sie aber nicht entziffern. Es waren keine lateinischen Buchstaben, aber auch keine griechischen oder kyrillischen. Am ehesten erinnerte es an arabische Schriftzeichen. Vielleicht war es aber auch gar keine Schrift, sondern nur ein Symbol oder ein Hinweis. Linker Hand führte ein Feldweg aus Lavaschotter ins Gelände. Er mochte diese Wege nicht. Sie waren schwer zu befahren und wenn man im Gefälle bremsen musste, kam man leicht ins Rutschen und konnte stützen. Aber jetzt war sein Interesse geweckt und er bog ab. Zunächst geschah gar nichts. Der Weg schlängelte sich schier endlos durch das Gelände. Hier wuchs kaum etwas. Gerade mal ein paar Flechten auf den Steinen, oder kleine Wolfsmilchbüsche und Steinbrechgewächse.

      Aber dann fielen ihm ein paar größere Bäume auf, die abseits in einem kleinen Tal standen. Das war sehr ungewöhnlich für diese ansonsten recht trostlose Gegend.

      Er stellte sein Rad ab und folgte einem schmalen Fußweg. Als er näher kam, sah er, dass sich unter den Bäumen ein kleines Haus duckte. Es war im Grunde ein viereckiger Kasten mit einem flachen Dach und einem angebauten Wasserspeicher, so wie man sie auf Lanzarote häufig außerhalb der Orte in den unbebauten Gebieten findet. Die Bäume waren groß und schienen schon einige Jahre alt zu sein. Auf Lanzarote werden Palmen und Drachenbäume gerne rund um alleinstehende Häuser gepflanzt. Einerseits schützen sie vor dem Wind, der meist heftig aus nördlicher Richtung weht, und andererseits geben sie Schatten gegen die starke Sonneneinstrahlung.

      Das Haus war anscheinend schon lange nicht mehr bewohnt. Die zwei Fenster waren mit Brettern zugenagelt und die ehemalige Eingangstür war durch ein eisernes verrostetes Garagentor ersetzt worden. Daneben war an der weißen Wand das gleiche eigenartige Schriftzeichen zu erkennen, das Winner oben auf der Straße gesehen hatte. Er bemühte noch einmal sein photographisches Gedächtnis und prägte sich die Schrift ein. So war er in der Lage, später dieses Bild erneut aus seinem Gedächtnis abzurufen. Diese Fähigkeit hatte ihm früher bei seinen Ermittlungen sehr oft geholfen. Aber in letzter Zeit fiel es ihm immer schwerer. Heute wollte er es noch einmal wissen.

      Wer mochte früher hier in dieser Wildnis gewohnt haben? Ein Bauer sicher nicht, denn für landwirtschaftlichen Anbau eignete sich die Gegend ganz und gar nicht. Vielleicht ein Hirte, der mit seinen Schafen und Ziegen durch die Wildnis gestreift ist, dachte er. Oder ein Einsiedler, ein Eremit, der sich bewusst hierher in die Einöde zurückgezogen hatte.

      Winner zog es vor dem Weg nicht weiter zu folgen. Er wendete und erreichte nach wenigen