Noch etwa 50 km bis
- Amboise -
Wo wir am frühen Abend eintrudelten. Da wir am nächsten Morgen gleich mit der Besichtigung beginnen wollten, wählten wir unseren Stehplatz für die Nacht direkt unterhalb der mächtigen Umfassungsmauer des Schlosses. Der sich immer mehr verfinsternde Himmel ließ das graue, verwitterte Gemäuer noch düsterer erscheinen, die die Brüstung überragenden Baumwipfel verbogen sich in dem einsetzenden, unheimlich heulenden Sturm, und ein prasselnder Regenguss schlug einen ohrenbetäubenden Trommelwirbel auf unserem Dach. Wir ließen uns trotz dieses Ausbruches der Naturgewalten in aller Ruhe ein ausgiebiges Abendessen schmecken, angereichert mit köstlichen Appetithäppchen aus der Delikatessenabteilung des Supermarktes, dazu ein paar Gläschen Rotwein. Die dicke Kerze verbreitete wie immer ihr gemütliches Licht, der Kassettenrekorder lieferte die passende musikalische Untermalung, und die Welt war restlos in Ordnung.
Am nächsten Morgen war der Spuk vorbei, und die Sonne hatte wieder die Oberhand. Um das etwas erhöht liegende Schlossgelände zu erreichen, mussten wir uns zunächst zu Fuß mühselig eine langsam ansteigende Rampe emporarbeiten, entschädigt durch den Anblick der sie an beiden Seiten säumenden Blumenpracht; in unendlich langen Reihen voll erblühte rosa und rote Rosen, am Boden leuchtend gelbe Tagetes als dichter Teppich und direkt an der grauen Mauer, so weit das Auge blickte, das dekorative Blattwerk der Canna mit ihren wunderschönen hochstieligen flammendroten exotischen Blüten. Endlich oben angekommen, schlossen wir uns der nächsten deutschsprachigen 50minütigen Führung an.
Eingeleitet wurde sie mit der Besichtigung der kleinen aus weißgrauem Sandstein im Stil des ausgehenden 15. Jahrhunderts errichteten St. Hubertus Kapelle; aus der Mitte des kreuzförmig angeordneten steilen Daches aus hellgrauen Blechplatten erhebt sich ein hoher schlanker Turm, im unteren Bereich geschmückt durch gewaltige Geweihe, auf der Spitze ein in der Sonne blitzendes goldenes Kreuz; der Dachfirst verziert mit fein ziselierten Metallgittern; eine umlaufende steinerne, in hübschen Mustern durchbrochene Balustrade ist an allen Ecken gekrönt von zierlichen, Kreuze tragenden Türmchen aus demselben Material, und gewaltige Wasserspeier sorgen für eine geregelte Entwässerung.
Innen findet man wunderschöne aus Stein gehauene Ornamente, ein wahres Spitzengewebe, und an der Giebelwand ein großes von flämischen Künstlern geschaffenes Gemälde, u. a. den Erbauer der Kapelle, Karl VIII. und seine Ehefrau, die Königin Anna von der Bretagne, darstellend, knieend zu beiden Seiten der Jungfrau Maria, darunter die beiden Heiligen Christophorus und Hubertus. Eine Gedenktafel erinnert daran, dass die Gebeine Leonardo da Vincis dort ruhen. Dieser vielseitige italienische Künstler, ein berühmter Maler, Bildhauer, Baumeister, Naturforscher und Erfinder folgte im Jahre 1516 im Alter von 64 Jahren der Einladung König Franz I. nach Amboise, wo dieser ihm das gleich nebenan liegende kleine Schlösschen Clos Lucé als Residenz zur Verfügung stellte, in dem er die drei Jahre bis zu seinem Tode 1519 lebte und arbeitete.
Es führte zu weit, die ganze Reihe der königlichen Erbauer und Bewohner dieser riesigen Schlossanlage aufzuführen, die an der Stelle eines römischen Kastells entstand und immer wieder durch Anbauten und etliche Türme, teils wuchtig, teils zierlich aufragend, erweitert wurde und sich entsprechend verschachtelt, doch mit seinen hellen Sandsteinmauern und den steilen, dunklen Dächern sehr pompös darbietet; dicht nebeneinander kunstvoll ausgebaute Erker, mit unzähligen Türmchen verziert. Da unser Führer jedoch vorwärts drängte, die nächste Gruppe enterte bereits die Kapelle, blieb uns noch nicht einmal Zeit für ein Foto, da man, um wenigstens einen ansehnlichen Ausschnitt zu erhalten, sich viel zu weit hätte entfernen müssen. Also folgten wir ihm brav in das prunkvolle Innere, hinter uns wurde sofort die Tür abgeschlossen.
Wie sehr hätten wir es begrüßt, wenn wir all die Kostbarkeiten in Ruhe hätten in uns aufnehmen können, aber wie es halt so ist bei geführten Besichtigungen, man wurde mit so viel überflüssigen Daten und Namen überschüttet, dass einem schon nach kurzer Zeit der Kopf schwirrte. Als wir etwas länger vor einem der kostbaren Aubussons, mit herrlichen Motiven gestaltete Gobelins, verweilten, verloren wir prompt den Anschluss, fast vor unserer Nase wurde die Tür in den nächsten Saal zugeschlagen und abgeschlossen. Als wir zusammen mit drei anderen Kunstgenießern durch heftiges Klopfen protestierten, wurde nach einiger Zeit widerwillig geöffnet, da kommt Freude auf! Wir ließen uns jedoch die Laune nicht verderben, zu viel Schönes gab es in den hohen Sälen zu sehen, säulengeschmückte Kamine, über manchen beeindruckende Wappen, edles Mobiliar aus dem 15. Jahrhundert, mit feinstem Porzellan gefüllte Kredenzen, mit kunstvollen Intarsien gearbeitete Truhen aus der Renaissancezeit (16. Jahrhundert), und überall an den Wänden wunderschöne Teppiche verschiedener Provenienz.
Den Aufstieg in die nächste Etage ersparte sich mein Schatz und ließ sich auf einem eilends herbeigebrachten Stuhl nieder, während ich brav den Schilderungen unseres Fremdenführers folgte. Dieses Stockwerk ist überwiegend geprägt von seinem späteren Bewohner, dem 1830 nach dem Sturz Karl X. auf den Thron gelangten Bürgerkönig Louis-Philippe, der das Schloss als Sommerresidenz nutzte und zu diesem Zweck neu einrichtete; die ebenfalls wunderschönen Möbel überwiegend im klassizistischen Empirestil aus jener Epoche, an den Wänden eine umfangreiche Ahnengalerie, die gesamten Mitglieder seiner Familie darstellend.
Zum Abschluss erstiegen wir auf spiralförmiger Treppe einen der Türme, von dessen oberer Plattform wir einen schönen Ausblick auf die Hauptfassade des Schlosses, einen Teil des Städtchens und die träge dahinfließende, von dunkelgrünen Laubbäumen gesäumte Loire genießen konnten. Auf die eisernen Balkons vor dem Staatssaal hinweisend, gab uns der Führer noch eine kurze Schilderung der Rechtsgepflogenheiten im 16. Jahrhundert, als man z.B. die Hugenotten nach der Verschwörung von Amboise im Jahre 1560 dort kurz aburteilte und einige von ihnen einfach sofort an den Brüstungen aufhängte, während die anderen im Hof des Schlosses enthauptet wurden. Mit dieser wenig erbaulichen Schilderung war die Führung beendet, und wir machten uns auf den langen Rückweg zu unserem Mobi, in dem wir uns zunächst bei Tee und leckeren Sandwiches, die wir in einem nahen Kiosk erstanden, erfrischten, bevor wir wieder aufbrachen, natürlich weiter am Ufer der Loire entlang.
Schon nach etwa 35 Kilometern kam das nächste Schloss in Sicht, ein wuchtiges Bauwerk hoch über der kleinen Stadt Blois. Da im Laufe von vier Jahrhunderten an der Errichtung und Erweiterung mehrere Herrscher beteiligt waren, stammen die Teile aus den unterschiedlichsten Epochen. Vom gegenüberliegenden Ufer aus hatte ich die Chance, wenigstens den ganzen Koloss aufs Foto zu bannen. Etwa 20 Kilometer weiter östlich das mit einer Grundfläche von 117 m x 157 m größte und gleichzeitig prächtigste aller Loire-Schlösser, Chambord, sich sehr dekorativ am Ufer des Casson hinziehend. Das Bauwerk, ebenfalls aus hellem Sandstein mit dunkelgrauen total verschachtelten Dächern, aus denen Hunderte von verschieden geformten Türmen und Kaminen in den unterschiedlichsten Höhen hervorragen, dessen Grundstein Franz I. 1519 legte und das schließlich nach mehr als 150 Jahren unter Ludwig XIV. vollendet wurde, zählt 440 Zimmer und Säle. Nach der Erfahrung in Amboise schenkten wir uns eine Besichtigung, fuhren aber so nahe wie möglich an das Schloss heran, durch die große gepflegte Parkanlage mit seinen weiten, von herrlichen alten Bäumen bestandenen Rasenflächen, eingestreut wunderschön gestaltete Blumenbeete, um dann in aller Ruhe das einmalige architektonische Gewirr auf uns wirken zu