Vom Hohen und Tiefen und dem Taumel dazwischen. E. K. Busch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: E. K. Busch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738078640
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Vater. Das war eine Tatsache.

      Das Geklimper verlor sich zögerlich und kurz darauf setzte sich ein anderer Student auf den Hocker. Er hatte, wie Toni fand, eine ziemlich geleckte Frisur, machte jedoch schon mit seinem ersten Anschlag deutlich, dass er geschickt war am Klavier. Dabei allerdings setzte er sich ziemlich in Szene. Sie war der Meinung, dass er dennoch passabel spielte. Nur hatte sie nicht sonderlich viel übrig für diese Art von leichtem Pop, der harmonisch und konturlos dahinplätscherte. Immerhin aber verlieh der verstimmte Klang dem Stück eine ungewohnte Tiefe und Toni musste an ein Klavier auf dem Meeresgrund denken, auf dem sich bereits Muscheln und Seegras angesiedelt hatten. Sie verdrängte den abgeschmackten Gedanken und nahm einen weiteren Schluck Caipirinha. Zufrieden stellte sie fest, dass tatsächlich nichts mehr Störendes war an dem Geschmack.

      Sie war gerade dabei, ihren Strohhalm tanzen und die Eiswürfel in ihrem Glas wild klimpern zu lassen, als die Klaviermusik jäh abbrach und sie ein wenig verärgert zu dem Pianisten hinüberblickte.

      «Soll das ein Scherz sein?», fragte dieser und starrte erbost einen weiteren Mann an, der keinen Meter neben dem ramponierten Instrument stand und breit grinste. Toni identifizierte ihn mit einigem Schrecken als genau den Mann, den sie vor ein paar Wochen erst mit Frida beobachtet hatte. Einen Moment verlor sie sich in gräulichen Szenen. Diffuses Licht. Zwei feuchte Augäpfel in schattigen Höhlen. Fridas helles Puppenhaar. Zwei Hände. Nackte Haut. Nacktes Fleisch. Sie musste sich zusammenreißen, um die Erinnerungen zurückzudrängen. Unwillkürlich schoss ihr das Blut in die Wangen. Sie schluckte schwer. Sie war sich absolut sicher, ihn wiederzuerkennen. Auch wenn seine Haare in diesem Licht nun heller schienen, von einem undefinierbaren Dunkelblond, und er kaum älter wirkte als Toni selbst. In seinem grauen Hemd und der dunklen Hose machte er zudem einen deutlich seriöseren und weniger rabiaten Eindruck.

      «Nur eine kleine Erkenntlichkeit für deine rührende Darbietung.» Es war eine tiefe und feste Stimme.

      Der Klavierspieler erhob sich und schüttelte zornig den Kopf. Der Hocker wurde dabei peinlich knarzend nach hinten geschoben. Einen Moment herrschte Schweigen, dann schenkte der Pianist anderen eine verächtliche Grimasse und wandte sich zum Gehen. Der andere aber stand noch immer da, ein Lächeln im Gesicht und folgte dem Abgang des Klavierspielers (der sie nun so eben passierte) mit deutlicher Zufriedenheit. Als sein Blick dabei auf Toni fiel, schien er überrascht und sein Lächeln wich einer skeptischen, beinahe ungläubigen Mine.

      Toni starrte beschämt auf ihre Füße hinab.

      «Du hast mich neulich beobachtet, oder nicht?» Er stand nun direkt vor ihr und es schien ihr zwecklos, ihm jetzt noch ausweichen zu wollen. Daran hätte sie früher denken sollen.

      Einen ganzen Moment schwieg sie. «Es war sicherlich nicht meine Absicht. Ich konnte ja nicht wissen, dass überhaupt jemand im Zimmer war. Natürlich ist es nicht in Ordnung gewesen. Ich will mich gar nicht rechtfertigen.» Sie hatte sehr leise und hastig gesprochen und setzte nun etwas gefasster hinzu: «Weiß Frida denn auch Bescheid?»

      Er schien unbeeindruckt von ihren Worten und auch auf ihre Frage schien er nicht eingehen zu wollen. Trotzdem ließ er sie nicht aus den Augen. «Ich musste seitdem ein paar Mal denken an dich», sagte er dann.

      Toni blickte betreten auf. Sie stellte fest, dass er sie ein wenig amüsiert ansah aus seinen grauen Augen. Ihr fiel eine kahle Stelle in seiner linken Braue auf. Sie war erleichtert, diesen Makel aufgespürt zu haben. Das machte es ihr leichter, seinem forschendem Blick standzuhalten.

      «Du warst eine ziemliche Erscheinung an diesem Abend», erklärte er nun und ein trockenes Lächeln spielte um seine Lippen. «Es war beinahe besorgniserregend.»

      Als sie ihn lediglich unverwandt anstarrte, setzte er beiläufig hinzu: «Jedenfalls ist es beruhigend, dich noch einmal wiederzusehen. Das bringt die Dinge wieder ins Gleichgewicht.»

      Sie wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte.

      «Lorenz», stellte er sich vor.

      Sie brauchte einen Augenblick, sich zu sammeln. Das Gespräch verunsicherte sie und brachte sie noch dazu in Verlegenheit. Sie hatte keine Ahnung, warum er sie überhaupt angesprochen hatte, geschweige denn, ob er auf etwas Bestimmtes hinauswollte. Irgendetwas an seinem Blick weckte ihr Misstrauen. «Toni», erwiderte sie knapp. «Eigentlich Antonia.»

      «Und wieso, Toni, stehst du hier so halb hinter der Tür? Es scheint mir kein sonderlich gutes Versteck.» Sein Ton war nüchtern, verriet jedoch zugleich eine gewisse Belustigung.

      Sie zögerte einen Moment, fragte dann mit einiger Zurückhaltung: «Ich könnte dich ebenso gut fragen, wieso du diesem selbsternannten Pianospieler dein Kleingeld ins Glas geworfen hast.»

      Er schien verwundert, worauf sie hinzufügte: «Man braucht doch keine Frage zu stellen, auf die man ohnehin schon die Antwort kennt.»

      «Ist das so?» Er wirkte skeptisch. «Ich kann nicht sagen, dass ich diesbezüglich mehr als eine wage Vermutung hätte.» Er setzte ein charmantes Lächeln auf.

      Toni wandte beschämt den Blick ab. Sie war es nicht gewöhnt, so angelächelt zu werden. Außerdem bedrängte sie sein aufmerksamer Blick. «Ich glaube, dass es mehr als offensichtlich ist, warum ich hier hinter der Tür stehe», erklärte sie schließlich. «Weil ich Angst habe, dass mich jemand in ein Gespräch verwickeln könnte. Weil ich nicht weiß, was ich mit den Leuten reden soll.» Sie haderte einen Moment, setzte dann hinzu: «Und was den Klavierspieler betrifft: Du hast ihm dein Kleingeld ins Glas geworfen, weil es dich geärgert hat, wie er sich wichtig machen wollte.»

      Nun schien er belustigt, fragte dann recht unumwunden: «Aber das ist nicht alles, oder? Sicherlich hast du eine Vermutung, warum mich sein Verhalten geärgert hat.»

      Toni blickte ein wenig betreten auf ihr leeres Glas hinab. «Ich nehme an, dass du es nicht ausstehen kannst, wenn sich jemand in den Vordergrund drängt. Denn wie ja doch unschwer zu erkennen ist, ist das üblicherweise dein eigenes Metier.»

      Er schien ihr diese Sicht der Dinge nicht übelzunehmen, wandte jedoch nach einem Moment des Überlegens ein: «Ich kann nicht sagen, dass du gänzlich daneben liegst damit. Aber ich finde trotzdem nicht, dass es jeweils den Kern der Sache trifft.»

      Ihr war ein wenig unbehaglich zumute, doch er fuhr ungerührt fort: «Nehmen wir zu erst einmal dein Versteckspiel hier in der Ecke. Trotz einer offensichtlichen Verunsicherung scheinst du nicht gerade auf den Mund gefallen. Ich würde daher eher vermuten, dass dein Verhalten auf einem allgemeinem Unwohlsein in größerer Gesellschaft beruht. Weil du dich gerade dort besonders einsam fühlst. Denn das ist immer das größte Risiko auf jeder Party.»

      Toni sah ihn ausdruckslos an.

      Er hob die Arme und setzte hinzu: «Und nun zu mir: Ich kann nicht sagen, dass mich das Verhalten dieses Kerls wirklich geärgert hat, denn dazu müsste ich ihn und sein schnulziges Geklimper zumindest einigermaßen ernst nehmen.» Er warf ihr einen vielsagenden Blick zu. «Nein, ich würde eher sagen, dass ich sein Verhalten als eine Art Einladung verstanden habe.»

      Als sie ihn kritisch musterte, machte er sie lediglich darauf aufmerksam, dass ihr Glas leer war. Er meinte gleichmütig, sie solle ihm in die Küche folgen, und da er sich da bereits auf den Weg gemacht hatte und die Musik zu laut war, etwas einzuwenden, folgte Toni ihm widerwillig. Im Gehen stellte sie fest, dass ihr der Alkohol bereits zu Kopf gestiegen war. Sie ärgerte sich über ihren Leichtsinn. Bedächtig setzte sie einen Fuß vor den anderen.

      Als er die Küchentheke erreicht hatte, blickte er belustigt zu ihr hinüber. «Wie viele dieser Cocktails hast du denn bereits getrunken?» Er deutete auf ihr Glas.

      «Zwei», entgegnete Toni. «Ich denke auch, dass ich es dabei belassen werde.»

      Lorenz hob gelassen die Arme und einen Moment war sie fast ein wenig verwundert. In ähnlichen Situationen hatte sie sehr forsch werden müssen, ehe man ihre Zurückhaltung missbilligend hingenommen hatte. Als gehöre es zum guten Ton, über die Stränge zu schlagen.

      Er jedoch wandte lediglich ein: «Es stört dich doch nicht, wenn