Nach wenigen Momenten gab ihm David seinen Ausweis zurück.
„Alles klar. Sie können passieren. Einen schönen Tag noch, Mr. Stevens.“
„Danke David, Ihnen ebenfalls.“
Mike steuerte den Wagen auf den Parkplatz und musste feststellen, dass sich in seiner Abwesenheit einiges geändert hatte. Sämtliche Parkplätze verfügten nun über eine durchgängige Überdachung, auf denen Sonnenkollektoren angebracht waren. Etwas verblüfft parkte er den Wagen, freute sich aber schon darauf wenn er am Abend, nicht in ein völlig überhitztes Auto steigen musste. Der Eingang des Gebäudes war in wenigen Minuten zu erreichen. An einem kleinen See war ein Raucherpavillon aufgestellt. Wenigstens hier war noch alles beim Alten geblieben. Im Pavillon stand Carlos, einer von Mikes Kollegen. Carlos war ein Kettenraucher wie er im Buche steht. Wenn er zum Rauchen nach draußen ging, steckte er sich immer drei Zigaretten hintereinander an. Das hielt dann für ungefähr eine Stunde an. Dann wieder drei Zigaretten, mindestens. Aber Carlos war auch ein begabtes Genie in Sachen Computernetzwerke. Er konnte sich in fast jedes Netzwerk hacken. Er war fast süchtig nach dem Moment, wenn er erfolgreich ein Netz penetrierte. Solche Leute konnten hier gebraucht werden. Schade eigentlich, wenn sie frühzeitig an Lungenkrebs starben, aber das war ein anderes Thema.
„Carlos, schön dich noch unter den Lebenden zu sehen. Mein Ratschlag das Rauchen aufzuhören, scheint ja noch nicht gefruchtet zu haben.“
„Du musst gerade reden. Ich glaube, es ist gesünder drei Schachteln am Tag zu quarzen, als sich monatelang in die Höhle des Löwen zu begeben.“
Der Vergleich hatte was. Mike gefiel die spontane Art von Carlos. Immer einen Spruch auf Lager. Carlos war mit seinen Einmetersiebzig etwas kleiner als Mike. Sein volles Gesicht und die ungepflegte Haut deuteten auf eine ebenfalls nicht gerade gesunde Lebensweise hin. In sämtlichen Fast Food Filialen seiner Wohngegend kannte man ihn und schätze ihn als treuen Kunden. Die mexikanischen Wurzeln seiner Eltern sah man an seiner etwas dunkleren Hautfarbe. Der Dreitagebart rundete das Klischee ab.
„Wo hast du dich denn eigentlich genau herumgetrieben?“, wollte Carlos wissen.
„Das weißt du doch. Wenn ich dir mehr erzählen würde, müsste ich dich erschießen.“
„Komm sag schon, ich kann schweigen wie ein Grab. Auch ohne erschossen zu werden.“ Carlos setzte ein breites Grinsen auf, so dass man seine zwei goldenen Zähne erkennen konnte.
Carlos ließ nicht locker. „Hast du deine arabischen Kenntnisse auf Vordermann gebracht?“
Mike musste sich an eine herrlich komische Szene erinnern. Er ging mit Carlos in ein persisches Restaurant und brachte ihm vorher ein paar Wörter bei. Mike sagte ihm „Das sieht sehr gut aus“ hieße „Balla biaram“. Als der Kellner den beiden das Essen auf den Tisch stellte, wollte Carlos mit seinem neu gelernten Satz punkten. Der Kellner lief rot an und Mike sagt zum Kellner etwas was die Situation entschärfte. Carlos‘ Worte hießen übersetzt nämlich „Soll ich kotzen?“. Mike meinte zum Kellner, Carlos lernte gerade die wundervolle Sprache, habe sich aber wohl in der Aussprache vertan und gemeint „das sieht sehr lecker aus“ was etwas ähnlich klang. Das gleiche sagte er auch zu Carlos. Innerlich wäre Mike fast geplatzt und musste ein Lachen unterdrücken.
„Tja, Carlos, da kann ich dir nur eins sagen: Ta farda.“ Mike gab Carlos noch ein Klaps auf die Schulter, drehte sich um und ging in das Gebäude.
Carlos sah Mike noch kurz hinterher, rauchte die Zigarette fertig und entschloss sich eine vierte anzustecken. Sagt der doch „bis morgen“ zu mir, dachte er. An die Übersetzung dieses Satzes konnte er sich nämlich noch erinnern. Der war bestimmt irgendwo im Iran.
Mike verschwand in einem unauffälligen Gebäude. Gleich würde er die zweite Sicherheitsschleuse passieren. Von außen sah man nur einen zweistöckigen Komplex. Was sich allerdings im Boden befand, blieb jedem Beobachter verborgen: Fünf Etagen im Keller, jede vollgepackt mit Technik und Mitarbeitern der wohl geheimsten Abteilung von Homeland Security. Am Rande eines etwas weiter entfernten Ortes von Los Angeles. Obwohl man für amerikanische Verhältnissen vielleicht sogar noch das Wort Vorort benutzen könnte. Das Areal war mit einem unauffälligen Zaun umgeben. Kleinste Kameras, Bewegungs- und Drucksensoren, sowie unsichtbare Lasergitter ließen nicht einmal eine Maus unbemerkt näher kommen.
Die Anti Terror Abteilung bekam ihre Aufträge in der Regel vom obersten Management von Homeland Security. Von ihrer Existenz wussten nur die wenigsten. Nicht einmal der Präsident der Vereinigten Staaten wusste von deren Existenz, geschweige denn von einem Mitarbeiter.
Zumindest noch nicht. Das sollte sich in wenigen Monaten ändern. Bald würde er in direkten Kontakt mit der Abteilung stehen und Befehle geben.
Die Abteilung kam dann ins Spiel wenn bei allen anderen Organisationen, wie das FBI oder der CIA, selbst die besten Männer nicht mehr weiter wussten. Oder wenn rechtliche Aspekte im Wege standen. In der Regel arbeiteten die Kollegen im Inland und überwachten verdächtige Zielpersonen. Aber auch ausländische Einsätze werden von ihr durchgeführt. So wie gerade bei Mike.
Im Ernstfall war es auch diese Abteilung, die, nach dem Präsidenten, das Sagen hatte. Sämtliche Kommunikation und Koordination aller Kräfte würden dann von ihr geregelt. Bisher war dieser Fall seit ihrer Gründung im Jahr 2002 nicht eingetreten. Auch dies sollte sich in wenigen Monaten ändern.
3
Am nächsten Morgen stand Ali Akbar etwas früher auf als sonst. Wie in fast allen Orten in diesem Land ließ er die Kaffeemaschine laufen und gönnte sich eine heiße Tasse des koffeinhaltigen Getränks. Dazu aß er die typisch amerikanischen Bagels mit Frischkäse. Nach dem Frühstück rasierte er sich und putzte sich die Zähne. Von außen betrachtet erschien Ali wie ein typischer amerikanischer Durchschnittsbürger. Im Inneren allerdings formierten sich Gedanken, die die Vereinigten Staaten in ihren Grundmauern erschüttern sollten.
Um halb acht rief er bei seiner Firma an und meldete sich krank. Er sagte, er wolle noch beim Arzt vorbeischauen, hoffte aber, dass es nichts Ernstes sei und morgen wieder auf der Matte stünde. Ali liebte landestypische Redewendungen. Er wirkte wie ein perfekt integrierter Gastarbeiter.
Kurz nach dem Telefonat verließ Ali seine Wohnung. Er ging wie jeden Morgen zu seinem Kiosk und kaufte eine Zeitung, die „USA today“. Dieses Blatt lasen viele Amerikaner und es hatte ein praktisches Format, einige Bilder und leicht verständliche Texte. Ali hasste Zeitungen, die man von vorne bis hinten lesen musste und nachher trotzdem kein Wort verstanden hatte.
„Hey Ali, du schaust gut erholt aus. Wirkst ja richtig glücklich.“ Tom, der Zeitschriftenhändler, kannte Ali schon seit mehreren Monaten. Für ihn war Ali ein treuer Kunde, der sich wie er auch für Baseball und Football interessierte.
„Du weißt doch, die 49ers haben gestern so richtig das Haus gerockt. Ich fand das Spiel Klasse. Hast du es auch verfolgt?“
„Nein, leider nicht. Meine Frau war mit ihren Freundinnen aus und ich musste auf die Kinder aufpassen. Shit happens.“
„Du sagst es. Aber weißt du was? Beim nächsten Spiel kaufe ich uns Karten und wir gehen rüber ins Stadion. Wäre das nicht eine tolle Entschädigung?“
„Wow, das wäre Klasse. Ali, du bist ein guter Mensch. Ich wünschte es gäbe mehr von deiner Sorte.“
Mit einem heimlichen Grinsen verabschiedete sich Ali von Tom. Er wusste genau, dass es zu diesem Termin nicht kommen würde. Genauso wenig wie er sich gestern dieses alberne Spiel angeschaut hatte. Aber es machte einen guten Eindruck, wenn man sich für die lokalen Sporthelden interessierte.
Mit der Zeitung unter seinem Arm bestieg Ali die BART, die Nahverkehrsverbindungen in der San Francisco Bay Area. In Oakland, seinem Wohnort, war er nur wenige Meilen von Downtown San Francisco entfernt. Er schätzte die doch verhältnismäßige ruhige Stadt und den Vorzug binnen Minuten in der seiner Meinung nach wohl schönsten und beeindruckendsten Stadt der USA zu sein.