Impressum
Copyright: © 2015 epubli
Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de
ISBN: 978-3-7375-7691-8
Vorwort
Was passiert, wenn ein Protagonist systematisch das Alltagsleben anderer durchdringt, sie beobachtet und dabei selbst Teil des großen Ganzen wird? An welche Orte, Kulturen oder Randgebiete verschlägt es ihn? Was erfährt er über das eigene Leben?
Zahlreiche Autoren haben sich in den vergangenen Monaten Gedanken zu diesen Fragen im Rahmen unseres Schreibwettbewerbs gemacht und die Ergebnisse sind ebenso unterschiedlich wie kreativ. Die 25 Geschichten der Gewinner des Schreibwettbewerbs konnten Sie in der Anthologie “Feldforschung” als eBook lesen.
Für das Projektteam, Tanja Steinlechner der Autorenschule Schreibhain in Berlin und Isabelle Knapp von epubli, war das Lesen der vielen Kurzgeschichten vor allem mit einem verbunden: Spaß! Es waren unheimlich spannende und schöne Stunden, in denen wir all die verschiedenen Geschichten lesen durften. Daher möchten wir uns bei allen Teilnehmern und bei Ihnen, lieber Leser, bedanken!
Die gesamten Erlöse der Anthologie möchten wir Valerian Arsène Verny, Literaturstiftung für Kinder und Jugendliche im Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft spenden. Diese Stiftung unterstützt und fördert literarisch begabte Kinder und Jugendliche.
Natürlich möchten wir Ihnen die Gewinner nicht vorenthalten:
Der erste Preis ging an Christa Alahmed aus Berlin. Frau Alahmed hat bereits Anfang Oktober ihren Preis angenommen und absolviert zurzeit eine 18-monatige berufsbegleitende Autorenausbildung im Schreibhain. Ihre Geschichte “Marwa” über die Flucht aus einem Kriegsgebiet hat uns sehr berührt.
Den zweiten Platz teilen sich Kavitha Rasch und Julia Hagenkötter. Beide gewinnen ein einstündiges, intensives Schreibcoaching durch den Schreibhain. Frau Rasch überzeugte uns mit ihrer Geschichte “Schicksalhaftes Päckchen” und Frau Hagenkötter mit der Geschichte “Gruppenbild”.
Inhaltsverzeichnis
Feldforschung - Eine bedeutende Sache
Wer im Herbst sät, wird im Sommer nichts ernten
Marwa
Christa Alahmed
Zwei große Koffer stehen an der Wohnungstür, neben dem Kinderwagen. Die Luft ist voll von Staub und Lärm, der durch die geborstenen Fenster ins Innere der Wohnung dringt.
Marwa sitzt im kleinen Flur zwischen Bad und Schlafzimmer auf der Erde. Ein Säugling liegt in ihrem Schoß. Die leise vor sich hin wimmernden größeren Kinder, drei und vier Jahre alt, schmiegen sich ängstlich an sie. Hört das denn nie auf, denkt sie bei jeder neuen Detonation. Es geht weiter, immer weiter. Neben der Angst steigt Panik in ihr auf, als sie an den berstenden Knall denkt, der das Haus erbeben und die Fenster splittern lassen hat. Die Schritte ins Kinderzimmer haben eine lähmende Ewigkeit gedauert. Durch die von der Druckwelle halboffenstehenden Tür, hat sie ihre Kinder schlaftrunken und verständnislos, aber Gott sei Dank unverletzt in ihren Betten sitzen sehen. Die scharfen Glassplitter hatten sie nicht erreicht. Das Rollo und die dichten Vorhänge haben die Katastrophe verhindert. Das war in den frühen Morgenstunden. Jetzt ist es mittags.
Endlich schweigen die Waffen!
Dima, die Tochter, ist vor Erschöpfung eingeschlafen. Ihr jüngerer Bruder Omar, hat Hunger und Durst. Behutsam legt Marwa den Säugling neben sich auf eine Decke und erhebt sich langsam. Sie geht in die Küche. Omar folgt ihr. Es knirscht unter ihren Füßen, als ob sie über verschütteten Zucker laufen würden. Sie dreht den Wasserhahn auf. Es kommt klares Wasser, stellt sie mit Erleichterung fest. Sie muss es trotzdem abkochen und umfüllen, für später. Jetzt rüttelt sie an der großen Gasflasche und versucht sie anzuheben. „Es ist noch genug Gas drin“, murmelt sie aufatmend vor sich hin.
„Mama, ich habe Hunger!“, weint Omar. Sie wickelt süßes Halawa in ein Stück Fladenbrot und besänftigt ihn damit. Nun muss sie sich beeilen, denn sie weiß nicht wie lange die Feuerpause anhält.
Sie füllt den größten Topf mit Wasser und stellt ihn auf den Herd. Es folgen noch zwei kleinere Töpfe. Einer ist für Nudeln, die gehen am schnellsten. Den anderen braucht sie um das restliche Milchpulver anzurühren. Sie steht vor dem Herd und wartet, dass das Wasser zu kochen beginnt. Ihrer schlanken Figur sieht man nicht an, dass sie drei Kinder geboren hat. Große dunkle Augen, in denen sich ihr Leid und ihre Sorgen spiegeln, liegen in ihrem schmalen