»Wir hören trotzdem zu«, ermahnte die vierte Hexe ihre Zirkelschwestern, sie stand auf und warf ihr langes, glattes Haar zurück, das im Schein der Fackel maisgolden leuchtete.
Mit ihrem Wort brach der magische Sog ab, der Rahff fast dazu gebracht hätte, hier und jetzt die Hose runter zu lassen, um dem ketzerischen Weib durch die Gitterstäbe zu Willen zu sein.
»Ihr seid gekommen, um uns einen Pakt anzubieten«, wusste die Hexe mit dem blonden Haar sofort, die anderen drei Weiber hielten ihre Münder, während sie hinter die Gitterstäbe trat und Rahff aufmerksam ins Auge fasste. »Wir sollen Euch die Macht verleihen, einen Blutdrachen zu töten.«
Sie wirkte völlig kalt, während sie darüber nachdachte, und ihre Zirkelschwestern stumme, nervöse Blicke austauschten.
»Ganz recht«, bestätigte Rahff langsam, er fühlte sich nicht wohl dabei, dass sie seine Gedanken bereits erraten hatte. Andererseits war es wohl auch nicht schwer, herauszufinden, was sein Herz nach den letzten Ereignissen am meisten begehrte.
»Im Gegenzug«, versprach er ihnen, »verschone ich eure Leben.«
Sie betrachtete ihn stumm, jedoch vermochte er nicht, in ihren eisernen, kalten Mienen zu lesen, was sie dachten.
»Ich lasse euch frei«, wiederholte er etwas deutlicher, als seien sie schwer von Begriff, »ihr könntet gehen, zurück in den Wald, wenn ihr möchtet. Ich werde Sorge dafür tragen, dass euch nichts geschieht.«
Lange starrte die blonde Hexe ihn an, blinzelte nicht einmal, während ihre Augen die seinen durchforsteten. Er hielt dem Blick stand, zuckte nicht zurück, senkte nicht den Kopf.
Ihre Mundwinkel hoben sich leicht, es wirkte beinahe wie ein Lächeln. »Ich sehe, ihr sprecht reinen Herzens. Es ist die Wahrheit.«
Rahffs Herz schlug schnell in der Brust, er hätte es nicht für so einfach gehalten. »Dann … können wir übereinkommen?«
Doch sie legte bedauernd den Kopf schief. »Oh, armer Rahff, so unwissend.« Sie hob die Arme und legte die Finger um die Gitterstäbe, ihr schmales Gesicht schob sich in die Lücke zweier Stäbe direkt auf sein Gesicht zu.
Er sog ungewollt ihren Duft ein, sie roch nach Lavendel.
»Er hat Euch gezeichnet«, sagte sie mit leiser, ehrfurchtgebietender Stimme und streckte die Hand nach seinem Gesicht aus.
Rahff zuckte unwillkürlich harsch zurück. Sie zog die Hand wieder ein, doch ihre Augen funkelten voller Bewunderung für die Narbe, die Rahff abgrundtief hasste.
»Ich kann die Macht noch spüren, die dem Drachenflügelschwert anhaftet«, hauchte sie, erzittert erregt dabei. »Ich schmecke die Macht, die Eurem Feind anhaftet, durch Eure Wunde. Welch süßer Geschmack. Der Blutdrache! Er ist wahrlich zurück in diese Welt gekehrt.«
Wütend über die Ehrfurcht der Hexe knurrte Rahffs: »Ich hätte Euren Blutdrachen besiegt und getötet.«
»Aber Ihr habt es nicht getan«, bemerkte sie leise lächelnd. »Und jetzt ist es zu spät. Was Ihr auch tut, Ihr könnt die Schlacht um die Krone nicht mehr abwenden. Ihr könnt kämpfen, aber selbst wenn Ihr gewinnt, bleibt Euch nur die Krone. Ihr werdet restlos alles verlieren, dass Euch Menschlichkeit verleiht. Jeden Menschen, der Euch etwas bedeutet. Jede Hoffnung.«
Rahff sah sie drohend an. »Ihr werdet sterben, wenn Ihr nicht-«
»Euer Schicksal ist besiegelt«, hauchte sie ihm überheblich zu. »Der verborgene Erbe wird sich erheben, um nach all der Zeit endlich sein Erbe zurückzufordern. Er wird den Thron besteigen, er wird die goldene Flammenkrone tragen, wie es seine Bestimmung ist.«
Rahff zischte wütend: »Ich werde den Jungen töten!«
Die Hexen kicherten düster, was ihn unsicher umherblicken ließ. Rahff war kein Mann, der sich schnell einschüchtern ließ, aber in ihren Augen und Blicken stand ein Wissen, das ihn eine Gänsehaut einbrachte.
»Was lässt Euch glauben, wir sprechend von dem Jungen?«, fragte die Hexe mit den schwarzen Haaren und den verschlagenen dunklen Augen. Die Weißhaarige kicherte, als sie Rahffs verwirrten Blick bemerkte. »Ihr werdet die Krone verlieren, wenn Ihr nicht bald die Wahrheit erkennt, falscher König«, warnte ihn die Blonde mit einem amüsierten Funkeln in den Augen. »Der rechtmäßige König ist Euch nicht fremd. Und er kommt Euch Tag für Tag näher.«
3
Donnergrollen weckte ihn in der Nacht. Vielleicht waren es auch die darauffolgenden grellen Blitze, die nicht einmal von den schweren Samtvorhängen seiner Gemächer gemildert werden konnten. Sein Bett war warm und weich, die schweren Decken hatte er über die nackten Beine bis zur Hüfte hochgezogen. Er murmelte im Schlaf, während er langsam erwachte. Sein Unmut darüber, noch vor dem Morgengrauen geweckt worden zu sein, verflog jedoch schnell, als er sich umdrehte und seinen nackten Körper an den warmen Leib kuschelte, der neben ihm im Bett lag und ihm das Gefühl von Geborgenheit und Heimat vermittelte.
In solchen Momenten fühlte er sich glücklich, wenn die Gedanken und der Morgen noch fern waren und nur er, sein Bett, und der Mann darin existierten, als gäbe es sonst nichts in seinem Leben, das sonst noch eine Bedeutung hätte.
Jene Stunden waren erfüllt von reiner Gegenwart, in ihnen besaß er weder Vergangenheit noch Zukunft, er lebte nur im Jetzt.
Doch das sorglose Gefühl wurde von einer seltsamen Empfindung überschattet, die durch seinen schlaftrunkenen Verstand drang und ihm die Schwere der Müdigkeit raubte. Denn plötzlich fühlte er eine dritte Präsenz im Raum, die ihm auf mysteriöse Weise ebenso fremd wie vertraut war.
Desiderius fuhr erschrocken auf, eine Hand auf Cohens schlafenden Leib liegend, der sich unter der dicken Samtdecke bei ruhigen Atemzügen leicht hob und senkte. Es hatte eine Zeit gegeben, da war Desiderius bei jedem Erwachen immer wieder der festen Überzeugung erlegen gewesen, Wexmell würde neben ihm liegen. Nach zwanzig Jahren Zweisamkeit war dies wohl auch nicht verwunderlich. Doch Cohen hatte Nacht für Nacht wie ein Löwe darum gekämpft, diese Gedanken aus Desiderius` Bewusstsein zu verdrängen, indem er mit gesamten Körpereinsatz Desiderius daran erinnerte, an wessen Körper er sich im Schlaf gekuschelt hatte – und was dieser zutun vermochte. Welche Gelüste er entfachen und gleichermaßen wieder stillen konnte.
Desiderius tat sein Bestes, um Cohen nicht das Gefühl zu geben, nur zweite Wahl oder gar nur ein Trostpreis zu sein, nachdem sein Geliebter ermordet worden war. Und es tat seinem eigenen Gemütszustand gut, sich abzulenken und nicht ununterbrochen wehmütig an Wexmell zu denken. Jedoch war und wird er niemals in der Lage sein, Wexmell zu vergessen.
Doch er war rücksichtsvoll genug, Cohen nicht an jenen Gedanken teilhaben zu lassen.
Was er nun in seinem Schlafgemach spürte, war jedoch nicht die Erinnerung an Wexmell, auch nicht dessen Geist, der ihn vielleicht – oder vielleicht auch nicht – beobachtete.
Nein, Wexmells Nähe hätte Desiderius sofort erkannt. Es war jemand anderes im Raum.
Oder Etwas anderes.
Desiderius sah sich um, konnte jedoch auf den ersten Blick nichts entdecken.
»Zazar?«, flüsterte er in die Dunkelheit hinein, darauf hoffend, Cohen nicht zu wecken. Es war dennoch ungewöhnlich, dass Cohen sich tatsächlich nicht rührte, denn für gewöhnlich hatte der junge Mann einen sehr leichten Schlaf, aus dem er schnell aufschreckte; schneller noch als der stets wachsame Desiderius.
Niemand antwortete ihm, auch nicht auf sein zweites Flüstern. Angestrengt starrte er in die Dunkelheit, doch er wusste bereits, dass es auch nicht sein Bruder war, der mal wieder unerlaubt, und seine Privatsphäre ignorierend, in den Raum gekommen war, um ihn zu beobachten. Desiderius‘ Herz schlug wie wild in seiner Brust, sein Körper antwortete mit Wachsamkeit