Das Tagebuch des Schattenwolfprinzen. Billy Remie. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Billy Remie
Издательство: Bookwire
Серия: Legenden aus Nohva 3
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742790316
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      Was fiel Derrick ein, einfach Kostja zu helfen, wenn ich bereits entschieden hatte, dass er ebenso gut zu Fuß gehen konnte?

      Ich konnte es nicht ausstehen, wenn Derrick dort Güte zeigte, wo ich kaltherzig war.

      Eine Frechheit!

      Aber ich konnte mich selbst bezwingen und den Dämonen in mir Einhalt gebieten.

      Zumindest vorerst.

      »Vorwärts!«, trieb ich meine Männer an und ritt ihnen wütend voraus.

      Wütend über Derrick, wütend über mich, weil es mich wütend machte, und wütend, weil ich ein weiteres Mal vor meinen Feinden fliehen musste, statt mich ihnen entgegen zu stellen.

      Wut war ein in mir allgegenwärtiges Gefühl, aber so war es nicht schon immer gewesen.

      2

       Zwölf Jahre zuvor ...

      Derrick war ein schmutziger Bauernjunge ohne jegliche Manieren, der jedoch große Träume hatte. Eines Tages wollte er sich einen Platz in der königlichen Armee Carapuhrs sichern. Er wollte ganz weit nach oben, er wollte Kommandant oder sogar Hauptmann werden. Doch seine hochgesteckten Ziele waren für ihn nicht zu erreichen.

      Glaubte er.

      Derrick war bereits siebzehn Jahre alt. In Carapuhr wurden Jungen aber schon mit zwölf in die Armee eingezogen. Ihm fehlten ganze fünf Jahre Erfahrung und wichtiges Training. Dabei wäre er ein guter Soldat geworden. Doch sein Vater, ein armer Bauer, hatte andere Pläne mit ihm gehabt und versteckte seinen talentierten Sohn vor den Soldaten des Königs. Weil er ihn für die Feldarbeit benötigte. Damit er seine Familie über den Winter bringen konnte, hatte Derricks Vater behauptet, sein Sohn sei gestorben.

      Derrick war der einzige Sohn unter fünf Schwestern. Er unterschied sich sehr von anderen Jungen und hatte keine Freunde. Ihn interessierten die Nöte seiner Familie nicht, so war es auch nicht ungewöhnlich, dass er mit siebzehn genug von seinem einfachen Leben hatte und seine Familie ohne schlechtes Gewissen verließ.

      Sein Weg führte ihn ohne Umwege direkt zur königlichen Burg.

      In der unteren Stadt lebte er einige Monate im Schatten der Burg als einfache Gassenratte. Was er dort erlebt hatte, würde er nicht einmal unter Folter erzählen. Nur soviel sei verraten: In der Unteren Stadt, Heimat aller Schurken, war ein junger Bursche nichts weiter als eine freilaufende Hure. Aber Derrick hatte es überstanden, hatte die Monate überlebt, wurde zäher durch seine Erfahrungen.

      Der Hunger trieb ihn schließlich in die wohlhabende Hohe Stadt, doch er war kein geschickter Dieb. Er hätte sich lieber von Beginn an als Söldner verdingen sollen.

      Er wurde erwischt, als er einem Adeligen den Silberbeutel vom Gürtel schneiden wollte.

      Derrick floh – aus Mangel an geographischen Kenntnissen – in die falsche Richtung und wurde in die Burg getrieben, wo gerade ein großes Fest stattfand, auf dem alle angesehenen und hochrangigen Jarls, Barone, Fürsten und welche Titel es noch so gab, zugegen waren.

      Alle waren in hellem Aufruhr, als wäre ein Wildschwein aus Versehen bei einer Treibjagd mitten in eine Menge Tournierbesucher gerannt.

      So im Etwa stellte sich Derrick auch an. Er rutschte auf den ungewohnt glatten Böden der königlichen Burg aus und riss einige Gegenstände um. Er richtete eine Verwüstung an, über die noch heute die alten Damen empört berichten.

      Aber er war trotz seiner Panik nicht unfähig. Er war flink, auch wenn er fiel. Derrick konnte sehr hoch springen, er wies Gerissenheit auf, als er Regale umwarf um die Wachen daran zu hindern, ihn zu verfolgen. Er war klug genug, nicht zu kämpfen, wo ein Kampf zwecklos gewesen wäre. Er hatte Talente, mit denen sich keine Leibwache des Königs ausweisen konnte. Talente, die man sich nur auf der Straße aneignete.

      An diesem Tag glaubte Derrick, er wäre in sein Verderben gerannt, aber er irrte sich. Er irrte sich gewaltig. Denn an diesem Tag traf er auf mich. Und ich rettete ihm das Leben.

      Im Gegenzug verlangte ich nur, dass er mir seines verschrieb.

      3

       Wer einen getretenen Hund provoziert, muss mit dem Biss des Todes rechnen.

      Carapuhr. Land des Schnees. Heimat der Barbaren. Meine Heimat.

      Ich ging in die Hocke und fuhr mit den Fingerspitzen über die lose Schneedecke. Ein Sturm hatte über Nacht unsere Spuren verwischt.

      Darauf konnte ich mich stets verlassen: darauf, dass mein Land mir treu blieb. Das es mich vor meinen Feinden beschützte. Mich versteckte.

      Mein Land, meine Heimat, war meine größte Liebe. Wobei ich erwähnen sollte, dass ich ansonsten keine Sympathien für irgendetwas oder irgendwen hegte. Carapuhr war meine einzige Liebe. Eine Liebe, die mittlerweile tiefer reichte als die Liebe zu meiner Mutter, die nicht mehr unter uns weilt.

      »Das sieht übel aus, mein Bruder.«

      Ich hob den Blick und schirmte meine Augen mit der verletzten Hand ab, da mich die Morgensonne blendete. Die weiße Schneedecke brannte sich in meine Augäpfel.

      Derrick, der mit Egid Einauge – den Namen hatte er seit unserer ersten Begegnung – an einem entfachten Lagerfeuer saß, deutete mit einem Kopfnicken auf meine nackte Schulter.

      Mir konnte die Kälte nichts anhaben, ich war hier geboren und aufgewachsen. Neunzehn Jahre hatte ich bereits auf dem Buckel, und Schnee und Eiswind konnten meine dicke Haut kaum durchdringen.

      Zugegeben, ich war seltsamerweise schmerzresistenter als andere Männer. Immer wieder wurde ich bestaunt, wenn ich mit verheerenden Wunden immer noch kämpfen konnte. Ich redete mir gerne ein, dass es an meiner mentalen Stärke lag, dass ich Schmerz anders wahrnahm als meine Begleiter, dass ich einfach Unwillens war, Schmerz zuzulassen. Ob es stimmte, vermochte ich jedoch nicht zu sagen.

      Ich blickte auf die Wunde in meiner Schulter, sie schien sich entzünden zu wollen. Es machte mich wütend, dass mein Körper mich derart verriet. Wieso war er nicht in der Lage, sich selbst zu heilen? Der Pfeil hatte wohl eine rostige Spitze gehabt, oder ich hatte mir den Schaden selbst zugefügt, als ich ungeachtet der Folgen den Pfeil einfach herausgerissen hatte.

      Ich knirschte mit den Zähnen.

      Conni kroch hinter mir aus meinem Zelt. Schwester Conni, die schöne Barbaren-Conni, die zu meiner Bruderschaft zählte. Die Conni, die mit ihren sechsunddreißig Jahren meine Mutter hätte sein können. Jene Conni, die manchmal das Lager mit mir teilte, seit sie mich damals, als ich noch ein Junge gewesen war, auf ihres gelockt hatte.

      Gerne behauptete sie mit ihrer rauen, lüsternen Stimme, sie habe mir die »Unschuld« genommen. Mich ärgerte diese Behauptung und mir juckten jedes Mal die Finger, wenn sie sich anmaßte, zu behaupten, an mir wäre je etwas unschuldig gewesen.

      Ja, sie war die erste Frau gewesen, die mich berührt hatte, aber niemand hätte mir eine »Unschuld« nehmen können, wenn ich nie zuvor so etwas wie Unschuld besessen hatte.

      Conni ging mir allmählich auf die Nerven. Ich bestieg ihren wollüstigen, weiblichen Körper nur, weil sie die einzige Frau unter uns war. Nach all den Jahren schien sie jedoch anzunehmen, ich hätte eine Schwäche für sie. Aber ich besaß keine Schwächen. Nicht eine einzige. Jeder war entbehrlich, vor allem Conni.

      An diesem Morgen hätte ich mich ihr beinahe entledigt, als sie aus dem Zelt kam und sofort fürsorglich rief: »Ich helfe dir mit der Wunde!«

      Sie wollte an mir vorbei zum Feuer, wohl um Utensilien zu besorgen.

      Ich erhob mich und schlug ihr mit dem Handrücken ins Gesicht. Ihr schmales Gesicht flog herum, ihre verfilzten, langen, blondroten Haare folgten.

      Das Geräusch, das meine Hand auf ihrer Wange verursachte, dieses Klatschen, war herrlich und wie Musik in meinen