Das Tagebuch des Schattenwolfprinzen. Billy Remie. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Billy Remie
Издательство: Bookwire
Серия: Legenden aus Nohva 3
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742790316
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und schnitt mich am zerbrochenen Glas, mein Lederhandschuh füllte sich mit meinem eigenen Blut. Ich begrüßte den Schmerz, er sandte ein wohliges Kribbeln durch meinen Körper. Ich spürte Schmerz – ich lebte noch; was nicht selbstverständlich war.

      Hinter mir eilten die Wachen in den Raum.

      »Da ist der Eindringling!«, riefen sie.

      Ach ne, dachte ich mir genervt, und fragte mich insgeheim, warum manche Männer das Bedürfnis hatten, immer alles, was sie taten oder sahen, zu kommentieren. Vor allem wenn es ohnehin offensichtlich war.

      Unter mir positionierten sich weitere Stadtwachen. Mit Bögen. Geschosse flogen mir entgegen. Ich wich einem Pfeil aus, der in den Raum flog und eine Wache zwischen den Augen traf, die mich gerade von hinten hatte packen wollen.

      Ich richtete mich auf, gab einer weiteren Wache einen Fußtritt und stieß sie damit gegen zwei ihrer Kameraden. Alle drei gingen in den Raum zu Boden. Eine andere Wache stieß mit dem Schwert nach mir, ich warf mich halb zur Seite, baumelte kurzzeitig in der Luft, konnte mich aber am Fensterrahmen festhalten.

      Der Schwertstich ging es Leere, ich packte das Handgelenk der Wache und zerrte sie durch das Fenster.

      Brüllend fiel der junge Mann. Sein Schädel zerplatzte auf dem Gestein zu meinen Füßen.

      In Ordnung, sagte ich gedanklich zu mir selbst, nach unten war eine schlechte – wenn nicht sogar eine ganz bescheuerte – Idee. Es sei denn ...

      Ich fixierte mit meinen durchdringenden Augen einen Bogenschützen, der mit einem Pfeil auf mich zielte. Seine Augen wurden groß, als ich mich auf ihn fallen ließ.

      Mein Gewicht riss ihn zu Boden, sein Körper federte meinen Aufprall ab, doch er war noch bei Bewusstsein.

      Ich packte seinen Kopf, der in einem Helm ohne Visier steckte. Er blinzelte mir ängstlich in die Augen, als ich ihn ansah und charmant lächelte. »Danke«, sagte ich höflich, weil er mich – mehr oder weniger unfreiwillig – aufgefangen hatte. Meine Mutter hatte mir Manieren beigebracht, ich wollte sie nicht beleidigen, indem ich einfach alles vergaß, was sie mich gelehrt hatte.

      Dann schlug ich seinen Kopf auf den gepflasterten Weg und er wurde ohnmächtig.

      Ich richtete mich auf und wollte den steilen Weg zum Südtor der Stadt hinunter hechten, als ein weiterer Schütze vor mir auftauchte.

      Ergebend hob ich ein Stück meine Hände und wich zurück.

      »Ergib dich, Dieb!« Die Spitze seines Pfeils zeigte auf meine Brust, ich hätte gern verhindert, dass sie mich durchbohrte.

      »Dieb?« Ich sah mich um, als könne er unmöglich mich damit meinen. »Ich sehe hier keinen Dieb.« Eigentlich hatte ich ja auch nichts gestohlen. Zumindest nichts, was der Stadt und dem Jarl gehörte, ich hatte nur den Tempel und einen Toten bestohlen. Und eigentlich war ich auch kein einfacher Dieb.

      »Ergebt Euch, Jungchen«, forderte der Bogenschütze. »Ihr habt keine Chance zu entkommen.«

      Ich brach in Gelächter aus. Das irritierte die Wache.

      Plötzlich wurde ich tot ernst: »Abwarten!« Ich zog mein Schwert.

      Der Bogenschütze ließ den Pfeil sausen. Er traf mich in der Schulter, mein Arm wurde leicht zurückgeworfen, und ich brüllte auf.

      Triumphierend grinsend, glaubte der Schütze, dass er mich getroffen hatte.

      – Hatte er auch.

      Er dachte, das hielte mich auf.

      – Tat es aber nicht.

      Der arme Narr hatte ja keine Ahnung, dass der Schmerz eine Art Lebenselixier war, das mich wachrüttelte und mich stärker machte. Ich liebte den Schmerz, solange er mich nicht umbrachte.

      Mit dem Pfeil in meinem Körper, der glücklicherweise nicht in jener Schulter steckte an der mein Schwertarm hing, stürmte ich auf die Wache zu. Ich zerschlug mit dem Schwert seinen Bogen, packte den blauen Wappenrock – der über seiner Rüstung gespannt war – und stach ihm meine Klinge direkt durch den Kehlkopf schräg nach oben in sein Hirn. Mein Schwert durchbrach seinen Schädel, tote Augen starrten mir entgegen. Immerhin hatte ich ihm einen schnellen Tod gewährt. Eine Gnade, die ich wirklich nicht vielen meiner Opfer zuteilwerden ließ.

      Ich zog mein Schwert heraus und ließ den toten Körper zu Boden fallen. Schreiende Frauen, die zuvor mit sicherem Abstand zugesehen hatten, rannten in alle Himmelsrichtungen davon, ihnen folgten mit noch schrillerem Geschrei viele Männer.

      Ich grinste zufrieden.

      Sie hatten Glück, das ich kein Sadist war, ansonsten wäre ich ihnen hinterhergerannt, aber ich tötete niemals willkürlich. Blut durfte nur vergossen werden, wenn es einem Zweck diente, ich hatte meine Prinzipien – wenn auch nicht viele.

      Hinter mir hörte ich die Horde der Stadtwache herannahen und ich beschloss, zu fliehen.

      Flink und leichtfüßig rannte ich durch die Stadt, die steilen Wege hinab in Richtung Südtor.

      Ich stellte mir vor, wie Derrick nervös im Sattel saß und vor der Stadt sein Pferd auf und abtraben ließ, während er den Aufruhr unbeteiligt verfolgen musste. Ich hoffte, dass sie ihn noch nicht mit mir in Verbindung gebracht hatten.

      Um den Wachen zu entkommen, nahm ich ungewöhnliche Wege. An Häuserwänden entlang, über Dachziegel, durch den kleinen Bach, der aus dem Berg floss und die Stadt spaltete.

      Am Stadttor warteten bereits Wachen auf mich, aber ich wollte gar nicht durch das Tor. Sie sahen ziemlich verblüfft aus, als ich dank meiner besonderen Leichtfüßigkeit die Mauer hochklettern konnte.

      Ich stieß noch eine Wache von der Mauer, ehe ich auf der anderen Seite hinuntersprang und auf den dunkelhaarigen Reiter zu rannte, der sein schwarzes Ross im rechten Moment wendete. Meinen eigenen Gaul ließ ich einfach zurück, er stand zu weitentfernt, als das ich ihn in angemessener Zeit erreicht hätte.

      Atemlos warf ich mich hinter Derrick auf den breiten Pferderücken und hätte den stattlich gebauten Krieger beinahe aus dem Sattel gerissen.

      »Deine Schulter!«, rief Derrick zu mir nach hinten. Er machte sich wohl Sorgen wegen des Pfeils darin.

      »Mir geht’s gut«, versicherte ich ihm. Ungeachtet der Schmerzen riss ich den Pfeil aus meiner Schulter und ließ ihn fallen, meinen Arm würde ich eine Weile nicht richtig bewegen können, aber das war mir im Moment egal.

      »Los! Los! Verschwinden wir hier!«, hetzte ich Derrick.

      Dieser stieß die Hacken in die Flanke seines Hengstes und wir flogen mit donnernden Hufen den aus dem Tor eilenden Wachen davon.

      Pfeile verfolgen aber verfehlten uns.

      »Was hast du getan?«, schrie Derrick erbost.

      Ich musste mich an ihm festhalten, um nicht vom Pferd zu fallen. Der Ritt war hart und ich hopste auf dem großen Gaul herum wie eine Puppe auf einem Fass, das auf einer wilden Strömung schwamm. Schnee wirbelte unter den monströsen Hufen des Pferdes auf und streifte über meine Wangen, der eisige Wind um uns herum ließ meine hellen Bartstoppeln gefrieren, und Derricks schulterlange, verzottelten Locken wehten mir immer wieder ins Gesicht. Ich war so genervt, dass ich Derricks Frage überhörte und versuchte, mich davon abzuhalten, ihm wegen seines nervigen Reitstils einen Dolch in den Rücken zu rammen.

      Ich hätte ihn einfach aus dem Sattel reißen und ihn zurücklassen sollen, das hätte mir wenigstens einen kleinen Vorsprung eingebracht. Aber das wäre nur unnötige Verschwendung einer starken Schwerthand gewesen, die ich mir in meiner momentanen Lage nicht erlauben durfte.

      Außerdem … Derrick war leider nicht zu ersetzen, aber Gott behüte, dass er das je erfuhr.

      Ich warf einen Blick über die Schulter, während wir den Berg hinunter galoppierten und auf eine Fläche flachen Ödlands zuhielten. Die steinerne Stadt namens Bons geriet immer mehr in den Hintergrund, doch ihre Wachen mit den blauen Wappenröcken, auf denen ein Umriss