Das Tagebuch des Schattenwolfprinzen. Billy Remie. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Billy Remie
Издательство: Bookwire
Серия: Legenden aus Nohva 3
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742790316
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tue, was ich kann«, gab Derrick gelassen zurück.

      Er kannte mich schon lange und ließ sich selten von mir provozieren, was mich wiederum verärgerte, ich wollte nicht durchschaubar sein, nicht einmal für Derrick, der am längsten bei mir war.

      Wir gelangten in einen Engpass. Neben uns erstreckten sich hohe Felswände mit lockerem Geroll. Derrick hielt, auf meinen Befehl hin, an.

      Wir warteten kurz, bis die Wachen uns fast eingeholt hatten, dann gab Derrick der Flanke seines Pferdes erneut einen Tritt, und ich brüllte in die Schatten: »Jetzt!« – Ich gab das Zeichen.

      Derrick und ich ritten durch den Engpass und als die Wachen uns folgten, lösten meine Waffenbrüder die Falle aus und die Männer der Stadtwachen wurden gemeinsam mit ihren teuren Pferden unter dreckigen Felsbrocken zerquetscht.

      Ich schlug aufgeregt gegen Derricks Schulter. »Dreh um! Dreh um!«

      Derrick wendete den Hengst, der schnaubend auf der Stelle tänzelte.

      Mit leuchtenden Augen sah ich dabei zu, wie loses Geröll den Engpass füllte.

      Meine Männer kamen aus den Schatten, sie stiegen auf ihre Pferde und ritten auf uns zu.

      Ich rutschte von Derricks Pferd.

      Die Bruderschaft hielt vor mir an. Eine Schar verachtenswerter Männer, einer hässlicher als der andere, starrten grimmig zu mir herab.

      »War das alles?«, brummte Lazlo ›das Narbengesicht‹ verdrossen.

      Ich hatte ihm den Namen gegeben, ich habe all meinen Waffenbrüdern ihre Namen geben, als ich mich zu ihrem Oberhaupt ernannt hatte. Damals war ich gerade mal erst elf Sommer alt gewesen. Meine Männer waren raue Mistkerle unter denen ich mich behauptet hatte. Ich habe sie zu einer Bruderschaft geformt, sie schuldeten mir ihre Treue. Wer nicht bereit gewesen war, mir zu folgen – einem Jungen zu folgen –, hatte sterben müssen. So handhabte man das eben auf der Straße. Der Stärkere überlebt. Ich war vielleicht körperlich nicht stärker, dafür aber geistig. Ich hatte eben einen starken Willen.

      Ich finde, ich hatte diese Hunde gut unter Kontrolle. Allerdings verstand ich unter »Kontrolle« wahrscheinlich auch nicht das, was ein normaler und gesetzestreuer Bürger Carapuhrs darunter verstehen würde.

      Lazlo spuckte einen großen Schleimklumpen auf den Boden. Er hatte Glück, das er es nicht direkt vor meinen Füßen getan hatte, ansonsten hätte ich es als Beleidigung empfunden und ihn eigenhändig in zwei geteilt.

      Ich ignorierte ihn und stampfte hinüber zu Kostja ›dem Zarten‹; oder wie ich ihn gerne nannte: Kostja ›der Benutzte‹.

      Er saß mit seinem dürren, schlaksigen Körper im Sattel eines vitalen braunen Gauls.

      Ich schubste den Jungen – der nur zwei Jahre jünger war als ich – aus dem Sattel, und steckte meinen eigenen Fuß in den Steigbügel. Ohne auf Kostja zu achten, der sich auf der anderen Seite wieder aufrappelte, schwang ich mich in den Sattel.

      Erst jetzt wandte ich mich an Lazlo: »Hast du etwas anderes erwartet, mein Bruder?«

      Lazlo schnaubte, dabei verzog sich einer seiner Mundwinkel zu einem schiefen Lächeln, und die Kerben seiner pockenartigen Narben wurden noch tiefer.

      Oft dachte ich daran, dass aus ihm wahrscheinlich ein recht ansehnlicher Mann geworden wäre, hätte er durch die Pockenkrankheit diese Narben nicht davongetragen. Aber es war auch nicht sein Gesicht, das mir gefallen musste, sondern seine Fähigkeiten.

      »Sprich dich aus, mein Bruder«, forderte ich scheinbar gelassen, doch jeder, der mich kannte, konnte den drohenden Unterton in meiner ansonsten melodischen Stimme heraushören.

      Lazlo fuhr sich mit abgewandtem Blick durch sein rotbraunes Haar. »Wir haben uns ... Beute erhofft«, gestand er schließlich. »Beute, die man zu Silber machen kann.«

      »Ah«, machte ich, als verstünde ich ihn nun. Aber ich hatte zuvor schon gut verstanden.

      Die anderen Brüder warfen sich stumme Blicke zu. Sie teilten Lazlos Ansicht, das konnte ich ihnen ansehen, doch sie wagten es nicht, mir das mitzuteilen.

      Kluge Entscheidung.

      »Also, mein Bruder ... « Ich lenkte mein Pferd, das ich Kostja abgenommen hatte, neben Lazlos und zog einen Dolch.

      Lazlo schluckte, als ich die Spitze der Klinge über sein mit dunklen Stoppeln überzogenes Kinn kratzen ließ.

      »Vielleicht ... gewinnt das ja deine Zustimmung.« Mit einer geschickten Handbewegung warf ich den Dolch kurz in die Luft und fing ihn an der Klinge wieder auf. Ich reichte Lazlo den goldenen und mit Edelstein verzierten Dolchgriff.

      Ich grinste.

      Lazlos erwiderte zögerlich mein Grinsen und nahm den Dolch an sich, den ich aus dem Tempel mitgenommen hatte.

      »Und für meine anderen Brüder ... « Ich wendete mein Pferd und leerte meine Taschen. Schmuck und das Priestergewand fielen auf den schneebedeckten Boden.

      Sofort sprangen die habgierigen Brüder aus den Sätteln und prügelten sich um die Beute, die ich ihnen mitgebracht hatte.

      Ich ergötzte mich an dem Anblick, wie sie auf den Knien vor den Hufen meines Pferds miteinander rangelten.

      Derrick trieb sein Pferd neben meines, die beiden Hengste keiften sich kurz an, ehe wir sie unter Kontrolle bringen konnten.

      »Sagte Menard nicht, du sollst dich rein schleichen und mit einer Abschrift des Grabmals des Drachenflüsterers zurückkommen?«, fragte Derrick amüsiert.

      Ich zeigte ihm kurz die Papierrolle, die ich beschützend an meinem Körper transportierte, und zwinkerte meinem alten Freund dann zu. »Habe ich doch. – Eine originale Kopie der Inschrift des Grabmals des Priesters Odilo, besser bekannt als der Drachenflüsterer.«

      »Menard sagte auch, du sollst weder töten noch stehlen«, erinnerte sich Derrick.

      »Ich kann doch nicht ohne Geschenke zu meinen Brüdern zurückkehren«, schmunzelte ich.

      Derrick nickte zustimmend.

      Meine erheiterte Miene wurde plötzlich hart, als ich anfügte: »Außerdem gibt mir niemand Befehle. Nicht einmal dieser uralte Schamane Menard.«

      Vom Berge ertönte das Röhren eines Horns und ich blickte zur steinernen Stadt hinauf.

      Sie war so groß, dass sie selbst vom Fuße des Berges gigantisch wirkte. Sie war der Berg.

      »Sie rufen Verstärkung«, wusste Derrick. »Und warnen die umstehenden Truppen der Elkanasai.«

      Die Elkanasai waren das spitzohrige Volk, das Carapuhr vor zehn Jahren besetzt hatte. Und sie waren meine größten Feinde.

      Ich nickte, während ich mir gleichzeitig vorstellte, wie die Wachen von Bons meine Nachricht fanden, die ich in die entkleidete Mumie eingeritzt hatte. Auf deren Bauch stand nun: »Die Pest auf euer aller Häuser, Verräter!«

      Ein helleres Horn antwortete. Die Elkanasai.

      Ein Trupp war ganz in der Nähe. Nun blickten auch meine Waffenbrüder auf.

      »Wir sollten gehen«, sagte Derrick nervös. Sein Pferd tänzelte, als sich die Anspannung von Reiter auf Tier übertrug.

      Ich hasste es, dass er sich anmaßte, mir ständig seine Vorschläge zu unterbreiten. Aber er hatte Recht.

      Mich dürstete es nach dem Blut meiner Feinde, aber ich hatte nur die wenigstens meiner Brüder bei mir und es wäre nicht klug, sich dem Feind zu stellen, wenn man unterlegen war.

      Ich warf noch einen hasserfüllten Blick über den Berg, von dessen Gipfel das Horn der Elkanasai erklungen war. Dann zerrte ich an den Zügeln meines Pferdes und knurrte meine Söldnertruppe herrisch an: »Verschwinden wir hier!«

      Ohne zu zögern warfen sie sich auf ihre Pferde. Derrick nahm sich ein Herz und zog Kostja auf sein Ross.