Die Jagd
„Das Wild verwüstet sämtliche Saat und jeden Acker!“ fauchte Franz. „Ich arbeite als Fuhrmann und Treiber, doch verlangt der Fürst Jagdfron von mir. Jäger und ihre Hunde soll ich beherbergen und versorgen. Von meinem Wildhafer gebe ich ab und noch so vieles mehr!“„Ja, der Kurfürst hingegen hat die Oberaufsicht und die Jagdhoheit. Er lässt sogar die Polizei kommen, sollten wilde Tiere nicht aufgenommen werden. Er zwingt mich dazu.“ Anton konnte das nicht fassen.„Unser Kurfürst ist doch derjenige, der das Recht auf die Hohe Jagd hat. Er schickt seinen Förster hinaus, der ihm Hirsche schießt, Wildschweine und Fasane.“ Franz schüttelte seinen Kopf mit dem ergrauten Haar.„Genau, da leidet sicher niemand Hunger und unsereins nagt am Hungertuch!“ Anton bebte vor Wut. „Das ist doch Teufelswerk!“ Nun fand noch, so wie es sich zum höfischen Leben ziemte, aber auch zum Vergnügen, eine Hofjagd statt. Friedrich Wilhelm Utsch und sein Gefolge ritten in den Soonwald. Die Hufen der Pferde huschten in Windeseile über Wiesen und Felder, die Hunde hetzten an Riemen nebenher. Um den ganzen äußeren Soonwald verteilten sich die Jäger hoch zu Ross und ritten geschlossen auf ein Signal des Jagdhornes hin in den Wald. Dicht an dicht standen die Reiter, die das Wild des Waldes aus ihren Verstecken trieben und es nicht mehr aus der Enge ließen. Ganz langsam bewegten sich die Männer auf ihren Pferden vorwärts, bis sie das Tor mit den schmiedeeisernen Streben öffneten und damit das Wild aus dem Soonwald in den Hof führten. Die Tiere sprangen aufgeregt über den Hof, der sich weit bis zum Schloss erstreckte, über die schmalen, rechteckig angelegten Grasflächen, die bezauberten mit Blumenrabatten und wunderbaren Ornamenten. Hasen, Rehe, Eichhörnchen, Dachse, Hirsche, Füchse und Wildschweine fanden einen Platz in den zahlreichen Teichen, deren Fontänen zu diesem Ereignis in die Höhe schossen und die umstehenden Gäste belustigten. Einer der Jäger schloss das Tor, die anderen versorgten die Menschenmenge mit Flinten. „Auf zur Jagd!“ posaunte Friedrich Wilhelm Utsch mit seiner tiefen Stimme und gab den ersten Schuss ab. Dann schossen auch die anderen, Jäger wie Zuschauer.Tierleichen übersäten nach und nach den Hof und die Teiche. Nachdem dann die Büchsen wieder schwiegen und sich der Rauch des Feuers legte, rannten dje Gehilfen, Knechte und Mägde herbei, schleppten das Aas aus den Teichen und vom Hof, brachten alles in die nahen Stallungen, nahmen die Tiere aus und streuten Salz auf ihr Fleisch. Alles Wild aus dem Großen Soon außer den Jungtieren lagerten nun in den Stallungen des Fürsten. An den Soonwald im Gebiet der Nahe schloss sich der Lützelsoon an, der Idarwald, der Gauchswald und der Bingerwald. Fichten wie Buchen, Tannen, Eichen und Erlen bildeten den Wald, der dem Kurfürsten gehörte. „Schlagt den Wald nicht völlig kahl!“ forderte Karl Theodor in seinem langen roten Mantel mit dem weißen Fellbesatz über seiner Schulter. Die weiße Lockenperücke saß wie eine eins auf seinem Kopf, der Regentenstab stand in einer Ecke neben seinem Lehnstuhl. „Ich erlasse ein neues Gesetz, denn ständig rodet Ihr Bäume, die zu Boden krachen mit ächzendem Geräusch, aus dem Möbel, neue Hütten, Schlösser, Klöster und Kirchen gebaut werden. Hört das nicht sofort auf, haben wir bald kein Holz mehr in unserem Wald.“ „Eure Durchlaucht, das wird ab sofort ein Ende haben!“ versprach Utsch. „Euer Wort ist mir doch Befehl.“ Der Förster ahnte Schlimmes. Sollte der Baumbestand weiter so kontinuierlich abnehmen, ohne das neue Bäume in den Boden gesät wurden, würde es in absehbarer Zeit einen Mangel an Holz geben. „Es muss in Zukunft stets Holz vorrätig und vorhanden sein!“ Der Förster verließ den Kurfürsten und rief seine Leute zusammen. Das Jagdhorn mit seinem Signal rief die Männer zu einem Treffen. „Ab sofort könnt Ihr alle nur noch dann Bäume schlagen, wenn zur selben Zeit auch neue Bäume wachsen. Also sorgt für den Fortbestand. Ihr geht also hin und sät, pflanzt, pflegt und erntet von heute an. Macht Euch sofort ans Werk. Außerdem eignet sich die Fichte viel besser, um zu bauen, sie wächst sehr viel schneller als die Buche und gibt im gleichen Zeitraum drei Mal so viel Holz, das man nutzen kann wie eine Buche. Nun beginnt unsere Arbeit, der Wald muss mit Bäumen gefüllt werden!“
Die sonderbare Knolle
Tage nach ihrem ersten Versuch hantierten Heinrich und Ludwig wieder in der Küche. Ludwig hob die Kartoffel hoch und sah sie sich genauer an. „Die ist ja voller Dreck, Heinrich. Was machen wir nur damit?“ „Das weiß ich auch nicht. Diesem Geheimnis müssen wir auf die Spur kommen. Es ist schon Teufelswerk, dass wir das, was unter der Erde wächst, zum Essen verwenden können.“ Heinrich starrte die Knolle an. „Wisst Ihr was, Ludwig, zuerst waschen wir den Dreck einmal ab und – wer weiß – vielleicht lässt sich diese unförmige Frucht ja essen wie ein Apfel oder eine Birne. Was meint Ihr?“ „Wir versuchen es einfach. Machen wir uns an die Arbeit.“ Ludwig ging zum Brunnen und schöpfte Wasser in einen mitgebrachten Eimer und brachte ihn in die Küche seiner Hütte. Er nahm eine etwas größere Tonschale von einem hölzernen Regal und füllte sie mit dem klaren Wasser. Dann rieb er die Knolle tüchtig mit beiden Händen ab, danach an seinem Wams. Vorsichtig hob er sie an seinen Mund und biss hinein, wie Heinrich ihm vorgeschlagen hatte. Er spuckte das angebissene Stück sofort wieder aus. „So ein Dreckszeug, das ist ja hart wie ein Stein und schmeckt einfach widerlich!“ rief er aus und warf die Kartoffel in die lodernde Glut der Feuerstelle. Heinrich lief zu der Kochstelle. „Verdammt! Ludwig, die Kartoffel wird ja ganz schwarz. Seid Ihr völlig verrückt geworden, so mit einem Nahrungsmittel zu verfahren? Der Allmächtige möge Euch gnädig sein.“ Er begriff ganz und gar nicht, wie Ludwig so etwas tun konnte. Wollte sein Freund vielleicht auch so wie viele Hexen und Ketzer wegen einer solchen Sache auf dem Scheiterhaufen brennen? Würde er ihn verraten, würde genau das auf ihn warten. Als Heinrich nun noch einmal nach der Knolle sah, brannte sie sogar. „Ludwig, fischt die Kartoffel irgendwie aus dem Feuer und werft sie den Vögeln des Himmels zum Fraß hin. So etwas isst doch keine Menschenseele dieser Welt!“ Ludwig nahm einen eisernen Haken und schob die Kartoffel aus der Glut. Auf dem Küchentisch stand noch die Tonschale mit dem Schmutzwasser, das er über die Kartoffel goss. „Dem Vieh sollt Ihr sie zum Fraß hinwerfen sagte ich Euch doch soeben oder wollt Ihr dieses verkohlte Stück etwa noch essen?“ Heinrich tobte. Ludwig bückte sich und griff nach der schwarz aussehenden Kartoffel. Genau an der Stelle löste sich die schwarze Kruste und zum Vorschein kam ein weiches helles Stück. „Sieh her, Heinrich, ein Wunder ist geschehen!“ Heinrich schaute ganz ungläubig auf das, was er da erblickte. „Löst überall die Kohle und dann versuchen wir mal, ob sich das beißen lässt und wie es schmeckt.“ „Ludwig, das ist ja köstlich. Beißt auch einmal herein.“ Heinrich triumphierte. Endlich hatten sie herausgefunden und das aus einem Wutanfall Ludwigs heraus, was sie mit der neuen Kartoffel machen mussten. „Jetzt werden wir uns öfter von den Kartoffeln holen.“ Ludwig grinste. „Ab jetzt haben wir wenigstens das für unsere Familien, die Not, Heinrich, hat endlich ein Ende.“
Friedrich und Lene
„Lene, bringt dem Kurfürsten diesen Karren mit Kartoffeln zum Schloss!“ forderte Franz seine Tochter auf. „Zieht eine saubere Haube auf Euren Kopf, Ihr Gör, und streicht Euer Kleid glatt!“ kommandierte er weiter. „Ja, Vater. Ich mache mich auf den Weg.. Von der armseligen Hütte aus, vor der ein Holzfass stand, in dem sich das Regenwasser sammelte, schritt Lene auf den verschlungenen lehmigen Wegen hin zu dem herrschaftlichen Schloss. Viele Fenster mit Streben und ihren runden Bögen empfand Lene als einen begeisterten Blickfang. Noch nie zuvor hatte sie je ein solches Haus gesehen. Das rundgebaute Teil in der Mitte des Schlosses ragte als Erker stolz hervor. Lene staunte und konnte ihre Augen von dieser Pracht nicht abwenden. Langsam schritt sie weiter und schob den Karren vor sich her. Sachte klopfte sie gegen die Pforte aus Eichenholz, an der ein eiserner Ring hing. Friedrich Wilhelm Utsch öffnete und sah ein zaghaft junges Geschöpf. „Wie alt mag sie wohl sein?“ dachte er bei sich. Ihre Wangen erröteten. „Gnädiger Herr“, sagte sie, „mein Vater schickt mich, dem Fürsten diese Kartoffeln zu bringen.“ „Wer seid Ihr?“ begehrte Utsch zu wissen. „Ich bin die Tochter des Fuhrmanns und Treibers Franz, der unten im Dorf wohnt, mein Herr“, entgegnete Lene. „Richtet Eurem Vater Dank aus. Ich komme die Tage und statte ihm einen Besuch ab“,