Ein paar Tage später begleitete ich ihn in den Keller der Klinik, wo ich ein paar Runden auf dem Ergometer drehen durfte. Das Radeln war anstrengend, obwohl ich ein sehr sportlicher Typ bin. Was nur noch ziemlich nervte, war der Tropf, den ich ständig mit mir herumtragen musste, denn ich bekam die Blutverdünner ja immer noch in flüssiger Form. Ich musste ständig einen kleinen Koffer mit mir herumschleppen. Aber besser das als ans Bett gefesselt zu sein.
In meiner zweiten Krankenhaus-Woche durften meine Zimmernachbarin Maria und ich die Stroke Unit verlassen. Wir wurden auf ein normales Zimmer in der Neurologie verlegt und bekamen wieder eines zusammen. Ich werde nie vergessen, was das erste war, das Maria sagte, als wir unser neues, nur geringfügig schöneres (aber immerhin mit einem Fernseher ausgestattetes) Zimmer bezogen hatten: „Jetzt muss ich erst mal eine rauchen.“ Es war mir unbegreiflich, wie sie – kurz nach einem kleinen Schlaganfall! – auch nur ans Rauchen denken konnte. Aber ich kann so oder so nicht nachvollziehen, wie Raucher denken, darum ist es müßig, sich darüber den Kopf zu zerbrechen.
Ich genoss es, TV schauen zu können und mit Dennis, meinen Eltern oder anderen Besuchern kleine Runden über das Klinikgelände drehen zu dürfen. Es war immer noch sehr schönes Wetter und wir konnten das eine oder andere Mal draußen auf einer Bank in der Sonne sitzen. Es ging mir gut in diesen Momenten.
Aber gleichzeitig war mir auch klar, dass ich vieles nur verdrängte. Dass ich mich regelrecht weigerte, mich mit der Frage auseinanderzusetzen, wie man Leben künftig aussehen würde. Nicht nur mein Leben nach, sondern mit der Krankheit. Das ist ein feiner, aber bedeutender Unterschied. Ich glaubte noch, nein, war fest davon überzeugt, ich käme bald aus dem Krankenhaus raus und könnte wieder in die Hülle meines alten Lebens schlüpfen, die ich zuhause zurückgelassen hatte und die dort geduldig auf mich wartete. Dass ich einfach weitermachen könnte wie vorher, als sei nichts geschehen. Aber so funktioniert das leider nicht. Noch konnte ich das nicht erkennen, ich war ja schließlich noch in Phase zwei gefangen: der Schockstarre.
*
Weil ich mich so sehr auf eine schnelle Rückkehr in mein altes Leben versteifte, war ich sichtlich überrascht, als mir irgendwann in der zweiten Krankenhauswoche nahe gelegt wurde, einen Antrag auf eine Rehabilitation zu stellen. Im ersten Moment wehrte ich mich vehement dagegen. Rehabilitation – wovon denn? Ich war endlich aus dieser fürchterlicher Stroke Unit draußen und hatte – mit viel Glück, wie die Ärzte immer wieder betonten – keinerlei Folgeschäden zurückgetragen. Was also sollte ich mit einer Reha anfangen?
In Rücksprache mit meiner Familie kamen wir letztlich aber doch zu dem Schluss, dass eine Reha zumindest nicht schaden könne. Sie würde mir vielleicht helfen, Abstand zu gewinnen und wieder Kraft zu tanken, um dann frisch gestärkt in meinen Alltag zurückzukehren. Also gut. Ich ließ mich mehr oder weniger dazu überreden.
Nachdem ich aus dem Krankenhaus entlassen worden war, durfte ich für eine Nacht zurück nach Hause. Am Tag darauf ging es in eine neurologische Rehaklinik nach Bad Orb. Mir war bei der Anreise noch nicht klar, dass mit meinem Aufenthalt hier auch wieder eine neue Phase begann.
Die Schockstarre löste sich langsam von mir. Und es begann eine wilde Phase voller Hochs und Tiefs, in denen sich Angst, Panik, mal brodelnd heiße, mal eiskalte Wut und wiederentdeckte Lebensfreude rasend schnell abwechselten; in dem ganzen Durcheinander manchmal sogar zusammenprallten. Ich nenne diese dritte Phase die Auseinandersetzung.
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