Corona. Daniel Lehmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Daniel Lehmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750232068
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Ihnen.“

      15 Minuten später.

      „Und, wie war ich?“

      „Sehr überzeugend. Du warst sehr überzeugend, Julius.“

      „Und habe ich den Job?“

      „Das darf ich Dir nicht sagen. Und es muss ja auch noch zum Personalrat, zur Schwerbehindertenvertretung...“

      „Also ich habe den Job.“

      „Also, ich sage nichts. Inoffiziell. Ja. Aber, ich wollte noch kurz über den aktuellen Stand der Führungen mit Dir sprechen.“

      „OK.“

      „Könntest Du gleich noch einspringen? Heinrich hat sich gerade per whatsapp bis auf Weiteres krankgemeldet. Die Gruppe startet in 15 Minuten.“

      „Mist. War abzusehen. Es ging ihm die letzte Zeit nicht gut mit seiner Depression. Was die Stasi-Schweine auch mit ihm gemacht haben. Klar, mache ich. Ich muss dann aber leider den Turbo einlegen, denn ich habe heute Abend noch den Flüchtlingskurs an der Sprachschule.“

      „Super. Auf Dich ist echt Verlass, Julius. Am Mittwoch fällt die Führung dafür leider aus. Die Schule hat wegen Corona abgesagt.“

      „Und am Donnerstag? Die Gruppe aus Weinheim. Kommt die?“

      „Ja. Stand jetzt kommen die.“

      „Ok, dann gehe ich mal meine Gruppe im Hof suchen.“

      Weinheim. Daniel ist in Weinheim. Wir wollten nach Weinheim ziehen. Vorgestern hatte Daniel Geburtstag. Hätte ich ihm vielleicht eine Nachricht schicken sollen? Wie lange hatten wir jetzt schon keinen Kontakt mehr? Er hatte ein Beileidsschreiben für mich zu Thekla geschickt, als mein Vater Weihnachten starb. Komisch. Weinheim. Und plötzlich ist es, als wäre es gestern gewesen.

       Sonntag, 13. Februar 1938

       Ein SS-Mann hat seine Sympathie für mich entdeckt. Er kommt auch aus dem Sudetenland, wie ich und freut sich, dass seine Heimat nun Teil des neuen starken Reiches ist. Ich halte meinen Mund, wenn er so spricht. Er will bestimmt nicht hören, dass meine Frau, meine zwei Töchter und ich unser Haus, die Fabrik, einfach alles zurücklassen mussten, als das Sudetenland heim ins Reich geführt wurde. Er spricht ein paar Brocken Tschechisch und freut sich, wenn ich mit ihm etwas Tschechisch rede. Er ist nicht bösartig, wie die anderen. Nur etwas dumm.

      Donnerstag, 12. März 2020

       Julius

      Was für ein schöner Sonnenaufgang. Da steht ja schon meine liebe Tante Thekla und winkt mit einer Krücke. Ich finde, die weißen Haare machen sie alt. Aber ich kann ja nicht sagen: Komm liebe Thekla, ich lade Dich heute zum Friseur ein, ich will nicht, dass Du alt aussiehst. „Kuck mal, mein Lieber, es geht schon ganz gut.“

      So Küsschen, Koffer verpacken und nun zurück nach Berlin. Heute Nachmittag habe ich ja noch die Schülergruppe aus Weinheim im Stasi-Gefängnis.

      „Lieb, dass Du mich abholst. Hättest Du aber nicht gemusst. Die hätten mich auch wieder mit dem Kleinbus nach Berlin gefahren. Hat nach der OP auch ganz wunderbar funktioniert.“

      „In diesen Zeiten wollte ich sichergehen, dass Du nach Hause kommst. Und man soll ja auch Abstand halten. Und das ist in einem vollen Kleinbus ja schwer möglich.“

      „Ist jedenfalls sehr lieb von Dir.“

      „Hast Du denn noch Wassergymnastik gemacht?“

      „Ne, da hätte ich noch länger bleiben müssen, aber das hat die Krankenkasse abgelehnt. Ich hatte fest mit einer zweiten Verlängerung gerechnet. Die Ärzte auch. Liegt vielleicht an Carona. Was meinst Du?“

      „Du meinst Corona, Thekla.“

      „Ja, Du weißt ja, ich krieg die Worte manchmal nicht so richtig raus wegen der Meningitis, die ich nach dem Krieg hatte.“

      Schweigen.

      „Wäre gerne noch ein wenig in Beelitz geblieben, Julius. War schön da. Wie im Hotel.“

      „Belzig, Thekla. Du warst in Belzig. Honecker war in Bad Beelitz, bevor er nach Chile durfte. Du warst in Bad Belzig.“

      „Wie kommst Du denn jetzt auf Honecker? Du und Deine DDR-Forschung.“

      Lachen.

      Dann kurzes Schweigen.

      „Du solltest auch Lehrer werden. Hast Du ja schließlich auch studiert. Und die suchen ja auch so dringend. Überleg es Dir mal. Und irgendwann wird Berlin auch wieder verbeamten. Das mit diesen freien Jobs, das ist doch nichts.“

      „Vielleicht. Aber vielleicht kriege ich jetzt nen festen Job im Gefängnis.“

      „Toll. Dann wärst Du endlich nicht mehr Inoffizieller Mitarbeiter.“

      Lachen. Schweigen.

      „Na ja, und das Frühstück, Julius. Lecker. Und abends gab es immer so ein tolles Salatbuffet. Mittag war auch immer gut. Und reichlich. Aber zugenommen habe ich nicht, bei dem vielen Sport. Aber wäre auch egal in meinem Alter.“

      „Was für ein Alter? Du bist 83 und siehst mindestens aus wie grad mal 70.“

      Zumindest wenn Du Dir wieder die Haare färben würdest.

      „Aber laufen tue ich gerade wie eine 90jährige. Aber ich habe mir alles schon genau überlegt. Ich gehe jeden Tag mit meinem Rucksack in die Onkel-Tom-Ladenstraße und kaufe mir immer nur ganz wenig ein. Dann habe ich jeden Tag Training und kann mich versorgen.“

      „Schwachsinn.“

      „Wieso Schwachsinn. Wohne doch genau gegenüber von der Ladenstraße. Und weil ich wegen der blöden Krücken keine Hand frei habe, werde ich den Rucksack nehmen. Und zuhause mir eine Schürze umbinden, dann habe ich immer alles zur Hand.“

      „Du, Tante Thekla, ich bin schon mal vorsorglich bei Dir eingezogen und bleibe erst einmal bei Dir, um mich zu kümmern. Das ist doch das Mindeste, nach allem, was Du für mich getan hast.“

      „Brauchst Du nicht. Du hast doch Dein eigenes Leben.“

      Habe ich das? Ein eigenes Leben?

      „Doch. Keine Diskussion.“

      „Ich freue mich natürlich. Du, dann kann ich Deine Lieblingsgerichte für Dich kochen. Ich find, Du bist schon wieder so arg dünn geworden.“

      „Findest Du?“

      „Aber Ritalin nimmst Du doch hoffentlich nicht wieder?“

      „Nein, schon fast 8 Jahre nicht mehr.“

      „Gut so. Also am Ende Deiner Doktorarbeit, das war nicht mehr schön.“

      „Ich weiß. Aber eigentlich wollte ich für Dich kochen.“

      „Seit wann kannst Du das denn?“

      „Kann ich immer noch nicht.“

      „Na, siehst Du.“

      Noch 40 Kilometer.

      „So, da wären wir.“

      „Schau, da ist ein Parkplatz.“

      „Du, ich bring Dich und den Koffer nur schnell nach oben und dann muss ich schon weiter flitzen. Habe gleich noch eine Gruppe im Stasi-Gefängnis.“

      „Ja, kein Problem. Geh Du mal zu Deiner Stasi.“

       Daniel

      Im Hof des Gefängnisses.

      „Herr Lehmann, und wird die Schule nun schließen?“

      „Weiß nicht. Gestern hat unsere Kultusministerin noch gesagt, die Forderung vom Philologenverband, die Schulen in ganz Baden-Württemberg