Dame in Weiß. Helmut H. Schulz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Helmut H. Schulz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783847668299
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der Bankorders abwickelte und vielleicht auch selbst zu spekulieren vorhatte.

      »Daraus wurde ja auch nichts.«

      »Nein, daraus wurde nichts.« Sie schüttelte den Kopf. Eine komische Variante, ein Abschluss dieser Karriere·ergab sich Jahre später, als meine Familie zehntausend Mark Reichsanleihe zeichnete, wozu sie aufgrund irgendeiner Erbschaft in der Lage war.

      »Wir hätten mit dem Geld schon nichts mehr anfangen können«, erklärte meine Mutter. Sie legte mir ihre Hand auf den Arm, zum Zeichen, dass sie etwas Wichtiges mitteilte.

      »Es war kurz vor dem Krieg. In unserer Familie geschah immer etwas entweder zu spät oder zu früh, jedenfalls nie zur rechten Zeit.«

      Und das war endlich eine Wahrheit, es geschah immer zum unrechten Augenblick - dieses Schicksal teilte meine Familie mit dem anderer deutscher Familien, die auch Reichsanleihe zeichneten, weil es rein gar nichts anderes mehr gab als Geld in Hülle und Fülle und einen Krieg, der vor der Tür stand.

      Das also dürfte erreicht gewesen sein ...

      Christoph Ernst Stadel traf die Entlassung 1929. Er bezog Arbeitslosenunterstützung. »Eine schlimme Zeit«, bestätigte Verena. »Es kam aber solch ein Arbeitslosenhilfsprogramm, und dein Vater entschloss sich, nicht auf ein Wunder zu warten, sondern sich umschulen zu lassen.«

      »Warum wartete er eigentlich nicht auf ein Wunder?«

      »Na, hör mal!«

      Das Wunder kam nicht, aber das Hilfsprogramm, und so wurde Christoph Stadel beim Nachrichtendienst der Deutschen Reichspost Hilfsarbeiter. Er grub Löcher für Telegraphenstangen und schüttete diese Löcher wieder zu. Er zog später, als er durch Fleiß und aufgrund seiner Gelehrigkeit weitergekommen war, Leitungen; Strippen, wie er selbst sagte, er gewann über mancherlei Lehrgänge bestimmte Fertigkeiten, und er wurde, was er wurde. Beamter. Und erhielt eine Urkunde: Für gute Leistungen in der Wettkampfgruppe Energie-Verkehr-Verwaltung im Berufswettkampf aller schaffenden Deutschen ...

      Aber das alles hatte einen Preis gehabt.

      »Ohne Papas Entscheidung für uns wäre es nicht möglich gewesen.«

      Diese Umschreibung musste für die Verschleierung eines anderen Sachverhalts herhalten. Ein Briefwechsel, der uns als arisch-herkommend ausweist, Auszüge aus pommerschen Kirchenbüchern, Fotokopien oder amtliche Beglaubigungen finden sich; die Texte kraus und in gewundenem Deutsch, wurde allhier geboren, aber sie belegen eindeutig die indoarische Abstammung meines Vaters, es rollt kein nachweisbares Tröpfchen Blut Andersstämmiger in unseren Adern, und deshalb durfte mein Vater Telegrafenbauhandwerker und Beamter und Oberleitungsaufseher werden, und in die Nationalsozialistische Arbeiterpartei eintreten.

      »Himmelherrgottnochmal, wie kannst du nur so leicht darüber hinweggehen! Nie bist du auch nur einen Tag in so einer Lage gewesen wie ein Arbeitsloser. Das Arbeitslosenheer war groß, aber«, sie dehnte dieses Aber lang aus, »ich gebe zu, wir waren uns in den Zielen mit diesen Männern und Frauen einig. Niemand kann vorhersagen, wie etwas kommen wird. Und ich sehe keinen Unterschied, ob jemand seiner Rasse wegen unterdrückt wird oder wegen seiner sozialen Herkunft. Solange du einen Vater im Westen hattest, konntest du dir an den Fingern abzählen, wo deine berufliche Karriere hier enden würde, mein Sohn. Sieh endlich ein, dass da gar kein Unterschied ist. Tüchtig muss man sein, um voranzukommen. Manchmal bin ich stolz auf dich. Dein Vater war zu wenig unternehmend, ganz recht, sonst wäre eben doch alles besser gekommen oder zumindest anders. Wie die Mächtigen mit ihren Minderheiten umgehen, das ist doch das Wichtigste, nicht aus welchen Motiven heraus, Gründe finden sich immer«, sagte die Lehrerstochter, »und Schuld? Ich kann nur sagen, wer mir erläutert, für welche Schuld meine Familie mit Blut und Gut gebüßt hat in den Jahren nach dem Krieg, eigentlich bis heute, der verdient meine ungeteilte Bewunderung ...«

      In ihren Glasschränken standen Tauftassen und Sammeltassen, das. Hutschenreuther, die Bowle, Kristallgläser; der warme goldene Ton der Mahagonimöbel verbreitete etwas von Geborgenheit, von den Bildern meiner Kindheit, die mit dieser Wohnung verbunden gewesen sind und bleiben werden, solange Verena hier haust und ihre Teezeremonie abhält, obwohl sie eigentlich Kaffee bevorzugt.

       Kapitel 2

      In leuchtenden Bildern stehen mir die Taten meines Großvaters vor Augen; ich höre seine laute, barsche und manchmal heisere Stimme. In unbestimmten Abständen vergiftete sich mein Großvater mit großen Mengen Alkohol.

      Oft versammelte er ein paar Leute um sich, bewirtete sie mit Schnaps und setzte ihnen reichlich Essen vor. Die Wohnstube des Hauses in Wendisch-Rietz enthielt allerlei Gerümpel aus den alten Tagen, die Sägen großer Fische, ein präpariertes Krokodil, Muscheln und Buddelschiffe. In seinem Ohrenstuhl saß der alte Mattias, die tätowierten Unterarme aufgestützt, richtete einen unbarmherzigen Blick auf einen seiner Gäste, und sicher kam die Stunde, wo er anfing zu singen: Oh, this is the tale of John Cherokee/ Alabama John Cherokee!

      Er verlor den Faden, es dauerte, bis, er sich eingesungen hatte. Seine Freunde unterbrachen ihn mit nebensächlichen Fragen, meine Großmutter sah, dass ihr Mann den Punkt überschritten hatte, wo er sich unterhalten wollte. Jetzt suchte er Leute, die ihm zuhörten, Publikum. Leise begann er zu summen: Oh, die Zeit war hart und die Heuer klein, / Hau ab, Jonny, hau ab ...

      Noch immer hatte er keinen Ton, kein Lied gefunden, aber in ihm summten und brummten die Melodien seiner Jugend. Dann fiel er mit tiefer Stimme, die Tischgespräche übertönend, ein: De Hoffnung war hundert Tag unterwegs. / To my way, hay, hooday, / Se seilt von Hamburg na Valparais, / A long time ago. / Se seilte good, se seifte hart, / Se haar so ne gode un kostbare Fracht. / Un as de 0ol nu flucht un gnattert, / Dor keem de Düvel över de Reling klattert...

      Seine Hände schlugen den Takt, es hielt ihn nicht mehr auf seinem Stuhl, er sprang auf und begann zu tanzen. Vor meinen Augen verwandelte sich der trinkende hemdsärmlige Bauer in einen unternehmungslustigen Piraten.

      »Was glotzt du«, fuhr er einen der Männer an, die er kannte und schätzte; jetzt hasste, verhöhnte er sie und feuerte sich selbst immer neu an: Wie klein und wie hübsche war Ane Madam. / Oho, Ane Madam, Ane Madam. / Sie hatte ein Kind und dazu keinen Mann, / Oho, Ane Madam ...

      Meine Großmutter fasste ihn unter, sie wollte ihn wieder auf seinen Stuhl setzen, aber der schwer bezechte Mann machte sich sanft los, umfasste sie mit plumper Ritterlichkeit und zwang sie, mit ihm zu tanzen. Es kamen immer mehr Leute, Frauen und Halbwüchsige, setzten sich, bekamen ihren Teil an Essen und Trinken; meiner Großmutter hing feuchtes Haar in die Stirn, Hände krachten auf die Tische, draußen sank die Nacht, der eine oder andere stand auf, um zu füttern oder um zum Angeln zu fahren, aber die Mehrzahl der Leute blieb, wenn der alte Mattias seine großen Stunden hatte.

      Ich lag vergessen auf dem Sofa in der Wohnstube, schlief manchmal ein, wachte auf und sah die Lampe über dem Tisch schwanken, dahinter das leuchtend rote Gesicht des Alten ...

      Anderentags schlief er länger, stand auf und schlurfte träge durch das Haus, auf Suche nach einer Tätigkeit. .Es war leicht, ihm etwas einzureden.

      »Ein Schiff mit Segeln, bau ein Schiff mit Segeln.«

      Ich sah zu, wie er mit der Stichsäge die Form des Rumpfes ausschnitt, wie er mit Schleifpapier den Rumpf glättete, ihm Gestalt gab, und bekam eine Ahnung von den Schwierigkeiten planmäßiger Arbeit. Mattias ruhte nicht eher, als bis er das Spielzeug fertig hatte, es drängte ihn, seine Arbeit zu erproben.

      »Ob es wohl schwimmt?«

      Er sah mich zweifelnd an, lächelte, seiner Sache nicht ganz gewiss, und ging mit hinunter zu einer flachen Stelle am Wasser.

      Dort lagen seine beiden Boote. Er löste die Persenning, wir kletterten in die Plicht. Mattias befahl, das Segel zu setzen, ich wusste schon Bescheid, schäkelte das Horn in die Fall und fierte das große Segel -ein anderes hatten wir, nicht: Mein Großvater hob die Spiere leicht an, denn ich besaß nicht genügend Kraft. So segelten wir hinaus, er am Ruder, ich auf der Ducht, das Spielzeugboot festhaltend.

      Und es schwamm.