Ströme meines Ozeans. Ole R. Börgdahl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ole R. Börgdahl
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847621058
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Sie hat es uns gestanden, aber ihren Eltern noch nicht. Wir wollen sie unterstützen, so gut wir können. Victor hat ihr aber geraten, den Vater des Kindes zu heiraten, wenn das möglich ist. Jeanette hat darauf nichts geantwortet. Ich bin gespannt, wie die ganze Sache ausgeht. Wenn Jeanette das Kind bekommen hat, kann sie schlecht weiter für uns arbeiten, auf der anderen Seite können wir sie ja auch nicht fallen lassen.

      Paris, 22. Mai 1894

      Am vergangenen Wochenende waren Victor und ich auf einem Frühlingsball. Colonel Dubois hat uns die Einladung verschafft er ist auf Urlaub in Paris und hat gleich an Victor gedacht. Es war eine schöne Geste. Ich habe den Anlass natürlich dazu genutzt, um mich ganz neu einzukleiden. Ich habe neue Schuhe, ein neues Kleid sowieso und eine wunderschöne Robe, die ich auf dem Hin- und Rückweg getragen habe. Auf dem Fest hatten wir einen Tisch mit Colonel Dubois und seiner Frau. Vor dem Diner habe ich die ganze Zeit mit Madame Dubois geplaudert. Victor hat sich währenddessen mit dem Colonel beraten. Sie haben sich über Victors Schwierigkeiten unterhalten. Victor hat es mir später auf dem Heimweg erzählt. Es gibt wenigstens einen Lichtblick, der Colonel ist auf Victors Seite.

      Paris, 1. Juni 1894

      Mutter hat geschrieben und von einem großen Ereignis berichtet. Ende Mai waren Vater und sie zu Besuch in Manchester, zur Einweihung des Manchester Kanals. Der Kanal selbst wird schon seit Anfang des Jahres von Schiffen befahren und verbindet Manchester mit Liverpool. Manchester hat damit jetzt auch einen Seehafen, wie Mutter betont. Die feierliche Eröffnung fand im Beisein der Queen statt, welch eine Ehre. Leider waren Vater und Mutter nur Zuschauer am Rande des Geschehens und haben es nicht einmal geschafft, die große Queen Victoria aus der Nähe zu sehen, was Mutter im Übrigen sehr bedauert. Manchester scheint insbesondere Vaters Interesse geweckt zu haben, weil der neue Kanal in ihm den Gedanken nach einem Standortwechsel geweckt hat. Das Kontor könnte jetzt auch in Manchester seinen Sitz haben, was den Vorteil bringt, dass sich die großen Möbelfabriken in unmittelbarer Nähe befinden. Mutter befürchtet, dass Vater dieser Gedanke wirklich ernst sein könnte. Sie wüsste nicht, ob sie auch in Manchester einen so schönen Flecken findet, wie es Gayton ist. Manchester ist wohl sehr industriell, aber Liverpool doch auch und es wird sicherlich auch in der Umgebung von Manchester Dörfer wie Gayton geben.

      Paris, 15. Juni 1894

      Victor hat mir eine große Freude gemacht und mit mir ein Wochenende in Antwerpen verbracht. Es war natürlich ein ganz bestimmtes Ereignis, dass ihn hat Antwerpen aussuchen lassen, denn es findet dort gerade die Weltausstellung statt. Antwerpen bietet aber noch mehr. Am späten Freitagnachmittag waren wir im Antwerpener Beginenhof, einem Ort der Ruhe und gerade das richtige, um den Anreisetag ausklingen zu lassen. Am Samstagvormittag sind wir dann durch die Stadt gebummelt und am Nachmittag in den Zoo gegangen, wo mir das Elefantenhaus besonders imponiert hat. Am Sonntag haben wir uns endlich in den Trubel der Weltausstellung gestürzt. Ich kann meinem Tagebuch anvertrauen, dass die Weltausstellungen in Paris um vieles bedeutender und größer sind als jene in Antwerpen, doch hat auch Antwerpen seine Reize und Besonderheiten, aber eben nur im Kleinen. So ist mir ein Stand sehr ans Herz gewachsen. Es handelte sich um eine kleine Backstube. Ich habe dort so herrliche Schokoladenkekse gekostet, denen ich so sehr verfallen bin, dass ich an dem einen Tag mehrfach zu Gast war und neben den kostenlosen Proben auch reichlich Gebäck aufgekauft habe. Ich muss jetzt aufpassen und meine Vorräte gut einteilen, was mehrere Gründe hat.

      Paris, 26. Juni 1894

      In den letzten Monaten habe ich nicht mehr hingehört. Seit dem Vorfall in der Nationalversammlung und der Bestrafung des Täters gab es immer wieder Meldungen. Es gab Proteste gegen die neuen Gesetze, die sicherlich hart und nicht in jedem Fall gerecht sind, die aber ihre Notwendigkeit besitzen, um die Gewalt einzudämmen. Es hat wohl alles nichts genützt, denn jetzt ist das bestimmt schlimmste Attentat verübt worden, und zwar die Ermordung unseres Staatspräsidenten Monsieur François Sadi Carnot. Erst gestern am Abend machte die schreckliche Nachricht die Runde, denn der Staatspräsident hielt sich in Lyon auf und erfüllte seine Pflicht für Frankreich. Die Bestürzung ist groß. Victor hat sofort von einem Racheakt gesprochen, weil doch das Begnadigungsgesuch für diesen Vaillant vom Präsidenten abgelehnt wurde. Als neuer Staatspräsident ist bereits Monsieur Casimir-Perier gewählt worden, das Amt darf schließlich keinen einzigen Tag unbesetzt sein. Monsieur Casimir-Perier war noch vor kurzem Premierminister. Victor ist ihm sogar einmal persönlich begegnet, es war vor gut zehn Jahren, da war unser neuer Präsident noch Staatssekretär im Kriegsministerium.

      Paris, 30. Juni 1894

      Jeanette hat geheiratet. Wir haben ihr eine kleine Aussteuer geschenkt. Sie wird es brauchen können. Bei der Hochzeit waren wir allerdings nicht dabei, es gehört sich nicht. Ihren Ehemann kennen wir auch nur vom Namen her, Monsieur Wadeaux. Er ist Bäcker und arbeitet im Geschäft seines Vaters. Vielleicht hat Jeanette Glück und ihr Mann übernimmt eines Tages die Bäckerei. Auf jeden Fall ist sie vorerst versorgt, noch kann sie bei uns im Haus arbeiten, aber wir werden uns Ende August nach einem Ersatz für sie umsehen müssen.

      Paris, 3. Juli 1894

      Was das Attentat betrifft, haben sich die Gemüter selbstverständlich noch nicht beruhigt. Im Petit Journal ist gestern ein ausführlicher Bericht erschienen. Monsieur Sadi Carnot saß in der Kutsche, als der Attentäter ihn mit einem Messer tödlich verletzte. Das Journal hat es auf der Titelseite dargestellt und ich frage mich, warum der Präsident nicht besser geschützt worden ist. Den Artikel habe ich mir nur zur Hälfte durchgelesen, mehr konnte ich nicht ertragen.

      Paris, 8. Juli 1894

      Victor hat meinen Vorschlag nicht ganz vergessen. Gestern hat er sich mit Colonel Dubois getroffen. Der Colonel und seine Frau sind diesen Monat wieder in Paris. Ich würde liebend gerne noch einmal nach Nantes gehen, wenn wir dann endlich Ruhe hätten.

      Deauville, 15. Juli 1894

      Ab heute sind wir wieder in Deauville. Ich freue mich schon auf ein paar erholsame Tage. Es ist immer wieder ungewohnt, Victor ohne Uniform zu sehen. Bei der Anreise im letzten Jahr hat er sie erst hier in Deauville, im Hotel abgelegt und sorgsam in den Kleiderschrank auf unserem Zimmer gehängt. Diesmal hat er sie aber gleich in Paris gelassen und niemand konnte erraten, welchen Beruf Victor hat und er selbst wurde auch nicht daran erinnert. Wir sind also für sieben Tage ganz anonym und ganz entspannt und ganz ohne Sorgen hier in Deauville.

      Deauville, 21. Juli 1894

      Leider ist heute unser letzter Tag. Es gibt hier viele Leute aus Paris, die in den Sommermonaten fast jedes Wochenende in Deauville sind. Wir wollen morgen auf der Rückreise über Rouen fahren. Es findet dort eine Veranstaltung statt, die Victor unbedingt besuchen möchte. Ich weiß noch gar nicht, worum es geht, ich lasse mich überraschen.

      Paris, 23. Juli 1894

      Bei schönstem Ausflugswetter waren wir gestern in Rouen, bei einem Wagenrennen. Wir haben natürlich nicht das ganze Rennen verfolgen können, sondern nur die Zieleinfahrt, die aber sicherlich das Wichtigste bei einem Rennen ist. Es ist schon merkwürdig, diesen Gefährten zuzusehen. Es sind Kutschen, eindeutig, aber es fehlen ihnen die Gespanne, was eben das merkwürdige ist. Genauso merkwürdig ist der Lärm, den sie verbreiten und ein wenig auch der Gestank. Die Gefährte sind schneller als jede Kutsche, zumindest als jeder Zweispänner. Victor hat mir erklärt, dass ein Automobil auch niemals ermüdet, es sei denn, es gibt einen Defekt, dann nützt es allerdings auch nicht, die Pferde auszutauschen, weil es ja keine Pferde mehr gibt. Ich hätte da eine Idee, weil die Automobile doch ansonsten alles besitzen, was an eine Kutsche erinnert, so könnten sie im Falle eines Defekts doch immer noch Pferde anspannen lassen, um die Reise fortsetzen zu können. Victor hat nur den Kopf geschüttelt. Ich lasse mich aber nicht davon abbringen. Das Rennen hatte dann wohl auch seine Verluste, denn von den zwanzig Startern, die zugelassen waren, haben es nicht