Wütend stapfte sie davon. Ein leises Knurren kam aus der Kehle des Kahlkopfs, in dessen Armen sich Spike immer noch befand. Nun wurde ihm schon wieder ganz flau im Magen, erst recht als jener auch noch begann, die kräftigen Zähne zu fletschen.
»Bitte, bitte«, piepste Spike, »friss mich nicht! Ich schmecke sicher ganz fürchterlich und denk nur an all das Cholesterin...«
»Hab Gnade!«, brüllte zeitgleich ein Anderer und der lange Typ mit dem schokoladenbraunen Teint nahte stolpernd über den Rasen. Augenblicklich legte der Kahlkopf die Stirn in Falten und packte Spike am Schlafittchen. Ohne Mühe hielt er den Jungen dabei so, dass dieser strampeln konnte wie er wollte und doch mit den Füßen nicht den Boden berührte.
»Oh bitte, großer Lupo!«, jaulte der Typ mit dem Afrolook und fiel auf die Knie. »Sei edelmütig und lass ihn leben!«
Schief schaute ihn der Kahlkopf an, »Ach nee. Der gehört zu dir, Hulk? Das war ja so klar ... der hat genau so einen Sprung in der Schüssel wie du.«
Eifrig nickte der Farbige, wohl aufgrund der ersten Frage. Seufzend wurde Spike fallen gelassen. Reichlich unsanft landete er auf dem Hinterteil. Sein Schmerz bescherte ihm aber wieder einen klaren Kopf. Hektisch sah er von einem zum anderen und wusste gar nicht, vor wem er mehr Angst haben sollte: Vor dem Farbigen, der schief lächelte und dabei spitze Eckzähne entblößte oder vor dem unheimlichen Kerl mit den zwei verschieden farbigen Augen, dessen Haut ausgesprochen bleich war. Sogar noch blasser als Spikes eigener Teint. Zwar saß ihm schon wieder ein Frosch im Hals, doch Spike überwand sich, denn das Folgende musste gesagt werden.
»Das hier kann doch einfach nicht real sein! Raus schon mit der Sprache ... was habt ihr mir gegeben? Drogen? Gift? Halluzinogene?« Obwohl er, aufgrund seiner Heiserkeit, nur piepste wie eine Maus, verstanden seine Gegenüber doch jedes Wort.
»Keine schlechte Idee«, fand der Kerl mit den zwei unterschiedlichen Augen in einem sarkastischen Unterton, »der Kleine hier scheint ja mächtig neben der Spur zu sein.«
»Tja, äh«, rang der Farbige mit dem Afrolook nach Worten.
Schützend hielt sich Spike schon wieder die Hände vor das Gesicht, »Was ihr zwei auch tut - fresst mich nicht!«
»Pff«, kam es geringschätzig von dem Kahlen, »nur zur Info: Ich knabbere nichts an, das eins an der Waffel hat. Schließlich könnte der Irrsinn ja echt ansteckend sein. Aber eines noch.« Dabei trat er wieder vor, beugte sich über Spike und sah ihm tief in die Augen. »Ich wäre gut mit der Göre allein klar gekommen. So was schadet meinem Image. Mach so eine Aktion nicht noch einmal, Kurzer!«
Verschreckt zog Spike den Kopf ein. Der Farbige, der offenbar Hulk hieß, warf sich nun auch noch der Länge nach ins Gras: »Er ist neu hier und kennt die Regeln nicht! Lass Gnade walten, großer Lupo!«
»Hmpf«, kam es verstimmt von dem Angesprochenen und Spike blickte gar nicht mehr durch. Schließlich hatte er doch gar nichts falsch gemacht. Ein Gefühl, das er nur allzu gut kannte, kam in ihm hoch: wieder einmal wurde er ungerecht behandelt.
Von Spike unbemerkt hatten sich rings umher einige Gestalten eingefunden. Darunter die Frau mit dem Hexenhut, die sechs Mädchen, die vorhin oben mit ihr auf der Terrasse gestanden hatten, dazu noch der Zyklop und die junge Dame mit den langen blonden Haaren. Alle lauschten aufmerksam, während der Glatzkopf den Hals reckte, die Muskeln an seinen athletischen Armen spielen ließ und einen ganz besonders finsteren Gesichtsausdruck aufsetzte.
»Jetzt macht der Lupo sie fertig - alle beide«, raunte es von der Dreier-Mädchen-Clique herüber.
»Nicht doch«, zischte die Blondine dazwischen, »dazu ist mein Held viel zu edelmütig.«
Zwar hatten sie es nur geflüstert, doch Spike hatte es wohl vernommen. Das Gefühl der ungerechten Behandlung wurde immer stärker in ihm. Oft war es noch nicht vorgekommen, dass dieses Gefühl in ihm derart überbrodelte, dass er sich zur Wehr setzte. Heute war es aber so weit.
»Was ist nur los mit euch schrägen Typen?«, fing Spike an zu schimpfen wie ein Rohrspatz und seine Stimme kehrte zurück. Langsam erhob er sich und alle Anwesenden staunten. »Ich hab doch nur versucht zu helfen!«
Ein tiefes Brummen kam von dem Glatzkopf, der farbige junge Mann richtete sich dabei auch langsam wieder auf, kam wie ein Wiesel an Spike herangeschlichen und ergriff ihm beim Arm. Dabei machte er mit dem Kopf eine ruckartige Bewegung, als wolle er in Richtung auf das Gemäuer in der Nähe verweisen.
»Los doch, entschuldige dich«, raunte der Große Spike ins Ohr, wobei seine Stimme leicht bebte, »du hast den großen Lupo beim Training gestört und das ist gar nicht gut.«
»Was habe ich?«, entrüstete sich Spike und verschränkte die Arme. »Geholfen habe ich!«
Das Brummen in der Kehle seines Gegenübers wurde zu einem aggressiven Knurren. Derweil zerrte der Farbige immer stärker an Spikes Ärmel, doch der rührte sich nicht.
»Ich habe ihm das Leben gerettet! In der normalen Welt kommt keiner gegen einen hungrigen Löwen an«, beharrte Spike und das Raunen umher wurde immer lauter. Leicht ballte der Typ mit der blassen Haut schon die Fäuste. Er schien kaum älter zu sein als Spike selbst, machte aber ein solches Gesicht, als sei er ein Diener der Apokalypse oder des Teufels persönlich.
»Der Lupo braucht keine Hilfe«, flüsterte der Große, »los, lass uns verschwinden, bevor...«
»Ich werde mich nicht entschuldigen!«, fluchte Spike und als er dafür erbostes Fauchen erntete, stampfte er kräftig mit dem linken Fuß auf.
Ein kleines Erdbeben schüttelte daraufhin alle Anwesenden durch und ließ sogar den missgelaunten Typ inne halten. Doch kaum hatte die Eruption nachgelassen, schwafelten alle Anwesenden wild durcheinander. Der junge Kahlkopf ballte zwar die Fäuste, wandte sich dann aber zum Gehen.
»Man sieht sich, Kleiner«, kam es mit drohendem Unterton von ihm.
Spike selbst wurde da etwas energischer von dem Großen zur Seite gezerrt. In diesem Moment empfand er gar keine Angst vor jenem, der tief beeindruckt aussah.
»Du hast dich gerade mit dem Lupo angelegt - und es überlebt!« Die Stimme des Schwarzen wurde dabei ganz überschwänglich. »Junge, du bist der Oberknaller!«
Eh Spike sich noch versah, umarmte ihn der hoch gewachsene Hulk abermals überschwänglich. Immerhin wurde im diesmal nicht gleich schwarz vor Augen.
4. Hexenmeister wider Willen
»He! Ihr zwei!« Von dem Gemäuer her nahte der Mann mit der bleichen Haut, die sporadisch von grünem Flaum überzogen war. Das Beben seiner Stimme verriet, wie aufgebracht er war. Dicht bei Spike und dem Langen blieb er stehen.
»Ihr zwei Chaoten vom Dienst sollt euch umgehend beim Direktor einfinden! Euretwegen steht die ganze Universität Kopf!«
Trocken schluckte Spike, denn erst jetzt fielen ihm die unheimlichen Augen des ohnehin grotesken Mannes auf. Sowohl seine Pupillen wie auch die Iris waren genau so weiß gefärbt wie der Rest seines Augapfels.
»Na los doch, folgt mir!«, verlangte der Mann und bewegte sich in eigenartig hüpfender Manier vorwärts. Auffordernd sah er dabei über die Schulter zurück.
Spike seinerseits schielte zu dem großen Farbigen auf. Erst jetzt hatte er die Muße auch ihn genauer anzusehen und im Moment gruselte er sich dabei überhaupt nicht. Im Gegenteil, mal abgesehen von den spitzen Zähnen sah der Riese sogar reichlich sympathisch aus. Er schien nur wenige Jahre älter als Spike selbst zu sein. Auf dessen zwei Meter Größe verteilte sich aber kaum Gewicht. Seine Figur war am besten mit den Worten hager und schlaksig zu beschreiben. Wangenknochen sowie Schlüsselbeine traten deutlich sichtbar hervor.
»Habt ihr da hinten Wurzeln geschlagen? Den Direktor sollte man nicht warten lassen!«
»Da hat er Recht, der kann sonst sehr ausfallend werden«, raunte