Ein greller Schrei entwich dem hochgewachsenen schwarzen Mann daraufhin und der Kerl im Mantel begann schwer zu atmen, offenbar ging ihm nun auch die Muffe. Sein Schnauzer bebte regelrecht vor Anspannung. Während sich Spike noch fragte, was hier gespielt wurde und mit welcher Säure gerade hantiert worden war, stieg ihm ein eigentümlicher Geruch in die Nase. Es war aber nicht der von Gift und Galle, sondern jener des beliebtesten Gewürzes seiner Stiefmutter: Knoblauch.
Ein Husten kam von dem Übergossenen, sein Gegner machte einen Schritt rückwärts und auch Spike rutschte ein Stück davon. Er war jedoch weder im Stande davon zu rennen, noch um einen klaren Gedanken zu fassen oder gar mit dem Telefon Hilfe zu rufen. Völlig perplex schaute Spike sich an, was da vor seiner Nase geschah. Es war alles für ihn völlig unrealistisch, als würde er gar nicht dabei sein, sondern einen Film anschauen.
Ein Husten kam von dem Großen, der sich schüttelte wie ein nasser Hund: »Hey, Meister! Knoblauch-Öl ist echt okay. Nimm aber nächstes Mal Dill-Essig - den kann ich nicht ausstehen.«
»Wie bitte?«, der Mann mit Trenchcoat und Walrossbart ballte die kräftigen Fäuste und zog einen neuen Gegenstand aus der Manteltasche: ein Kreuz, welches er gleich von sich schleuderte. Frontal traf es den dunkelhäutigen Mann an der Stirn, welcher in hohen Tönen kreischte: »Was soll denn der Mist schon wieder? Verdammt, das tut doch weh! Aus was ist das Ding, aus Eisen?«
»Aus geweihtem Eisen, du Ignorant!«, beschwerte sich der Bärtige. »Zerfalle endlich zu Staub und kehre in das Fegefeuer zurück, aus dem du gekrochen kamst!«
Nun wurde Spike alles klar. Das war ein Traum. Die Realität konnte es ja wohl kaum sein. Denn offenkundig handelte es sich hier um einen Disput des Guten gegen das Böse. Einer der beiden war der Jäger, der andere der Gehetzte - ganz so wie in den Vampir-Videospielen. Doch es wurde noch besser.
»Wie war das?«, der Große rieb sich die Stirn. »Kannst du das wiederholen, das ging mir echt zu schnell. Ich glaub ich hab 'ne Gehirnmauke von der ganzen Würgerei.«
»Dir werd ich es zeigen, Dämon!«, schon sprang der Mann mit Schnauzer vor, packte das Kreuz und hieb damit um sich. Mehr als einmal traf er auch, was der Andere mit Wehgeschrei beantwortete. »Na bitte, so kann man das heilige Kreuz auch einsetzen!« Während er noch faselte, traf er den Schwarzen am Hinterkopf, der sich daraufhin auf dem Boden lang streckte und nur noch ein Stöhnen von sich gab. Irgendetwas tropfte von dem metallenen Gegenstand und endlich fand Spike wieder zu sich.
»Hilfe, Polizei!«, brüllte der Junge aus Leibeskräften und wollte stiften gehen, doch da kam der Kerl im Mantel auch schon ihm nach und packte ihn am Schlafittchen.
»Du gehst nirgendwo hin!«
Voller Entsetzten drehte Spike ihm den Kopf zu. Ihm dünkte, dass nun sein letztes Stündlein geschlagen hatte. Der kalte Blick des Fremden streifte ihn.
»Ich meine ... du solltest nicht gehen bevor du die Wahrheit kennst.« Dabei ließ er Spike zu Boden fallen. Da sie nun nahe der Lampe waren, konnte Spike das grobschlächtige Gesicht des Mannes erkennen, dessen feiste Wangen, die blitzend hellblauen Augen und die Glatze, von der er sich gerade den Schweiß mit dem Hemdsärmel abwischte, nachdem er die Schiebermütze abgesetzt hatte.
»Hier gibt es nichts, weswegen man die Polizei rufen muss. Ich bin ein Jäger und der da ... ist ein Vampir und es ist das Gesetz der Welt, dass die Guten - also ich - Typen wie den aus dem Weg schaffen, damit sie nicht arme hilflose Passanten des Nachts überfallen, schlafende Mädchen aussaugen ... na du weißt schon, was ich meine.«
Wie ein verschrecktes Kaninchen schaute Spike von unten zu dem Mann auf. Eines war ihm bewusst: der Kerl musste völlig wahnsinnig sein. Dieser bemerkte Spikes ungläubiges Gesicht und strich sich über den wilden schwarzen Bart. Ein Seufzen entwich ihm und übertönte das Stöhnen des Gefallenen, der sich im Hintergrund aber schon langsam wieder aufrichtete.
»Was ich wirklich sagen will, ist Folgendes, Junge.«
Zwar hatte Spike die Hoffnung, der Kerl wäre abgelenkt, als er soeben sein Mobiltelefon aus der Hosentasche gefischt hatte. Doch nun musste er feststellen, dass der so genannte Jäger Augen wie ein Luchs besaß. Schon schnellte dessen Hand vor, er packte das Handy und warf es über die Schulter davon. Ein Klatschen verriet, dass es im Fluss versenkt war.
»Wo war ich? Ach ja ... Folgendes: Mach dir keine Sorgen. Du brauchst niemanden zu beunruhigen, schon gar nicht die Polizei!« Dabei richtete sich sein durchdringender Blick auf Spike, der den Kopf zwischen die Schultern zog. »Das hier ist nichts weiter als ein Rollenspiel - du weißt schon, diese halb Verrückten, die sich als Elfen, Trolle und wer weiß was verkleiden und schreiend durch den Wald rennen oder so. In unserem Fall bin ich der Jäger und der da ist Graf Dracula.«
Kurz hielt der Bärtige in seiner Rede inne, da fauchend von hinten der dunkelhäutige junge Mann nahte. Routinemäßig schielte der Kerl im Trenchcoat nach hinten, ballte die Faust und knallte sie dem anderen mitten ins Gesicht, als dieser nahe genug war. Jaulend wich jener gleich wieder zurück, sich die Nase haltend. Etwas Flüssiges tropfte zu Boden.
»Alles nur gestellt«, behauptete der Schmierenkomödiant und rückte seine Schiebermütze wieder auf der Glatze zurecht, »der hat nicht wirklich Schmerzen. Ist alles nur Show - wie im Film.«
Langsam und vorsichtig rutschte Spike noch weiter über den Boden zurück. Der breitschultrige Mann wähnte ihn wohl schon auf der Flucht, als er sich umdrehte und den fauchenden Mann hinter sich abermals am Hals packte. Wieder klopfte Spike das Herz bis zur Kehle. Doch diesmal bewahrte er sich einen kühlen Kopf. Er glaubte kein Wort davon, dass alles nur Show war und schon gar nicht nahm er dem Mantelträger ab, dass dieser der Gute sein sollte. Erneut flackerte der Mut in Spike auf, als er sich gegen den Boden stemmte, um aufzustehen. Ein Kribbeln erfüllte in dieser Sekunde seine Fingerspitzen und ein leichtes Erdbeben schüttelte die Kontrahenten durch. Postwendend fuhr der Schnauzbärtige herum und ließ von seinem Opfer ab, das keuchend in die Knie ging. Der frostige Blick haftete nun wieder auf Spike, als könne dieser etwas für die Naturgewalten.
»Was bist du?«, knurrte der Mann mit der speckigen Jacke, machte einen Schritt nach vorne und abermals kribbelte es Spike in den Fingern. Heulend erfasste eine Sturmböe den Fremden und drängte ihn in Richtung des Flusses, aus dem sich zeitgleich eine Welle erhob, deren Wasser sodann dem Mann um die Ohren klatschte. Ein Teil davon gefror augenblicklich. Hut und Bart waren mit einer dicken Reifschicht bedeckt. Der eisige Blick des Kerls wurde leicht konfus, als er auf dem Absatz herum fuhr und das Weite suchte, etwas von schwarzer Magie brüllend.
Entgeistert starrte Spike ihm nach. Noch immer wusste er nicht, ob er träumte oder wachte. Langsam erhob er sich, doch kaum, dass er stand, sah er sich frontal dem Riesen mit der dunklen Haut gegenüber. Mit seinen gerade mal einen Meter fünfundsechzig fühlte sich Spike eh immer zu kurz geraten. In Gegenwart des Zweimeter-Giganten aber meinte er für einen Moment ein Gnom zu sein. Mit beklommenem Gefühl schaute Spike zu ihm auf. Die grauen Augen des Fremden leuchteten auf mysteriöse Art und Weise. Sein Mund war etwas geöffnet und entblößte die spitzen oberen Eckzähne. Für Spike wirkten sie ganz und gar nicht künstlich, wie etwa sein eigenes Vampirgebiss beim letzten Halloween. Im Gegenteil, sie schienen außerordentlich echt zu sein, genau wie die zugespitzten Ohren, die aus dem krausen Haar des Schwarzen hervor lugten. Wieder wurde Spike ganz flau zu Mute.
»Bitte, friss mich nicht ...«, brachte der Junge mit Mühe hervor. Der Fremde hielt inne, der schon die Hände mit den wohlgefeilten, aber spitzen Fingernägeln nach ihm ausgestreckt hatte.
»Meinen Retter verspeisen? Das wäre außerordentlich unhöflich, oder nicht?«
Spike schluckte trocken. Die Situation wurde