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Flugblatt! Flugblatt! Flugblatt!
Kommen Sie, ja, Sie, genau, Sie, Sie, der Sie so fragmentarisch mustern. Mund auf, Kopf auf, rein mit der Soße. Was steht auf der Büchse? Dada! Was ist Dada? Besser sollte man meinen: Was ist Dada nicht? Nicht Nicht-Dada ist Dada, Dada ist Nicht-Dada, in seiner gegenseitigen Verneinung zum Ja, also wenn solches nicht-ist sein soll und immer das Gegenteil seiner selbst wäre, sei Dada jenes.
Treten Sie also los, nehmen Sie Positur an, stellen Sie sich neben sich und in Ihren Nächsten, drehen Sie sich viereinhalbmal im Kreise und kommen Sie zum Lützowufer 13, in die Kunsthandlung Otto Burchard. Dada.
Die Himmelsrichtung, so so, wenn Sie mir damit mal nicht die Koordinaten meinen. Hier denn nun die dadaströse Wegumschreibung, per Gesetz:
Man rupfe die heilige Banane vom Baume der Erkenntnis, löse die Mehlfrucht aus der Schale, lege diese umsichtig und unsichtbar vor sich an die Füße und marschiere lauten Schrittes voran. Wusch! Rups! Padabum! Klaps! Wenn Sie nun ausgerutscht auf dem Hosenboden sitzen, sich kratzen und fragen: Ja, geht‘s noch? Dann hieße das: Befehlsverweigerung! Auf, auf, ein zweites Mal. Wie kürzlichst noch in kriegerischem Einheitszweiteilen, Dada-Krieg. Jetzt dürfen Sie lachen. Jetzt nicht mehr. Jetzt wieder doch. Stopp. So tönt und trötet es der Feld- und Wiesenmarschall in sein Blashorn. Danke dafür – dafür nicht – danke. Dada sei hierbei gedankt. Will aber heißen: Grapschen Sie sich am Kragen, nehmen Sie sich eine Wäscheleine, kommen Sie heran. Dada ist nicht, Dada bleibt. Dada wird Ihnen die Birne schon Instand setzen. Die Kunst aber ist tot, da war nichts zu machen. Jeden Montag um sieben Uhr Soirée.
Mit deutlichen Grüßen,
jedermann sein eigener Fußball,
der Propagandadada
Flugblatt! Flugblatt! Flugblatt!
KAPITEL II Dada und die Weltformel 1920
Der lange Fips in weißem Nerz und roter Schelmkappe öffnete den Gästen die Türe und gurrte. »Hereinspaziert, hereinspaziert, Dada sperrt Ihnen vorzüglich Ihre Schädeldecke auf. Kein Schreck, kein Schreck.«
Der Eingang lag verborgen hinter einer Poststation und einer öffentlichen Toilette nahe dem Lützowufer. Die misstrauischen Interessierten sammelten sich an der Kasse und sahen sich verschwiegen an. Kollwitz war eine der Wenigen, die nicht lächelten. Karl hatte sie dazu überredet, herzukommen. Er zahlte den Eintrittspreis scheinbar gewohnt und schien die Regeln zu kennen.
»Nur kalt Blut meine Damen und Herren, kommen Sie, haben sie Zuversicht in die Amöbe, setzen Sie Hoffnung in die Mikrobe. Dada ist die erste und größte Weltform. Wir sind die wahren Kommunisten des ehrlichen Kapitalismus, denn wir ziehen jedem das Geld aus der Tasche.« Und die Glocken an seiner Eulenspiegelmütze bimmelten. Er hielt einen schnurrenden Kater auf dem Arm und kraulte ihm die Kinnlade, während er mit der anderen Hand etwas umständlich die zwei Mark fünfzig Eintrittspreis entgegennahm. Er grinste wie ein Clown ohne Puderquaste, etwas Besorgniserregendes das ansteckend schien. Die Zähne schwarz wie Ruß, die Haut weiß wie Kalk, lang wie eine Bodenleiste. An den Wänden hingen groteske Collagen und eigenartige »Erzeugnisse«, wie die Gastgeber es nannten. Grotesk und für das Gros der Besucher eher Zumutung als Mut zur Aussage. »Sperren Sie endlich Ihren Kopf auf«, titelte ein Plakat. Die Augen waren ausgeschnitten, Buchstaben waren darüber geklebt. »Schau dich ruhig um«, sagte Karl, der die Ausstellung schon kannte und ging vor in den Theaterraum, in dem später die Soirée stattfinden sollte. Kollwitz nickte. Sie war ihm dankbar, sie mal aus ihrem Atelier geschleift zu haben. Es tat ihr gut rauszukommen. Zuletzt war sie auf einer Skulpturbaustelle eingeschlafen. Interessiert näherte sie sich einem dieser verworrenen Werke, skizzenhafte Zeichnungen, die hier und da die Wände mit Aussage tapezierten. Auf diesem einen war ein Offizier geschmiert, der mit erhobenem, offensichtlich blutgetränktem Säbel über einem toten Strichmännchen kniete, welchem er die Kehle aufgeschnitten hatte und es anbrüllte. Die Bildunterschrift lautete »Noske bei der Arbeit«. Sie kam nicht umhin zustimmend zu nicken. Ein mittelgroßer, alter, etwas dunkelhäutiger Mann mit Halbglatze, weißem Seitenhaar und dickem schwarzen Mantel stand unbemerkt neben ihr und schüttelte den Kopf. »Rümpel, nichts als Rümpel«, knurrte er. »Sie stimmen mit dieser Ansicht über Noske nicht überein?«, fragte sie ihn. »Noske? Der Bluthund? Das soll Noske sein?« »Da steht’s.« Sie zeigte auf die Bildunterschrift. »Das macht’s auch nicht besser«, sagte er, dann sah er sie an. »Frau Käthe Kollwitz? Ist ja nicht wahr. Ich habe die Ehre.« Dann gab er ihr die Hand wie einem Arbeitskollegen. »Ist das so? Sie haben Ehre? An welcher Front haben Sie gedient?«, fragte Kollwitz sarkastisch, doch ihr Gegenüber war sehr wohl imstande zu schwarzem Humor. »Verzeihen Sie, Pietät, ich weiß natürlich um Ihren Verlust. Ich freue mich Sie mal in Farbe zu sehen.« »Na also, und Sie sind?« »Dachs, Ansgar Dachs, was für eine Zeitverschwendung, nicht wahr?« Er nickte zu den Zeichnungen. Keine Ausarbeitung, dafür Massenproduktion, Kritzeleien aus den hinterletzten Hinterköpfen der Hinterhöfe. Leere Strichmännchen, nichts was einem die verschwendete Lebenszeit zurückgäbe, während man es anglotzte. »Ich war bei denen schon in Zürich«, sagte er abfällig, »da waren die Zustände ähnlich beschissen.« »Kindlich rein, doch nicht