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Zürcher Depesche
zum Deutsch-Russischen Überraschungsfrieden.
Hochverehrter Gospodin Wladimir Iljitsch Uljanow Lenin,
Ihr wohl formulierter Einreiseantrag gab uns herzlich zu denken auf. Viele von unserem Besprechungskreis haben Ihr Buch »Was tun?« gelesen. Ihr glaubhaft fest gefasstes Vorhaben, das russische Machtgefüge zu entratifizieren, den kerenskischen Starrsinn zu beenden und unser beider Länder endlich und für ewig mit dem Frieden zu weihen sei darum nach Absprache mit meinem Vorgesetzen Nummer 3 und 8 sowie Geheimperson Nummer 32 als gemeinsames Projekt zu begreifen, ja, und nach ihm gilt es zu handeln. Sie haben in meiner Abteilung einiges an Hoffnung losgelöst. Dafür danke ich Ihnen.
Wir haben Ihre Vorschläge zur physischen Remigration nach Petrograd mit tiefem Ernst und wägendem Mut durchlesen. Sie werden mit folgend jeweiligen Begründungen negiert:
Ihre Vision, gemeinsam mit Ihrer Kommission per Fallschirm aus Zeppelinen zu springen ist zwar kurios und lässt sich eine gewisse heroische Dramaturgie nicht absprechen, wird aber durch die kriegstechnologischen Fortschritte an den modernen Frontlinien zu riskant – wo Flaks unter jedem Busch und Jagdflieger hinter jeder Wolke hervorzuschnellen vermögen. Belassen wir es dabei. Somit sei auch die Idee mit den verbundenen Heißluftballons gleichermaßen abgewogen wie abgelehnt. Die Lüfte sind voller Gefahren in solch mechanischen Zeiten, seien Sie uns dessen gewiss, Herr Lenin, wir haben den Krieg mittlerweile kennengelernt und richten uns denn auch danach. Ihre dritte Option, die Gesamtkostümierung Ihres Gefolges zu einem lettischen Wanderzirkus ist uns, insbesondere mir persönlich, schleierhaft. Das Lettische ist uns allen fremd. Das Kaiserreich hat weder Schneelöwen noch rechnende Elche noch Tanzbären zu bieten, wie Sie forderten. Die drei Elefanten sind das Letzte, auf das seine Hoheit sich stützt – eine Freigabe unmöglich. Die Nashörner wurden bereits 1912 an die Osmanen verschenkt. Trotz des zündenden Überraschungsmoments, welches mir durchaus einleuchtet, wird es nach unserer Ansicht schlicht zu teuer, geschweige denn zu unsicher, das nötige Material auf unentdecktem Wege und in gemeinnütziger Zeit zu beschaffen. Unsere Mission erfordert Beweglichkeit. Wir befinden uns im Auge des Krieges.
Mein Geheimstab und ich haben darum folgendes Kalkül entworfen:
Sie und Ihr Kollektiv werden einfach, rechtlich und gerecht mittels Transit innerhalb von mindestens 5 bis maximal 9 Tagen nach Stockholm befördert – ganz blau und plausibel mit deutschem Reichsreiserecht. Die nötigen Unterschriften weiß man als versprochen, die wichtigen Dokumente dürfen als unterzeichnet gelten. Der Geheimstab arbeitet parallel.
Unter dem Decknamen »Operation Verplombung« wird eingeleitet:
Sie steigen am zehnten des nächsten Monats um 7:45 MEZ in Gottmadingen bei Konstanz in den Zug Nummer 8, maximale Aufnahmekapazität 33 Personen, Aufnahmebereich Wagon Nummer 3 und 4 (Geheimperson Nummer 32 erwartet Sie an Gleis 7 in meinem Namen). Unter offiziellem Schutz der Wehrmacht (2 Offiziere) verbringt man Sie durch das gesamtdeutsche Reichsgebiet bis ins nördliche Sassnitz. Dort steht ein Fährschiff für Sie bereit, welches Sie und Ihr Gefolge in schwedisches Staatsgebiet verbringen wird. Alles passiert auf leisen Pfoten versteht sich. Arbeiteraufstände in unserem Inland sind unserer Handhabe entzogen und der Behörde des Innern unterstellt. Geben Sie Acht. Geheimperson Nummer 32 kümmert sich um die Gegebenheiten vor Ort, falls Verhandlungen auftreten sollten. Ab dem Stockholmer Hafen sind Sie auf sich allein gestellt. Petrograd ist dann nur noch eine Schiffsreise entfernt.
Es bleibe gesagt:
Ich spreche für mich und im Namen meines Mannschaftskerns, wenn ich sage: Mögen Ihnen, Herr Lenin, und Ihrer bolschewistischen Bewegung aller Erfolg zu Teil werden, welchen Sie sich zu erkämpfen versuchen und an deren weiten Visionen Sie uns in Ihrer Korrespondenz teilhaben ließen. Wir hefteten nur unsere bescheidenen Interessen an Ihre Schnur. Fahren Sie fort und ziehen Sie die Leine – der Deutsch-Russische Separatfrieden schlummert in Ihren Fäusten, lastet auf Ihren Schultern, liegt zu Ihren Füßen. Tun Sie es.
Concordia domi, foris pax,
Baron Exzellenz Wirkl. Geh. Rat
Gisbert Freiherr von Romberg
Deutsches Referat Bern,
an Zürich, März, 1917
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