Die freien Geisteskranken. Jasper Mendelsohn. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jasper Mendelsohn
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742776693
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Gespenstes zurück auf den alten Flammenberg und löschte alles Feuer bis auf den letzten armen, leuchtenden Glühwurm und Armleuchter aus.« Der Einsiedler nahm wieder etwas Pulver aus der Hand und streute es in das Lager. Er schien seine Rede beendet zu haben, denn er sagte nichts mehr. Brockhaus kramte in seinem Bart und Dachs schnarchte. Er war offensichtlich endlich eingeschlafen. »Und das Feuergespenst, das zu Stein wird und alles plattmacht ist eine Metapher für was?«, fragte Brockhaus, der das Suppenhaar gefunden zu haben schien, nach dem er suchte. »Es ist keine Metapher«, sagte der Einsiedler. »Es ist ein Gleichnis.« »Um was zu sagen?« »Wie es ist.« »Wie können Sie wissen wie es ist? Sie waren sieben Jahre nicht mehr da draußen. Sie waren sieben Jahre allein.« »Es ist, wie ich denke, wie es ist«, sagte der Einsiedler. Brockhaus lächelte entzückt über die stolze Naivität des jungen, bärtigen Mannes in seiner Eifler Tropfsteinhöhle. Seinen Frieden scheinbar früh gefunden, mit der Vulkan-landschaft Verwandtschaft geschlossen. »Es steht hier überall auf den Steinen«, wiederholte sich der Einsiedler. »Wie heißen Sie denn? Oder wie hießen Sie mal?«, fragte Brockhaus. »Damals, in Ihrer anderen Welt, bevor sie in den Krieg gezogen waren? Im Zivilverhältnis, wie man so schön sagt.« »Ich hieß Peter«, sagte der Einsiedler. »Und wie nennen Sie sich jetzt?«, fragte Brockhaus weiter. »Ich gebe mir keinen Begriff«, winkte der Einsiedler ab. »Es gibt genug Wörter, die nicht beschreiben, was sie sind, da brauche ich für mich nicht auch noch eins. Ich träume jede Nacht – und jeden Morgen stehe ich mit einem neuen Namen auf.« Dachs schnaufte auf und rieb seine Zähne, dass sein Gebiss quietschte. »Was er wohl träumt«, sagte der Einsiedler, den schlafenden Dachs betrachtend. »Ach, Der träumt nur von sich selbst«, lachte Brockhaus, zufrieden seinen besten Freund in friedlichem Tiefschlaf zu sehen. Auf dass er bald aufwache und einen ernüchternden Vorschlag mache. »Der ist ein unaufhaltsamer Bär auf Honigsuche.« »Lapislazuli finden Sie in dieser Höhle nicht«, gestand der Einsiedler plötzlich. Brockhaus blickte überrascht auf. »Aber ich habe eine Lapislazuli-Ader entdeckt. In einer kleineren, aber steileren Höhle, vielleicht tausend zweihundert Schritte nordostwärts von hier, da schimmerte mir ein wunderschönes Blau entgegen.« »Tatsache!«, stellte Brockhaus lautstark fest. Und schüttelte den träumenden Dachs. »Aufwachen Ansgar, ich kenne den Weg.« Dachs schoss nach oben und sprach aus seinem Traum heraus, der Realität entgegen. »Nein. Das kostet acht Millionen Mark. Bedenken Sie die Inflation! Seh ich denn aus wie der Briefträger? Scheiße!« »Ansgar!«, rief Brockhaus ihn zurück. »Das Lapislazuli, wir wissen jetzt wo es ist.« »Wo? Raus mit der Spucke. Hat der Höhlenpfaffe endlich ausgepackt?« »Hat er«, sagte der Einsiedler und lächelte zum ersten Mal eindeutig. »Na dann los!«, rief Dachs, griff nach dem Rucksack und der Gaslampe und marschierte voraus. Brockhaus gab dem Einsiedler die Hand. »Verraten Sie niemandem, dass es mich gibt, ich komme von selbst, wenn es soweit ist«, sagte der Einsiedler zum Abschied. »Wann wird das sein?«, fragte Brockhaus. »Vielleicht in einer Minute, vielleicht nie, ich weiß nicht.« »Na dann, viel Erfolg mit Ihrem Wasserwerk und was immer Sie hier auch tun. Und nur damit Sie Bescheid wissen: Uns hat es auch nie gegeben. Klar?« Der Einsiedler nickte und kniete sich wieder vor seinen Stein, nahm den Zweig, tunkte ihn in die Pfütze und schrieb. Brockhaus schloss auf Dachs auf, sie folgten dem Ariadnefaden zurück an den Eingang und gingen tausend zweihundert Schritte nordostwärts zur nächsten Höhle, krackselten abermals hinab und fanden den Lapislazuli. Doch da Dachs das Minenbesteck, namentlich den Meißel vergessen hatte, konnten sie ihn nicht herauslösen. Drei Tage später kamen sie wieder und schürften. Den Einsiedler besuchten sie kein zweites Mal.

      X X X

      Zürcher Depesche

      zum Deutsch-Russischen Überraschungsfrieden.

      Hochverehrter Gospodin Wladimir Iljitsch Uljanow Lenin,

      Ihr wohl formulierter Einreiseantrag gab uns herzlich zu denken auf. Viele von unserem Besprechungskreis haben Ihr Buch »Was tun?« gelesen. Ihr glaubhaft fest gefasstes Vorhaben, das russische Machtgefüge zu entratifizieren, den kerenskischen Starrsinn zu beenden und unser beider Länder endlich und für ewig mit dem Frieden zu weihen sei darum nach Absprache mit meinem Vorgesetzen Nummer 3 und 8 sowie Geheimperson Nummer 32 als gemeinsames Projekt zu begreifen, ja, und nach ihm gilt es zu handeln. Sie haben in meiner Abteilung einiges an Hoffnung losgelöst. Dafür danke ich Ihnen.

      Wir haben Ihre Vorschläge zur physischen Remigration nach Petrograd mit tiefem Ernst und wägendem Mut durchlesen. Sie werden mit folgend jeweiligen Begründungen negiert:

      Ihre Vision, gemeinsam mit Ihrer Kommission per Fallschirm aus Zeppelinen zu springen ist zwar kurios und lässt sich eine gewisse heroische Dramaturgie nicht absprechen, wird aber durch die kriegstechnologischen Fortschritte an den modernen Frontlinien zu riskant – wo Flaks unter jedem Busch und Jagdflieger hinter jeder Wolke hervorzuschnellen vermögen. Belassen wir es dabei. Somit sei auch die Idee mit den verbundenen Heißluftballons gleichermaßen abgewogen wie abgelehnt. Die Lüfte sind voller Gefahren in solch mechanischen Zeiten, seien Sie uns dessen gewiss, Herr Lenin, wir haben den Krieg mittlerweile kennengelernt und richten uns denn auch danach. Ihre dritte Option, die Gesamtkostümierung Ihres Gefolges zu einem lettischen Wanderzirkus ist uns, insbesondere mir persönlich, schleierhaft. Das Lettische ist uns allen fremd. Das Kaiserreich hat weder Schneelöwen noch rechnende Elche noch Tanzbären zu bieten, wie Sie forderten. Die drei Elefanten sind das Letzte, auf das seine Hoheit sich stützt – eine Freigabe unmöglich. Die Nashörner wurden bereits 1912 an die Osmanen verschenkt. Trotz des zündenden Überraschungsmoments, welches mir durchaus einleuchtet, wird es nach unserer Ansicht schlicht zu teuer, geschweige denn zu unsicher, das nötige Material auf unentdecktem Wege und in gemeinnütziger Zeit zu beschaffen. Unsere Mission erfordert Beweglichkeit. Wir befinden uns im Auge des Krieges.

      Mein Geheimstab und ich haben darum folgendes Kalkül entworfen:

      Sie und Ihr Kollektiv werden einfach, rechtlich und gerecht mittels Transit innerhalb von mindestens 5 bis maximal 9 Tagen nach Stockholm befördert – ganz blau und plausibel mit deutschem Reichsreiserecht. Die nötigen Unterschriften weiß man als versprochen, die wichtigen Dokumente dürfen als unterzeichnet gelten. Der Geheimstab arbeitet parallel.

      Unter dem Decknamen »Operation Verplombung« wird eingeleitet:

      Sie steigen am zehnten des nächsten Monats um 7:45 MEZ in Gottmadingen bei Konstanz in den Zug Nummer 8, maximale Aufnahmekapazität 33 Personen, Aufnahmebereich Wagon Nummer 3 und 4 (Geheimperson Nummer 32 erwartet Sie an Gleis 7 in meinem Namen). Unter offiziellem Schutz der Wehrmacht (2 Offiziere) verbringt man Sie durch das gesamtdeutsche Reichsgebiet bis ins nördliche Sassnitz. Dort steht ein Fährschiff für Sie bereit, welches Sie und Ihr Gefolge in schwedisches Staatsgebiet verbringen wird. Alles passiert auf leisen Pfoten versteht sich. Arbeiteraufstände in unserem Inland sind unserer Handhabe entzogen und der Behörde des Innern unterstellt. Geben Sie Acht. Geheimperson Nummer 32 kümmert sich um die Gegebenheiten vor Ort, falls Verhandlungen auftreten sollten. Ab dem Stockholmer Hafen sind Sie auf sich allein gestellt. Petrograd ist dann nur noch eine Schiffsreise entfernt.

      Es bleibe gesagt:

      Ich spreche für mich und im Namen meines Mannschaftskerns, wenn ich sage: Mögen Ihnen, Herr Lenin, und Ihrer bolschewistischen Bewegung aller Erfolg zu Teil werden, welchen Sie sich zu erkämpfen versuchen und an deren weiten Visionen Sie uns in Ihrer Korrespondenz teilhaben ließen. Wir hefteten nur unsere bescheidenen Interessen an Ihre Schnur. Fahren Sie fort und ziehen Sie die Leine – der Deutsch-Russische Separatfrieden schlummert in Ihren Fäusten, lastet auf Ihren Schultern, liegt zu Ihren Füßen. Tun Sie es.

      Concordia domi, foris pax,

      Baron Exzellenz Wirkl. Geh. Rat

      Gisbert Freiherr von Romberg

      Deutsches Referat Bern,

      an Zürich, März, 1917

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