Sie zogen die Kragen ihrer Sweater hoch, und stapften über einen kleinen Hügel zum Abschlag des fünften Lochs. Botho hielt sich dicht an ihrer Seite. Wieder riss der Himmel auf, böiger Wind schob die Wolken wie Kulissen hinunter zum Horizont. Sonnenblitze blendeten die Augen, über matte Wiesen floss smaragdener Glanz, dann riss eine zornige Faust den Himmelsvorhang wieder zu, und erdfahl erstarrte die Landschaft unter dem grämlichen Grau der Wolken.
Plötzlich war etwas Undefinierbares, Störendes in der Atmosphäre. Verunsichert sahen sie sich an. Botho erstarrte. Dann hörten sie einen fernen, brummenden Ton, der sich schnell zu einem lauten, mahlenden Hacken steigerte. Sechs schwarze Flecke im Himmel kamen in Formationslinie näher, quollen auf, nahmen die Gestalt von Armeehubschraubern an. Wie dunkle Hornissen kamen sie über die Straße des Tals auf den Platz zugeflogen, querten ihn in zwanzig Metern Höhe mit atemberaubendem Getöse. Bedrohlich pulsierten dunkelrote Lichter an ihren gepanzerten Bäuchen. Fast genau über dem Professor und Valerie schwenkten sie nach Süden ab, bis sie den Waldsaum erreichten, dann flogen sie nach Osten weiter.
„Das ist ja furchteinflößend“, rief Valerie.
Der Professor nickte. „Wochentags kommen sie immer um diese Zeit. Aber so weit habe ich sie noch nie über den Platz hereinkommen sehen. Und vor allem noch nie so tief. Schau dir Botho an, der Gute ist noch ganz verstört.“ Das Tier saß mit hechelnder Zunge da und konnte offenbar den militärischen Einbruch in sein friedliches Hundeleben nicht so schnell verkraften.
Valerie schlug am fünften Loch ab, toppte den Ball, und er schoss kerzengerade über den Boden. Er zog eine Wasserspur hinter sich her und verschwand in breitem, einem Wasserhindernis vorgelagerten Buschwerk. „Nach diesem Schock eben konnte das ja nicht gut gehen“, murrte sie.
Mit dem Rücken an der Wand zeige sich der Meister, meinte der Professor nur lakonisch, zog sein Vierereisen heraus, nahm kurz Maß, und beförderte den Ball in einer perfekten Ellipse auf das hundertfünfundachtzig Meter entfernte Grün.
Es war zwölf Uhr mittags, und sie entschieden sich, drei Bahnen auszulassen, weil sie nach dem Essen noch den Masterplatz spielen wollten. Das Flight vor ihnen hatte abgebrochen, und so rückten sie am letzten Abschlag an Djezebel und Thomas heran. Thomas hatte sein tragbares Telefon am Ohr, und drehte ihnen ostentativ den Rücken zu. Valerie wünschte fröhlich guten Morgen, und das Mädchen antwortete sehr höflich. Ihr Begleiter nickte nur, und beendete das Telefonat. Beide schlugen ab und zogen dann mit ihren Golfwagen los.
„Das Mädchen hat Klasse“, sagte der Professor mit offener Bewunderung in der Stimme, „ich kann gar nicht genau definieren, was es ist, aber diese höfliche und gleichzeitig leicht arrogante Art zu sprechen, diese harmonischen, aber dabei sehr kontrolliert erscheinenden Bewegungen geben einen auffälligen Gesamteindruck.“
Valerie schaute ihn skeptisch an. „Du schwärmst ja geradezu von dieser Kleinen. Das sind ganz neue Züge an dir.“
„Du kennst mich doch. Persönlich interessiert mich die junge Dame überhaupt nicht. Aber nachdem uns Botho gestern Abend ein kleines Rätsel über sie aufgegeben hat, habe ich mich in Gedanken mit ihr beschäftigt. Das ist alles.“
„Und zu was für Schlüssen bist Du gekommen?“
„Zu gar keinen.“ Das Gesicht des Professors war unbewegt und leicht grau wie verwitterter Stein. „Ich habe nur das undeutliche Gefühl, dass etwas
im Ungleichgewicht ist. Aber ich weiß nicht, was.“
Als sie am Abschlag des achtzehnten Grüns ankamen, steckte Djezebels Begleiter gerade wieder die Fahne in das Loch, dann gingen beide zu einem an der Schlossmauer parkenden Auto, und begannen, die Golfwagen zusammenzulegen. Wieder telefonierte der junge Mann. Valeries Abschlag war ihr bester an diesem Morgen. Der Professor slicte seinen Ball, und er fetzte durch die Blätter der hohen Bäume am rechten Rand des Fairways, schlug mit einem hellen Klatschen gegen einen Baumstamm, und fuhr wie eine ratschende Flipperkugel durchs Unterholz. „Mit dem Rücken an der Wand ....“, begann Valerie mit ironischer Stimme, aber sie schluckte den Rest des Satzes hinunter, als sie den wilden Gesichtsausdruck ihres Partners sah. Der dachte wohl nicht daran, dem Ball nachzusuchen, denn er kramte schweigend einen zweiten aus der Tasche. Dieser ging mehr schlecht als recht auf die Bahn, und erst beim Putten schien der Professor wieder ganz bei der Sache zu sein. Sie gingen zum Auto, und verstauten die Golftaschen. Wieder war ein ungewohntes Geräusch in der Luft, aber diesmal nur ein harmlos blubberndes Rauschen. Sie schauten auf, und sahen einen kleinen Zivilhubschrauber hoch oben am Himmel hängen. Botho nahm keine Notiz davon.
Das Auto, in das Djezebel und Thomas ihre Golfsachen gelegt hatten, stand noch da, ein großer Audi mit Münchener Kennzeichen. Gedankenverloren starrte der Professor den Wagen an, murmelte etwas Unverständliches, und schüttelte leicht den Kopf. „Gehen wir etwas trinken“, sagte er knapp, und sie marschierten zum Schloss zurück.
Valerie ging zum Duschen in ihr Zimmer. An der Theke der Cafeteria traf der Professor auf Djezebel. Er bestellte bei Reingard seine heiße Schokolade mit Wodka.
„Wie lief‘s heute Morgen, Herr Professor“, fragte Reingard, und hantierte an ihren chromblitzenden Gerätschaften.
„Nach der langen Winterpause ganz gut. Aber das Wetter geht wie verrückt hin und her.“
Reingard lachte. Sie war groß und kräftig, das frische Gesicht von dunklen lockigen Haaren umrahmt. Eine wahre Augenweide.
„Frau Ingendaay hat sich ziemlich erschreckt, als die Hubschrauber kamen“, fuhr der Professor fort. „So tief wie heute kamen die Dinger noch nie herein.“
Djezebel hatte den Blick starr nach unten in ihre Tasse gerichtet, aber ihr Zustand plötzlich gespannter Aufmerksamkeit blieb dem Professor nicht verborgen. Reingard stellte ihm eine große Tasse dampfender Schokolade auf die Theke, und brachte den Wodka. Er schüttete ihn in das Getränk, nahm einen Schluck, und musterte verstohlen unter schweren Lidern hervor, wie die junge Frau neben ihm mechanisch in ihrem Cappuccino rührte. Jetzt konnte man erkennen, dass die goldene Kette, die sie am linken Handgelenk trug, in einen Schlangenkopf mit Smaragdaugen auslief. Neben der Tasse lag – halb verdeckt von ihr – der Zimmerschlüssel. Botho schnüffelte interessiert an ihren Schuhen und Hosenbeinen herum. Sie nahm keine Notiz davon.
Der Professor gab sich einen Ruck. „Gehen Sie heute Nachmittag auch noch auf den Masterplatz?“, fragte er verbindlich. Djezebel schaute auf, und wirkte einen Moment verunsichert, so als wisse sie nicht, ob tatsächlich sie gemeint war. Nur flüchtig streifte ihr Blick den Professor. „Das kommt darauf an.“
Thomas betrat die Cafeteria, das offenbar unvermeidliche Mobiltelefon schwingend. Er blieb am Eingang stehen. „Kommst du?“, fragte er mit gereizter Stimme. Djezebel nickte kurz, trank den Cappuccino aus, nahm den Schlüssel – für eine Sekunde wurde die Sieben sichtbar –, und folgte ihm.
„Ein eigenartiges Mädchen“, meinte der Professor nach einer Weile, und schürzte die Lippen.
„Na ja“, lachte Reingard, „die kann es sich leisten, eigenartig zu sein. Mit der Kohle!“
„Kommt sie öfter ins Schloss? Ich habe sie noch nie gesehen.“
„Sie war im letzten Herbst ein paarmal hier, in der Zeit, als Sie in Spanien waren. Immer mit einem anderen Typen und bisher immer mit diesem tollen alten Jaguar, den sie fuhr. Na ja, so wie die aussieht, würde sie auch als arme Kirchenmaus jeden haben können.“
„Ich bin froh, dass ich nicht mehr in diesem Geschäft bin“, raunzte der Professor grimmig, und trank den Rest seiner Schokolade aus.