Wo ist deine Heimat?. Andy Hermann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andy Hermann
Издательство: Bookwire
Серия: Das Seelenkarussell
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742722980
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Vera das Gespräch beendet hatte, bemerkte sie, dass es im Hier und Jetzt des Schlossparks schon fast ganz finster geworden war. Der Schlosspark wurde bei Einbruch der Dunkelheit geschlossen, da es keine Parkbeleuchtung gab. Sie musste sehen, wie sie hier rasch herauskam.

      Das war nicht einfach, da sie sich hier nicht auskannte. Statt den Weg zurückzugehen, ging sie geradeaus weiter und kam auf eine lange schnurgerade Allee, wo sie einen Ausgang vermutete. Sie ging die Allee entlang, da sie an deren Ende ein großes beleuchtetes Gebäude sah. Das müsse der Ausgang sein, dachte sie.

      Doch dann stand sie vor der Gloriette, die sie von Bildern kannte. Kein Mensch war weit und breit zu sehen, nur die Scheinwerfer strahlten mit ihrem hellen Licht das barocke Lustschlösschen oberhalb des Schlosses Schönbrunn an. Der Park lag in tiefster Dunkelheit, und unter ihr erstrahlte die Gartenfassade des Schlosses Schönbrunn am weit entfernten anderen Ende des Parks. Dahinter breiteten sich die Lichter des abendlichen Wiens der Gründerzeit aus. Endlose Reihen von alten Mietskasernen waren im Licht der Straßenbeleuchtung zu sehen.

      Aber wo war der kürzeste Weg zum nächsten Ausgang aus diesem Park, dessen Größe sie total unterschätzt hatte. Sie ging um die Gloriette herum und sah, dass sich die Allee fortsetzte und an deren Ende Straßenlaternen zu sehen waren. Dort musste ein Tor sein, welches sich hoffentlich von innen öffnen ließ.

      Doch dem war nicht so, zwanzig Minuten später stand sie vor einem verschlossenen Gittertor von sechs Meter Höhe, dessen Gitterstäbe oben nadelspitz ausliefen. Keine Chance, dieses Gitter überklettern zu können. Drüben ging die Straße weiter und führte über eine Brücke. Vera hörte dichten Autoverkehr tosen, konnte aber keine Autos sehen, die Straße musste tiefergelegt sein, schloss sie messerscharf.

      Ihr wurde langsam kalt, und es war niemand zu sehen, der ihr in ihrer misslichen Lage hätte helfen können.

      Sollte sie einen Notruf über ihr Smartphone loslassen, aber an wen. Ihren Vater anrufen? Was konnte der tun. Die Polizei verständigen, das würde nur Probleme machen. Sie googelte die Webadresse der Schlossparkverwaltung, die sollten sie gefälligst rauslassen. Doch bei der angegebenen Telefonnummer lief nur ein Tonband, das ihr erklärte, außerhalb der Bürozeiten sei niemand erreichbar. Sie solle morgen ab acht Uhr anrufen, dann werde man sich um ihr Anliegen kümmern.

      Vera hatte keine Lust, eine kalte Novembernacht im Schlosspark von Schönbrunn zu verbringen und begann, sich mächtig zu ärgern. Keine drei Kilometer von hier wartete eine gut geheizte Wohnung auf sie und ein bequemes Bett. Dass Wien so unfreundlich sein konnte, wäre ihr nie in den Sinn gekommen. Gefangen im Schlosspark und in der Nacht erfroren, das gäbe eine schöne Headline in den Zeitungen und den sozialen Medien, dachte sie frustriert.

      Wenn sie ihre Studienkolleginnen aktivierte, würde sie zum Gespött des ganzen Jahrgangs. Das wollte sie denn doch nicht. Und die könnten ihr ja auch nicht über diesen Zaun helfen.

      Es musste doch noch einen anderen Ausgang geben. Sie ging die Allee im Dunkeln wieder zurück. Ihre Augen hatten sich an die Finsternis gewöhnt und sie war überrascht, wie gut sie in der Dunkelheit sehen konnte. Das von der Wolkendecke reflektierte Licht der Großstadt sorgte dafür, dass es auch im Park nie ganz dunkel wurde.

      Doch die Allee schien kein Ende zu nehmen, die Gloriette war noch weit entfernt und wie sollte es von dort weiter gehen. Das Tor, durch das sie gekommen war, war genauso hoch und links und rechts von einer Mauer begrenzt, über die sie auch nicht klettern konnte. Es würde schwierig werden.

      Aber was war das, plötzlich kamen Scheinwerfer direkt auf sie zu. Sie war doch nicht alleine im Park.

       Aus dem Weblog von Ali – Eintrag 60

      „Ungläubige sind zu töten“, sagt Tarik. Wer nicht den wahren Glauben hat, muss sterben. Ich habe jetzt den wahren Glauben, das hat Tarik bestätigt. Wer sich nicht an die Regeln des Glaubens und die fünf Säulen des Islam hält, der sei des Todes. Wir sind die Auserwählten, die das neue Kalifat errichten werden.

      Die Schulungen sind zu Ende, jetzt ist die Zeit der Tat gekommen. Ich will nach Syrien, dort werden Kämpfer gebraucht. Mit der AK 47 die Feinde des Propheten niedermähen, das ist die Aufgabe jedes Kriegers.

      Die Köpfungsvideos aus Syrien, die kenne ich schon alle. Ich muss mich beeilen, damit ich dort bin, bevor der Kampf gewonnen ist, denn sonst gibt es nichts mehr zu kämpfen. Tarik hat gesagt, der Sieg steht unmittelbar bevor, wir müssen schnell sein. Wir dürfen auch nicht glauben, was in der Zeitung steht, die IS sei schon fast vernichtet, das ist alles nicht wahr. Die IS kann niemals vernichtet werden, sie lebt ewig.

      Kapitel 15

      Die Scheinwerfer kamen näher, es war ein großer japanischer Pickup, der die Allee entlangfuhr und direkt vor Vera stehenblieb. War das jetzt die Polizei, oder die Parkaufsicht. Vera hatte doch nichts Verbotenes getan, oder doch?

      „Was machen Sie denn hier, Sie kommen hier ja nicht mehr heraus“, rief ihr der Fahrer zu, nachdem er das Seitenfenster heruntergelassen hatte.

      „Danke für die tröstenden Worte“, rief Vera sarkastisch zurück, nachdem der erste Schreck verflogen war. „Können Sie mir helfen, ich habe mich verspätet und das Tor ist zu.“

      „Sicher, steigen Sie drüben ein und ich bringe Sie hier raus“, erwiderte dieser amüsiert.

      Zu fremden Männern ins Auto steigen, und noch dazu mitten in der Nacht in einem unbekannten Wald. Davor warnen Mütter immer ihre Töchter, kam Vera in den Sinn. Aber was sollte sie sonst tun, und das war sicher irgendein Offizieller vom Schloss, sonst könnte er hier kaum mit dem Auto herinnen sein.

      Vera stieg auf der Beifahrerseite ein und sah im Lichte der Innenbeleuchtung, dass der Fahrer ein ganz junger Mann war, bestenfalls drei Jahre älter als sie.

      Dieser hatte die Innenbeleuchtung der Fahrerkabine aufgedreht, um zu sehen, wer da eigentlich in den Wagen stieg, denn er wusste von radikalen Tierschützern, die zu nächtlicher Stunde die Schlossanlagen und den Tiergarten beschädigten. Man konnte nie vorsichtig genug sein.

      Das junge Mädchen, welches in ihrem eleganten Parka zu ihm in den Wagen stieg, sah gar nicht gefährlich aus. Das war keine militante Tierschützerin, das sah eher nach Hietzinger Tussi aus, die sich wirklich vor lauter SMS Schreiben so verspätet hatte, dass alle Tore längst dicht waren.

      Wie sehr er mit seiner Einschätzung falsch lag, konnte er nicht wissen.

      Vera sah ihn an und sagte,“ Hi, schön dass Sie mir helfen, tut mir echt leid, ich habe total die Zeit vergessen, jetzt im Winter wird es so zeitig dunkel. Ich hoffe, ich bekomme keine Probleme, Sie sind sicher von der Parkverwaltung.“

      „Nein, überhaupt nicht, ich arbeite da hinten im Bundesforschungszentrum für Wald und Naturgefahren. Aber eigentlich studiere ich noch auf der Boku, der Universität für Bodenkultur, das ist nur ein Praktikum.“

      „Ich studiere auch in Wien, da können wir per Du sein,“ erwiderte Vera. „Publizistik“, ergänzte sie, im ersten Semester.

      „Du kommst aus Hamburg, stimmt´s“, antwortete der Fahrer.

      „Wieso?“, war Vera verblüfft.

      „Eure Aussprache verrät euch, aber Scherz beiseite, ich habe einen Kollegen, der kommt auch aus Hamburg, deshalb kenne ich den Tonfall. Ich bin übrigens der Daniel, wie heißt du.“

      „Vera, ich komme wirklich aus Hamburg und bin erst seit ein paar Monaten in Wien.“

      Eigentlich sollte Daniel ja gar nicht hier sein, aber der Pickup würde morgen im Burggarten gebraucht und er hatte sich verspätet. Und er hatte einen Schlüssel für die Tore. Da vorne, das sei das Maria-Theresien-Tor, da würden sie jetzt durchfahren. Und wenn Vera mitfahren wolle, dann könnten sie, nachdem er den Wagen abgeliefert hatte, in der City eine Kleinigkeit essen gehen, und sozusagen ihre Befreiung aus dem Schlosspark feiern. Aber natürlich nur, wenn sie nicht schon etwas anderes vorhabe.

      Vera hatte schon ja gesagt, bevor ihr einfiel, dass sie jetzt