Wo ist deine Heimat?. Andy Hermann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andy Hermann
Издательство: Bookwire
Серия: Das Seelenkarussell
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742722980
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sich in der Fahrerkabine breit zu machen.

      Daniel fuhr los und bald waren sie draußen im tosenden Abendverkehr von Wien und ließen die Stille des Schlossparks hinter sich.

      *

      Der Pickup war bald in der Garage unter dem Palmenhaus beim Burggarten untergebracht. Beide standen an der Albertina Kreuzung hinter der Staatsoper.

      Es prickelte und Vera sah Daniel erwartungsvoll an: „Wohin gehen wir?“

      Daniel überlegte fieberhaft. Die Frau sah zu gut aus, und war auch noch eine Deutsche, die durfte er nicht enttäuschen, aber sein Budget gab nicht viel her, groß ausgehen konnte er nicht. Und Vera sah wohlhabend aus. Was sollte er bloß machen, er würde sie gerne wiedersehen, aber wenn er den ersten Auftritt vermasselte, dann war es das. Er war nicht so oft in der Innenstadt, er war da mehr der Naturbursche. Er kannte nicht viele gute Lokale in einer für ihn erschwinglichen Preisklasse.

      Vera sah sein Zögern und erkannte spontan die Ursache. „Wir machen getrennte Kassa, da kenne ich ein Lokal gleich um die Ecke“, erklärte sie.

      Dass sie dort vor kurzem mit ihrem Vater gewesen war, verschwieg sie wohlweislich.

      Und so saßen sie bald darauf in originalem Altwiener Ambiente und stießen mit einem Glas Grüner Veltliner auf die geglückte Befreiung Veras aus dem Schlosspark an.

      Daniel gefiel ihr. Er war schon im dritten Semester des Masterstudienganges Forstwissenschaften auf der Universität für Bodenkultur und somit vier Jahre älter als Vera. Er war ein lässiger hemdsärmeliger Typ, der meistens gerade heraus das sagte, was er dachte, wie Vera rasch bemerkte.

      Daniel kam aus St. Pölten, wo sein Vater bei der Niederösterreichischen Landesregierung als Raumplaner arbeitete. Aber jetzt hat er groß Karriere gemacht und einen Job bei der EU angenommen. Bei AGRI, der Generaldirektion für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung. Daniel meinte, sie hätten ihn in St. Pölten elegant loswerden wollen und nach Brüssel komplimentiert. Die Familie sah ihn jetzt recht selten, da er die meiste Zeit in Brüssel verbrachte, wo ihm eine Dienstwohnung zur Verfügung stand. Nur alle paar Wochen war ein Heimflug vorgesehen.

      Daniel hatte eine kleine Wohnung in Wien, damit er nicht jeden Tag nach St. Pölten pendeln musste. Seine Mutter war Architektin und hatte ihr Büro in St. Pölten. Sie hatten dort ein Häuschen, wo sie mit Angelika, Daniels kleiner Schwester, lebte.

      Doch dann wollte er genauer wissen, wieso Vera so spät in den Schlosspark geraten war, es interessierte ihn plötzlich brennend.

      Vera konnte ihm unmöglich die Wahrheit sagen, dass sie mit Sigrid über ihr Vorleben so lange telefoniert hatte. Esoterische Spinnerin würde er denken.

      Dann aber hatte sie das Bedürfnis, ihm von Anke zu erzählen. Sie wollte manchmal allein und unbeobachtet sein, immer dann, wenn sie an ihre Mutter denken musste. Ob er das verstehen könne, meinte sie, nachdem sie ihm in kurzen Sätzen erzählt hatte, was damals in der Hamburger Kaufhauspassage geschehen war, und weshalb sie schlussendlich nach Wien ausgewandert waren.

      Als sie geendet hatte, musste sie sich einige Tränen aus den Augen wischen. Daniel war der erste Fremde, dem sie ihre Geschichte erzählt hatte. Auf der Uni wusste es niemand, und das war wohl auch besser so, denn Vera wollte kein Mitleid. Doch mit Daniel war das irgendwie anders.

      Daniels Betroffenheit war groß, denn in seiner Familie waren alle am Leben und soweit glücklich. Jetzt wusste er, wieso er Vera in der dunklen Allee aufgegabelt hatte, er wollte diese Frau näher kennenlernen und erzählte mehr von seinem Leben, um sie von ihrer aufkeimenden Trauer abzulenken. Er merkte, dass es ganz anders lief, als er gedacht hatte.

      Doch Vera war bald wieder wie vorher, und bevor das Essen serviert wurde, kannte jeder die halbe Lebensgeschichte des anderen. Eine seltsame Vertrautheit machte sich breit, wie wenn es irgendeine geheimnisvolle Verbindung zwischen ihnen gäbe.

      Original Schinkenfleckerln kannte Vera nicht, sie schmeckten himmlisch und das warme gedämpfte Licht in der Nische, in der sie ihren Tisch hatten, gab ihr das Gefühl tröstender Geborgenheit. So wohl hatte sie sich schon lange nicht mehr gefühlt. Anke und das Vorleben mit ihrem Vater waren vergessen. Hier und jetzt, das war Daniel, der ihr von Minute zu Minute besser gefiel. Sein brünetter Haarschopf, der leicht unfrisiert wirkte und ihm die Haare ins Gesicht hängen ließ. Seine braunen Augen, die lustig in die Welt blickten, obwohl sie jetzt die meiste Zeit Veras ansahen.

      Er konnte den Blick nicht von ihr lassen und brachte sportliche Aktivitäten ins Gespräch, inständig hoffend, dass sich Gemeinsamkeiten ergeben würden.

      Vera wusste nicht recht, wie sie sich verhalten sollte. Sie hatte noch nie einen Freund gehabt, Ali ausgenommen, aber mit dem war es ja nichts geworden, denn wer will denn gleich muslimisch heiraten. Sie wollte nicht zu abweisend wirken, sich aber auch nicht gleich an den Hals von Daniel werfen. Ihre Intuition sagte ihr, mach einfach gar nichts, er wird dich schon zu irgendwas einladen, so wie er dreinschaut.

      Daniel erzählte von seinen Radtouren durch den Wienerwald, als es Vera entfuhr, „ich habe ja gar kein Fahrrad in Wien“, obwohl er sie noch gar nicht gefragt hatte, ob sie mit ihm eventuell einmal eine Tour machen wolle.

      Daniel lächelte verschmitzt, „die gibt es hier in Wien zum Ausborgen, und eigentlich wäre eine Radtour doch eine nette Idee.“

      Dann kamen sie darauf, dass es eigentlich Ende November war, und eine Radtour doch nicht die beste aller Ideen sei. Beide mussten herzhaft lachen. Der Bann war gebrochen, denn nun war es völlig klar, dass etwas gemeinsam unternommen werden musste.

      Da kam Daniel die rettende Idee. Den Spittelberg mit seinem Weihnachtsmarkt kannte Vera garantiert noch nicht und das war ein Erlebnis, wenn man den ersten Winter in Wien war. In einer Woche würde er aufgesperrt, und irgendwie brauchte Daniel diesen Abstand, denn er spürte, diese Vera würde ihn nicht so schnell loslassen. Da bahnte sich etwas an.

      Sie verabredeten sich für den Spittelberg und beim Abschied küsste Daniel Vera ganz zart auf die Wange.

      Vera spürte den Kuss noch lange nachvibrieren.

      Kapitel 16

      Georg saß hinter seinem Schreibtisch im geräumigen Direktionsbüro hoch über dem Donaukanal im vierzehnten Stock eines Bürokomplexes und machte sich Sorgen um seine Tochter.

      Unter ihm breitete sich das nächtliche Wien aus, vis a vis war der beleuchtete Stephansturm zu bewundern und am Schwedenplatz, am gegenüberliegenden Donaukanalufer, strömten die Menschen in die innere Stadt hinein.

      Bald würde Weihnachten kommen und es war jetzt ein Jahr her, dass Anke gestorben war, in einer weihnachtlich geschmückten Einkaufspassage. Er hatte Vera ein SMS geschickt, dass es heute später würde, aber sie hatte nicht reagiert, zu Hause am Festnetz hob niemand ab und an ihr Handy ging sie nicht. Da war nur die Sprachbox.

      Ihr war sicher nichts zugestoßen, da war er sich sicher, aber die Sache mit Brüssel hatte ihn mehr bewegt, als er damals zugegeben hatte. Wenn sie nun wirklich als Vera Zimmermann widergeboren war, auch wenn er nicht daran glaubte, wie ging sie dann damit um. War die Belastung nicht zu groß für sie? War es nicht seine Pflicht als Vater, hier helfend einzugreifen?

      Aber was konnte er tun, der Abstand zwischen ihnen war groß geworden, seit sie sich beinahe zu nahegekommen waren. Das war seine Schuld, das wusste er, und er hätte es schon vorher wissen müssen, bevor er mit ihr in die Staatsoper gegangen war. Aber es war zu spät, er konnte es nicht mehr ändern, Vera entglitt ihm, er fühlte sich einsam und alt. Er beschloss, seine unproduktive Abendarbeit abzubrechen und da drüben am Donaukanal in einem der Lokale etwas zu trinken. Vermutlich würde es spät werden.

       Aus dem Weblog von Ali – Eintrag 65

      Katastrophe, sie lassen uns nicht nach Syrien. Die Kämpfer haben versagt, berichtet Tarik. Unsere Stützpunkte wurden von einer Übermacht der Ungläubigen überrannt. Viele Kämpfer sind den Märtyrertod gestorben, aber es hat nichts geholfen, die Städte sind an die Ungläubigen verloren,