»Wir haben in der Nachrichtenredaktion bestimmt zehn Leute, die hundertmal geeigneter wären und viel mehr journalistische Erfahrung mitbringen«, sagte ich fast flehend.
Volkers Gesichtsausdruck war eine winzige Nuance weicher geworden. Er wollte gerade antworten, aber diesmal war Marc Feldmann schneller.
»Ach, es geht hier um journalistische Erfahrung?«, sagte er mit einem entwaffnenden Lächeln. »Na, das hätte mir mal jemand sagen sollen. Dann habe ich mich ja völlig falsch auf den Job vorbereitet. Ich dachte, es ginge bei diesem Moderationsjob in erster Linie darum, Porsche zu fahren und Praktikantinnen flachzulegen.«
Ich sah ihn fassungslos an. Hatte er das gerade wirklich laut gesagt oder hatte ich das geträumt? Der nette Moderator, der sich um jeden Gast kümmerte wie um ein Familienmitglied? Das war wohl alles nur Fassade.
»Wie bitte?«, fragte ich schockiert.
Aber Marc Feldmann ignorierte mich jetzt so, wie ich vorher ihn ignoriert hatte. Er beugte sich vertraulich zu Volker vor. »Sag mal, warum darf die Kleine eigentlich so mit dir reden?« Er zwinkerte ihm zu. »Habt ihr irgendwas am Laufen? Was macht sie hier eigentlich im Sender?« Er senkte seine Stimme, achtete aber darauf, dass ich ihn noch hören konnte. »Ist sie deine persönliche … Assistentin?«
»Kinder, beruhigt euch doch!« Volker hatte beschwichtigend die Arme gehoben, aber seine Worte prallten an mir ab.
Mein Herz klopfte wie verrückt und ich knallte die Bierflasche mit Schwung auf den Tresen. »So siehst du die Zukunft unseres Senders, Volker? Ein Ken-Boy mit frauenfeindlichen Sprüchen und dem Intelligenzquotienten einer Stechmücke? Toll. Echt, ganz toll.«
»Er will dich doch nur provozieren«, sagte Volker.
Einen Moment lang sagte niemand etwas und ich nahm die Geräusche um uns herum wieder war. Das Lachen und die Stimmen der anderen Gäste, die Musik, das Klirren der Gläser hinter der Bar. Kurz dachte ich, Marc Feldmann wäre mit seinen Sprüchen zu weit gegangen und hätte sich sein eigenes Grab geschaufelt. Oder ich wäre es.
Volker war ziemlich empfindlich, was frauenfeindliche Sprüche anging. Aber dann sah ich, wie die beiden Männer einander unauffällig in stillem Einverständnis zugrinsten. Ich fühlte mich ausgeschlossen und verraten - als wäre ich ein dummes Kind unter Erwachsenen.
»Ich finde das wirklich zum …«, es gelang mir gerade noch, das Wort Kotzen herunterzuschlucken. Möglichst würdevoll erhob ich mich von meinem Barhocker. Ich wollte hier einfach nur noch raus.
In der Hektik strauchelte ich kurz, als meine hohen Absätze den Boden berührten. Reflexhaft griff Marc nach meinem Arm, damit ich nicht stolperte. Für einen Moment trafen sich wieder unsere Blicke und ich überlegte für eine Sekunde, ob ich mich bei ihm entschuldigen sollte. Dann dachte ich an seine Unverschämtheiten und riss mich wütend los.
»Schönes Kleid«, sagte er und musterte mich von oben bis unten. Er zwinkerte Volker wieder zu. »Hast du ihr das für heute Abend spendiert?«
In welchem Jahrhundert lebte dieser Scheißkerl eigentlich, dass er mich hier öffentlich mit solchen Sprüchen demütigen wollte?
»Ich gehe jetzt nach Hause«, sagte ich zu Volker und versuchte, mir nicht anmerken zu lassen, dass ich am liebsten losgeheult hätte.
Volker seufzte. »Das wäre nicht sonderlich professionell, Becca.«
»Das ist mir scheißegal.« Ich würde einfach kündigen. Basta. So einfach war das. Es gab auch noch andere Fernsehsender. Ich machte mich auf den Weg in Richtung des Ausgangs.
In meinem Rücken hörte ich Marcs genervte Stimme. »Mein Gott, das sollte ein Witz sein. Ich weiß, wer Sie sind. Becca Martens 34 Jahre. Politikwissenschaftlerin, seit vier Jahren beim Sender. Im Gespräch für die Leitung der Abendnachrichten. Bekannt für schnelle Live-Berichterstattung und einen Hang zu Breaking News-Themen. Motto: Immer ein bisschen schneller als die anderen. Und offenbar vollkommen humorlos.«
Mein Körper drehte sich gegen meinen Willen und ich ruinierte meinen schönen Abgang mit einem vor Staunen aufgerissenen Mund. Sobald ich aber die Genugtuung in Marcs Gesicht sah, hatte ich mich wieder unter Kontrolle. Der Scheißkerl hatte also die ganze Zeit gewusst, wer ich war.
Ich wandte mich ein letztes Mal an meinen Chef. »Volker, ich nehme alles zurück. Ken-Boy ist super qualifiziert. Er kann sogar googeln.«
Dann stöckelte ich davon. Nichts und niemand würde mich dazu bewegen können, mich noch mal umzudrehen. Denn zu meinem riesigen Ärger hatte ich jetzt tatsächlich Tränen in den Augen.
Kapitel 2 - Promis sind Idioten
»Marc Feldmann hat zu dir gesagt, dass er sich auf Jobs vorbereitet, indem er Praktikantinnen flachlegt? Und du behauptest, du hättest ihn nicht provoziert?«
Nina und ich waren wieder in meinem Badezimmer gelandet. Es war gerade mal drei Stunden her, seitdem ich mich hier siegesgewiss vor dem Spiegel gedreht hatte. Jetzt war ich ein Häufchen Elend mit rotgeweinten Augen.
Noch auf dem Weg nach Hause hatte ich Nina verzweifelt angerufen und ihr empört von Marc Feldmanns Unverschämtheiten im Besonderen und der beschissenen Männerwelt im Allgemeinen berichtet. Sie hatte sich bereit erklärt, zu einem Krisentreffen zu mir zu kommen. Dann hatte sie mir mütterlich ein Bad eingelassen und eine halbe Flasche Lavendel-Badeöl hineingekippt, um mich zu beruhigen.
Jetzt saß sie auf dem Badezimmerfußboden und sah mich zweifelnd an. »Das ist wirklich die ganze Wahrheit? Komm schon, Becs. Jetzt erzähl mir mal, was wirklich passiert ist.«
Seufzend rückte ich mit der ganzen Geschichte heraus. Als Nina hörte, dass ich meinem Chef vorgeschlagen hatte, statt Marc Feldmann einen halbnackten Til Schweiger auf Sendung zu schicken, sah sie mich mit einer Mischung aus Staunen und Verzweiflung an. Ich schwieg erschöpft, als ich mir alles von der Seele geredet hatte und sah sie fragend an. »Und? Was sagst du dazu?«
»Ich denke gerade darüber nach, ob ich mein Psychologie-Studium nur deshalb nach zwei Semestern hingeschmissen habe, weil ich wusste, dass ich neben dir keine Kapazitäten für weitere Patienten haben würde«, sagte Nina langsam.
»Ha, ha«, lachte ich lustlos. »Sehr hilfreich.«
Gleichzeitig war ich ihr für diese kleine Aufmunterung unendlich dankbar. Nina schüttelte immer noch unmerklich den Kopf. »Wenn ich gewusst hätte, dass du in Designer-Klamotten zu einer Wahnsinnigen mutierst, hätte ich beim Shoppen besser aufgepasst.«
Ich setzte mich so ruckartig in der Wanne auf, dass das Wasser fast überschwappte. »Sag schon. Meinst du, Volker schmeißt mich raus?«
Nina lächelte milde. »Quatsch. Du beruhigst dich, gehst Montag hin und entschuldigst dich bei ihm für dein Benehmen und dann ist alles wieder gut.«
»Dann muss sich Marc Feldmann aber auch entschuldigen«, fuhr ich auf und musste dann über meinen kindischen Ton selbst lachen. »Ja, ja, schon gut«, fuhr ich fort, als ich Ninas Blick sah. »Ich habe angefangen. Und jetzt wissen wir auch, warum du doch lieber Grundschullehrerin geworden bist.«
»Damit ich besser mit deinen kindischen Launen umgehen kann?«
»Ganz genau«, erwiderte ich und ließ mich wieder in den Schaum sinken.
Es war erstaunlich, wie mich ein paar Worte von Nina so beruhigen konnten. Sie hatte vollkommen Recht. Wegen so einer dummen Sache würde ich doch nicht meine Karriere aufs Spiel setzen. Und vielleicht … vielleicht, würde Volker sich die Sache mit dem Nachrichtensprecher ja doch noch mal überlegen. Ich bemerkte überrascht, dass ich ein wenig enttäuscht wäre, wenn ich Marc Feldmann nicht mehr wiedersehen würde. Mir war wirklich nicht zu helfen.
Nina hatte mein Mienenspiel beobachtet und schlug sich mit der flachen Hand vor den Kopf. »Nicht wirklich, oder?