»Apathie kann eine Lösung sein. Der Große Bruder ist allgegenwärtig. Die Angst vor der Maschinerie erstickt Gedanken, bevor sie gedacht sind. Da richtet man sich lieber in seinem Korsett ein und tröstet sich mit Erinnerungen.«
»Tja, letzte Nacht ist scheinbar jemandem sein Korsett zu eng geworden. Er hat in den Spiegel geschaut und erkannt, dass er mehr tun kann, als nur zu röcheln.«
»Kann er denn mehr tun?«
»Haben Sie nicht auch das Gefühl, dass sich in Deutschland schon seit langem etwas zusammenbraut? Vielleicht trägt diese Tat ja eine noch viel weitreichendere Botschaft in sich, als Frau Voss es gestern andeutete. Vielleicht war es der Fanfarenstoß, den es bedurfte, die schlafende Masse wachzurütteln. ›Denn es wird die Posaune schallen, und die Toten werden auferstehen‹, steht im ersten Korintherbrief.«
»Sie reden ja wie der alte Che«, würdigte Brandt Neidecks leidenschaftliche Ansprache. Er verstand ihn nur zu gut, war er doch in seinen ungestümen Jahren selbst ein feuriger Streiter gegen das opportunistische Schweigen. Als Sympathisant der studentischen Friedensbewegung hatte er sich für die Enthaltung Deutschlands aus allen Kriegseinsätzen engagiert. Mit dem Hochmut missionierender Konquistadoren verkaufte damals der Westen seine imperiale Strategie als universelle Ordnung. Vorschützend, christliche und demokratische Werte in die Welt tragen zu müssen, wurden auf dem Boden von Staaten mit anderen Gesellschaftsentwürfen immer wieder Kriege entfesselt, in denen es in Wahrheit nie um etwas anderes als Macht, Einfluss und den Zugang zu den letzten Rohstoffreserven ging. Natürlich, aus heutiger Sicht war sein jugendlicher Eifer nutzlos. Dennoch beneidete er Neideck jetzt ein wenig, glaubt man in seiner juvenilen Leichtigkeit doch noch, die Welt verbessern zu können. Man weiß noch nicht, dass die Welt nicht verbessert werden will. Wir sind ihr egal. Sie dreht sich einfach weiter und wir krabbeln auf ihr herum und verstehen so wenig. Idealen nachzuhängen ist das Privileg der Jugend, und früh genug, oft zu früh, wird man in seinem Drang ausgebremst. Dann findet sich die Eine, die das Herdfeuer in der Höhle des einsamen Jägers entfacht und die Träume von gestern lösen sich auf im Rauch eines schläfrig machenden Wohlbehagens. Und man gerät, ohne dass man sich dagegen zu wehren vermag, in das unerbittliche Räderwerk der Alltäglichkeit. Für den einen beginnt der Kampf ums Mehr, für den anderen der um die Existenz, und der Tatendrang von eben erschöpft sich bald schon im banalen Streben nach Auskommen und Ruhe.
Dieser Neideck schien ein kluger Kopf zu sein, aufgeweckt, agil und lebenshungrig. Womöglich ein wenig sorglos. »Sie besitzen Courage, Jasper. Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf: Seien Sie achtsam, wem Sie sich anvertrauen. Der Staatsschutz hat seine Augen und Ohren überall.«
Neideck senkte den Blick. »Ja, das weiß ich.« Dann aber blickte er auf. »Vielleicht wurde heute Nacht ein Held geboren. So einer, nach dem sich die Menschen seit langem sehnen.«
»Ein Robin Hood?«
»Ja, so etwas ähnliches.«
Brandt lächelte. Er fand Gefallen an dem jungen Mann. »Ich könnte einen Partner gebrauchen. Was meinen Sie?«
Neideck strahlte. »Das wäre großartig.«
Inzwischen waren sie wieder auf dem Hof des Koblenzer Polizeipräsidiums angekommen. Brandt stellte den Motor ab. »Jasper?«
»Ja?«
»Sagen Sie Vincent zu mir.«
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