Mariella Nadja Todorova war schier besessen von dem Gedanken, nämlich das Blütengartenmeer als einziges Vorzeigeprojekt der gesamten Region, auch vorantreiben zu wollen. Sie wollte unter allen Umständen auf dem riesigen Areal zwischen dem Dorf und dem eingefriedeten Schlosshof einen wunderschönen Blütengarten haben, der ebenso, wie sie selbst, einen internationalen Bekanntheitsgrad samt dazugehörender Bewunderung erreichen würde.
Um dieses Projekt an den Startplatz führen zu können, erarbeitete sie gemeinsam mit dem Architektenehepaar einen logistisch ausgeklügelten Plan aus. Das war gar nicht so einfach. Doch das Ergebnis konnte sich sehen lassen. Man hätte theoretisch mit dem durchkomponierten Aktenbündel Erfolge auch auf einen kleineren Containerhafen am Schwarzen Meer verzeichnen können.
Kurz und gut, man benötigte auf alle Fälle Fachpersonal, das heißt gutwillige Aufseher und ebensolche fleißige Hilfsarbeiter. Das war jedenfalls Grund genug, vor allem aber deshalb, um eine glaubwürdige Entschuldigung für die radikale Umschichtung der bestandenen Personalressourcen zu erwirken.
Ende neunzehnhundertsechsundneunzig war es dann soweit. Die Vorbereitungsarbeiten für ein zu erwartendes Blütenmeer waren an und für sich abgeschlossen. Schwere Baumaschinen wurden auf Tiefladern aus den Städten herangekarrt, haben wochenlang herumgeackert und wurden danach wieder abtransportiert.
Ungezählte Lastwagen mit oder ohne Anhänger sowie mehrere geschlossene Sattelzüge mit holländischen Beschriftungen brachten monatelang Blumen, Stauden, kleinere Bäume und Ziersträucher sowie auch Dekorationsmaterial auf die Baustelle.
Die von der Pferdemist- zur Gartenschaufel umgeschulten Landarbeiter wurden von den zwei angestellten Berufsgärtnern soweit instruiert, dass sie einfache gestalterische Tätigkeiten ohne Weiteres alleine machen konnten. Insgesamt waren beim Aufbau über hundert Frauen und Männer beschäftigt. Darunter befanden sich auch die zwei Vorarbeiter Adam und Bohdan.
Die Arbeiten gingen zufriedenstellend für die im Zwangsruhestand befindliche Opernsängerin und neuerdings Gutsfrau über die bisweilen noch schmucklose, aber erdverbundene Bühne.
Unberührt blieb aber die uralte, breite und entsprechend hohe gemauerte Einfriedung, die das Schlossareal als Ganzes regelrecht umarmen und beschützen wollte. In der Vorzeit dürfte diese Mauer tatsächlich ein Schutz gegen Angriffe von Feinden gedient haben. Aber ganz soweit dürfte man mit derartigen Vermutungen auch im einundzwanzigsten Jahrhundert nicht danebenliegen.
Wer im Gutshof wohnte und vor allem was jahraus und jahrein dort geschah, das wusste man bis vor Kurzem nicht so genau. Heute benötigt man gewiss kein Rätselheft mehr, um die Geschehnisse zu ergründen. Im Dorf kannte man die Gepflogenheiten in den fürstlichen Gemächern recht gut. Man war sozusagen bestens informiert darüber.
Das Blütengartenmeer zeigte sich in den kommenden Jahren von seiner prächtigsten Seite. Das kann man wohl ohne Übertreibung so unterschreiben. Es war für alle, für die Dorfbewohner, für die Arbeiter und letztlich für die zahlreichen Besucher, eine gebefreudig angelegte Augenweide.
Im Frühling, vielmehr noch in den Sommermonaten, ja sogar noch tief in den Herbst hinein, zeigte die Anlage mit Stolz, ihre mit Farben und Düften angeregten Blütenreize.
Jede Menge Besucher, durchwegs Touristen, die überwiegend aus dem Ausland herbeigekarrt worden sind, lustwandelten oder drängten sich Jahr für Jahr während der Öffnungszeiten auf den schmalen und breiteren Wegen.
Für die Gartenbesucher war das dahinterliegende schlossähnliche Gebäude ohnehin nie von Interesse. Es gibt auch keine Hinweisschilder im Garten, noch Andeutungen im zweiblättrigen Reiseführer, was es eigentlich mit dem Schloss für eine Bewandtnis hat. Von den Menschen im Dorf, schon gar nicht vom einzigen Gastwirt, sind ohnehin keine Antworten zu erwarten. Die schweigen alle besser noch wie ein Grab. Ganz gewiss den Fremden gegenüber!
Auch die auf den Grünflächen zwischen den Blütenstauden und anderen Zierpflanzen herumirrenden Gärtner schütteln auf Fragen, die im Zusammenhang mit dem Schloss stehen, sowieso nur ihre Köpfe. Mehr kommt da nicht raus.
Seit das Internet, selbstredend auch in diesem Land, sich auf dem Vormarsch befindet, lockt dieses Blütengartenmeer zu bestimmten Jahreszeiten zunehmend eine glücklicherweise nur überschaubare Menge an Besuchern an. Für einen Massentourismus bestand schon bei der Planung kein Interesse. Deshalb wurden auch die Parkplätze, samt der Zufahrt mit einem gehörigen Augenmaß errichtet.
Auf diesem Areal, also außerhalb der Schlossmauer, befinden sich seit ehe und je halbverfallene Gebäudereste und auch einige wenige ganz guterhaltene. Die wurden im Rahmen der Projektgestaltung auch in das Gesamtbild der Gartenarchitektur miteinbezogen. Mit gelber und weißer Farbe wurden diese Bruchstücke, die wahrscheinlich aus einer längst vergangenen Baukunstperiode stammten, geschönt und höchstwahrscheinlich damit auch zusammengeklebt.
Unübersehbar sind für jeden wissbegierigen Kulturreisenden sowie Pflanzenliebhaber, gerade in dieser von den üblichen Reiserouten verschont gebliebenen Kleinod, die ungewollt kulturell botanische Sollbruchstelle. Diese zeigt einen krassen Zwischenraum im Zusammenleben mit der Dorfgemeinschaft einerseits und andererseits mit dem zunehmend herankommenden Tourismus auf. Vorausgesetzt man sieht und spürt ihn auch. Nur weiß man es nicht immer auf Anhieb.
Man lebt hier sozusagen eigentlich zweigeteilt: Dort drüben hinter den zwei Hügeln, die mittlere Armut mit ihren anscheinend glücklich aussehenden Menschen. Vielleicht zwei oder drei Kilometer weit von der Armut in Richtung Südosten, der riesige blütenreiche Garten mit prachtvollen uralten, aber bestmöglich restaurierten kleineren, in Gelbtönen gehaltenen Gebäuderesten, die auch zum Teil für Besucher zugänglich gehalten werden.
Das Prachtstück unter diesen veralterden Bauwerken im Garten ist zweifellos die neu adaptierte Orangerie. Rein von außen betrachtet gibt das Gebäude nicht viel her, das ist schon wahr. Es ist sicherlich ein altes, vielleicht auch kein erhaltungswürdiges Baudenkmal. Wahrscheinlich wurden seinerzeit nicht so lieblose Häuser aufgebaut, wie heutzutage in unserer Salzburger Heimat Zweckbauten errichtet werden.
In der angeblich modernen Zeit stellen hoch qualifizierte Baumeister und Architekten irgendwelche betonierte kastenartige Gebilde um sündteures Geld in die Landschaft und waren noch dazu von sich überzeugt, dass sie damit Meisterwerke errichtet haben.
Doch die Orangerie ist für sich selbst schon ein kleines Meisterwerk. Sie ist mit zierlichen niederen sowie mit robusten höher gewachsenen, zum Teil exotischen Pflanzen prall gefüllt. Kaum ein Mitteleuropäer, vermutlich auch nicht der Fernsehgärtner vom ORF, dürften jemals derartige Prachtstücke gesehen haben. Diese Wunderwerke der Natur zieren das zirka einhundertfünfzig Meter langgezogene und vielleicht fünfzehn Meter breite steinerne, bei näherer Untersuchung leider lieblos gelb heruntergestrichenes Bauwerk. In dieser Größenordnung gibt es weder bei uns in Salzburg noch im angrenzenden Bayern ein vergleichbares Objekt.
Von Jahr zu Jahr erhöhten sich die Anzahl der Gewächse um ein Vielfaches. Vergleichsweise, sozusagen im Parallelschwung vermehrten sich ebenso die ganzjährigen Arbeitsplätze. Was wiederum für die Region besonders wichtig gewesen war.
Selbstverständlich drängt sich für die Touristeninvasionen neben dem Freilandblütenmeer, die Orangerie zunehmend in den Vordergrund ihrer Betrachtungen. Unbestritten ist es ja eine ganzjährige traumhafte Augenweide.
An der Rückseite dieses riesigen Komplexes gibt es mehrere Zugänge zu Räumlichkeiten, die angeblich als Geräteschuppen dienen. Mehr wurde den Gschaftigen gar nicht gesagt.
Von außen konnte man es gar nicht so einfach aufspüren und wer es nicht wusste, vermutlich war es die überwiegende Mehrheit der Dorfbewohner, fand es auch nicht. Undurchsichtig mit rankenden Pflanzen wild verwachsen, konnte man überhaupt nichts auf den ersten Blick erkennen. Den immergrünen Kletterpflanzen übertrug man offensichtlich die Aufgabe, als Vorhang zu dienen. Und diese behinderten die