Er war ein Rheinländer von stämmigem Format, er rauchte Roth-Händle („Wenn schon, denn schon“), und wenn er seine Position von hinter dem Tresen änderte in seitlich vom Tresen, wussten alle: Jetzt ist er Wirt und Gast in einer Doppelrolle.
Es sind die Wirte, die den Kneipen eine Seele geben. Will keiner hören, ist aber so. „Bestell lieber noch ´ne Rutsche und lass das Gequatsche“, hätte Willy Welling in der Gaststätte seines Namens gesagt, wenn man so dahergeredet hätte.
Aber es stimmt. Die Lokale, an die ich mich erinnere, hatten einen Wirt, an den ich mich erinnere. Hans im alten Schinkelaner, der alte Herr Boßmeyer in der Rosenburg oder der Rock ´n´ Roller in der Laterne an der Schützenstraße, wo die Musikbox nur mit Elvis und Co. befüllt war.
Und natürlich Helmut Rupp, der erste Wirt der Altstadt, der die jungen Leute mochte und sie gern um sich hatte. Im Deutschen Haus, einer Altväter-Kneipe mit stark schrumpfendem Kundenkreis, die er mit der Übernahme in eine der ersten brummenden Junge-Leute-Lokale Osnabrücks verwandelte. Gegenüber, in der Peitsche, flog man noch raus, wenn die Haare zu lang waren.
Bei Helmut war man willkommen, deshalb kamen so viele und standen oft mit den Gläsern in der Hand vor dem überfüllten Lokal. Helmut und seine Helfer reichten die Frischgezapften durch das Fenster nach draußen. Outdoor-Gastronomie Anfang der Siebzigerjahre.
Wenn Helmut gut gelaunt war (und das war er oft), kam er an den Tisch und stellte einen gut gefüllten Stiefel auf den Tisch und sagte nur: „Prost!“ Er war ein verrückter Hund, und wir haben ihn geliebt. Ich sehe ihn noch heute vor mir, hinter dem Tresen, verschwitzt, im weißen Hemd, schnell das Bier zapfend und sich zwischendurch die lange Strähne schwarzen Haares aus der Stirn wischend.
Um die Wirte (und Wirtinnen) kreisen auch viele der Geschichten von Thomas Wübker, die in diesem Buch gesammelt sind. Es sind Geschichten von den kleinen Kneipen in unseren Straßen, von den öffentlichen Wohnzimmern in jedem Viertel, von den Oasen in der Einsamkeit der Großstädte…
„Erzähl nich‘ so ‘n Tinneff – gib lieber mal ein‘ aus.“ Recht haste. Mach mal noch einen klar, Chef. Ich bin sicher, Sie werden die in diesem Buch beschriebenen Kneipen erkennen, auch wenn Sie sie noch nie betreten haben.
Und auch die Menschen, die in den liebevollen Kneipenporträts von Thomas Wübker auftauchen, werden Ihnen vertraut sein – irgendwie.
Mir ist es jedenfalls so gegangen, denn ich habe die Serie, deren Stücke die Grundlage für die aktualisierten Kapitel in diesem Buch war, mit großer Freude gelesen. Weil ich das einmal an der falschen Stelle gesagt und den Vorschlag gemacht habe, dass man daraus doch ein hübsches Buch machen könnte, bin ich in der Editorial-Falle gelandet.
Na ja, jetzt ist es ja bald geschafft. Obwohl: Ein paar kulturpessimistische Töne gehören eigentlich immer in ein Editorial. Etwas Nachdenkliches, das auch dem leichtesten Thema intellektuelle Schwere verleiht.
Natürlich könnte ich jetzt das Klagelied anstimmen, dass die Kneipenkultur stirbt, dass die seelenlosen Franchise-Ketten das Ende der gemütlichen, urigen, einzigartigen Kneipe längst eingeläutet haben, und vor allem, dass die Menschen lieber zu Hause bleiben.
Und wenn schon: Es gibt sie noch, die guten Kneipen. Ich postuliere hiermit: Es wird sie immer geben, solange es Menschen gibt. Ich darf das, weil ich die Macht des Editorials wie ein gut gezapftes Pils in den Händen halte.
Jetzt wird es aber Zeit, dass was in die Gläser kommt. Das Editorial haben Sie überstanden, jetzt beginnt die Osnabrücker Kneipentour. Viel Spaß – und lassen Sie sich ruhig mal auf den einen oder anderen Ortstermin ein. Es lohnt sich.
PS: Thomas, da fällt mir ein: Mir sind bei diesem Editorial so viele Lokale aus alten Zeiten eingefallen – was hältst Du von einem neuen Buch: „Wenn der Zapfhahn hochgedreht wird: Die verschwundenen Kneipen Osnabrücks.“
Lass uns mal darüber sprechen – Du bestimmst das Lokal, ich übernehme den Deckel. Einverstanden?
Harald Pistorius, im April 2016
Anmerkung: Hiermit versichere ich, dass das vorliegende Editorial nicht unter dem Einfluss von Alkohol entstanden ist, auch wenn es sich stellenweise so liest.
Von politischen Reden in Bier-Burgen und Lohntüten-Tagen in Arbeiterkneipen
Osnabrück. Carsten Niemeyer ist eine ergiebige Quelle Osnabrücker Kneipengeschichte. Bei dem Thema sprudelt es aus ihm heraus wie frisches Bier aus einem Zapfhahn. Die Rosenburg, die Carlsburg, die Musenburg: Der 39-jährige Fremdenführer von „ZeitSeeing“ zählt die Namen von Kneipen auf, die im 19. Jahrhundert den Osnabrücker Kneipengürtel bildeten.
Zum Wohle: Fremdenführer Carsten Niemeyer ist eine sprudelnde Quelle, wenn es um die Kneipen-Geschichte Osnabrücks geht. (Elvira Parton)
Kneipen und Gaststätten waren von jeher Treffpunkte für Menschen unterschiedlicher Herkunft. Schon zu Urgroßvaters Zeiten wollten die Osnabrücker dort nicht nur ihren Durst löschen. Sie suchten vor allem Amüsement und Geselligkeit. Dies hat sich im Laufe der Jahrhunderte nicht geändert. Am Beispiel der Blankenburg erklärt Carsten Niemeyer, warum in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts außerhalb der Stadtmauern plötzlich eine Burg nach der anderen erblühte: „Die Blankenburg war früher der Hof Blankenmeier in Hellern. Die Umbenennung in Blankenburg klang einfach besser.“
Der Fabrikant Goesling hatte das Gelände gekauft und dort ein Vergnügungslokal errichtet, so Niemeyer. Goesling konnte die Blankenburg mit eigenen Erzeugnissen beliefern: Er fabrizierte Branntwein. Der Unternehmer und sein direkter Konkurrent Roth waren übrigens die ersten Fabrikanten in Osnabrück, die Dampfmaschinen in ihren Betrieben einsetzten, wie Rolf Spilker in seinem Kapitel „Von der Industrialisierung bis zum Ende des Ersten Weltkriegs“ in der Osnabrücker Chronik von 2006 schreibt. Spilker folgert daraus, dass die Schnapsproduktion in Osnabrück Mitte des 19. Jahrhunderts äußerst lukrativ gewesen sein muss.
Die Bauern in der unmittelbaren Umgebung hatten durch die Einrichtung von Tanzlokalen oder Gaststätten eine Möglichkeit entdeckt, Geld zu verdienen. Also wurden die Huxmühle in Voxtrup oder Knollmeyers Mühle und der Schmied im Hone in Haste zweckentfremdet. Mit dem Haller Willem wurde der Radius ab 1855 sogar erweitert. „Es galt als unschicklich, in der Stadt zu trinken“, erzählt Carsten Niemeyer.
Doch es gab noch einen anderen Grund, warum die Osnabrücker das Weite suchten: „In der Stadt wurde nur Kräuterbier verkauft.“ Das gute Bier nach Mindener Brauart durfte nur außerhalb der Stadtgrenzen ausgeschenkt werden. Da die Osnabrücker Braumeister nicht an Hopfen kamen, verwendeten sie Kräuter. So wollten sie den Hopfen imitieren, sagt Niemeyer. Es ging wohl auch um Steuereinnahmen. Der Magistrat der Stadt baute die Kräuter an.
Auf dem Land war zudem nicht nur die Luft frisch, auch die Gedanken waren dort frei. „In den Kneipen traf sich die politische Elite der Stadt“, sagt Niemeyer. Vor den Toren Osnabrücks trauten sich die Leute, das „wahre Wort“ zu sprechen. Innerhalb der Stadtmauern fürchteten die Osnabrücker die Spione des Königs, die angeblich in den Kneipen unterwegs waren, um dem Volk aufs Maul zu schauen.
Das Zechen in der Stadt wurde den Osnabrückern auch aus anderen Gründen vergällt. Mit dem Aufkommen der Industrie erlangten zwar viele Arbeiter einen bescheidenen Wohlstand, ihre Lebensbedingungen waren jedoch alles andere als sonnig. Viele Arbeiter versuchten, sich die armseligen Verhältnisse schönzutrinken. Insbesondere Branntwein soll in der arbeitenden Klasse großen Absatz gefunden haben.
Das fand bei der herrschenden Klasse wenig Anklang. Der Verein gegen Völlerei und der Mäßigkeitsverein wetterten gegen den Genuss von Alkohol. Johann Carl Bertram Stüve, der berühmte Jurist, Historiker, Politiker und Bürgermeister Osnabrücks, sah in der Arbeiterschaft die Wurzel allen Übels. In den von ihm betreuten „Osnabrücker Blätter gegen Branntewein und