Vorwort
Kennen Sie den? Es ist schon lange nach Mitternacht, als der Ehemann mit deutlicher Schlagseite nach Hause kommt. Er war natürlich mal wieder viel zu lange in seiner Stammkneipe. Er bemüht sich, leise zu sein, damit die Gattin nicht aufwacht. Vergeblich. Sie steht wutentbrannt in der Tür. „Wo kommst du jetzt erst her, und was machst du für einen Lärm?!“ – „Mir sind die Schuhe umgefallen.“ – „Aber das macht doch nicht so einen Krach!“ – „Ich stand noch drin.“
Zugegeben – es gibt bessere Witze. Aber er ist typisch für das Genre des Kneipenwitzes, in dem fast immer ein fröhlicher Hallodri vorkommt, der sich mit seinen Kumpels im Stammlokal betrinkt, während die brave Ehefrau zu Hause auf ihn wartet und, mit fortschreitender Zeit zunehmend zornig, das Nudelholz aus der Schublade kramt.
Wir schmunzeln, bemerken aber auch, dass das Geschlechter- und Familienbild, das der Witz transportiert, deutlich aus dem vorigen Jahrhundert stammt. Und wer hat schon noch eine Stammkneipe, in der er sich regelmäßig mit seinen Freunden zum Stammtisch oder Frühschoppen trifft? Ja gibt es sie eigentlich überhaupt noch, die „kleine Kneipe in unserer Straße“, die der große Peter Alexander in den Siebzigern besungen hat? Jene Kneipe, „in der das Leben noch lebenswert ist“ – und die zugleich wie aus der Zeit gefallen wirkt?
Die Antwort: Ja, es gibt sie noch – mit Betonung auf dem „noch“. Als diese Zeilen verfasst werden, ist im traditionsreichen „Union-Stübchen“ am Arndtplatz gerade das letzte Bier gezapft worden. Damit wurde ein weiteres Kapitel Osnabrücker Gastronomiegeschichte zugeschlagen. Früher gab es in jedem Stadtteil gleich mehrere Lokale, in denen sich die Menschen aus dem Viertel nach Feierabend auf ein Pils und einen Korn trafen. Heute sind es nur noch wenige. Tendenz: fallend.
In der Zeit „zwischen den Jahren“ 2011 und 2012 erschienen in der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ die ersten Folgen der Serie „Die kleine Kneipe…“. Seither hat sich unser Mitarbeiter Thomas Wübker immer wieder zum Jahreswechsel aufgemacht und ist in die Welt der letzten Osnabrücker Eckkneipen eingetaucht. Er hat sich die Geschichten der Lokale und ihrer Stammgäste erzählen lassen. Dabei gab es viel zu lachen, aber manchmal auch eine kleine Träne wegzuwischen. Denn die guten alten Zeiten sind unwiederbringlich vorbei, das bekam der Reporter bei seinen Besuchen oft zu hören. Immer wieder stieß er aber auch auf großen Optimismus, auf Wirte, die viel Wert auf die Tradition ihrer Gaststätte legen und mit neuen Konzepten deren Zukunft gestalten möchten.
Thomas Wübkers lesenswerte Beiträge bilden den Grundstock für dieses Buch. Ergänzt werden sie durch die Porträts einiger Osnabrücker Biergärten, zum Teil verfasst von Wolfgang Elbers und Marco Gausmann, sowie durch einen Blick zurück in Urgroßvaters Zeiten, als es sich nicht geziemte, innerhalb der Stadtmauern zu zechen – weshalb man sich eben außerhalb traf.
Die Texte erscheinen in diesem Buch inhaltlich nahezu unverändert und in der Reihenfolge ihres ursprünglichen Abdrucks in der Zeitung beziehungsweise ihrer Online-Veröffentlichung auf noz.de. Diese chronologische Veröffentlichungsform ist bewusst gewählt worden, auch wenn sie mit sich bringt, dass nicht jede der porträtierten Persönlichkeiten auch heute noch am Zapfhahn steht oder regelmäßig an der Theke davor Platz nimmt. Auch einige der vorgestellten Kneipen gibt es inzwischen nicht mehr – so wie das legendäre „Union-Stübchen“ im Stadtteil Wüste. Sollte es deshalb etwa keinen Platz mehr in diesem Buch finden…?
Ich wünsche Ihnen viel Freude bei unseren Streifzügen durch die letzten Eckkneipen in Osnabrück und Umgebung. Für uns noch mal das Gleiche – prost!
Ihr Ralf Geisenhanslüke
Chefredakteur, Neue Osnabrücker Zeitung
Editorial
Es ist eine große Ehre, wenn man gebeten wird, ein Editorial zu schreiben. Allerdings sollte man sich nicht zu früh freuen, vor allem dann nicht, wenn einem diese Ehre erstmals am Abend seiner Journalisten-Laufbahn zuteil wird.
Denn das heißt: Man ist bisher nicht als Spezialist für Editorials aufgefallen. Also muss es das Thema des Buches sein, für das man plötzlich als Editorialist auserkoren wird. Denn der soll ja die Leser einführen in die Materie – und das kann er ja nur, wenn er sich darin auskennt.
Nun kann sich ein jeder ausrechnen, was es heißt, wenn man der Auserwählte wird für das Editorial eines Buches zum Thema „Kneipen in Osnabrück“. Wer ein bisschen wachsam ist, lehnt ein solches Angebot ab, bevor es seine rufschädigende Wirkung entfalten kann.
Mir ist es leider erst eingefallen, besser nicht über das Thema zu schreiben, als ich bereits angefangen hatte, darüber nachzudenken, was ich in diesem Editorial am besten schreiben könnte. Jetzt ist die dialektische Falle zugeschnappt: Ich schreibe, also bin ich. Ein Kneipen-Onkel.
Bin ich aber gar nicht. Und Sie, der das Buch zum Geburtstag bekommen hat, ja auch nicht – Sie lesen es ja nur aus akademischem Interesse an der Kneipenkultur. Und Sie? Ach ja, Sie haben das Buch gekauft, weil sie Osnabrugensien sammeln. Klar, verstehe…
Und Sie, Sie kennen den Autor, Sie haben sich ganz was anderes darunter vorgestellt, und Sie wollen es einem Kollegen schenken, der gern in die Kneipe geht. Ja, ja…
Sie kennen die Fragebögen, die Prominente ausfüllen? Sie kennen die Umfragen von Freizeit-Forschungs-Instituten? Nirgendwo steht da: Mein Hobby – in die Kneipe gehen. Kein Spitzenplatz für die Freizeitbeschäftigung: Mit anderen Menschen rumsitzen und Bierchen trinken. Nichts. Unterhalb der soziologischen Wahrnehmungsschwelle. Nicht vorhanden.
Ich frage mich immer: Was sind das dann für Menschen, die überall in Kneipen sitzen und ihr Leben verschwenden? Vielleicht ist es dasselbe Phänomen wie früher mit Denver oder Dallas und heute mit dem Dschungel-Camp: Keiner guckt es, aber die Einschaltquoten liegen jenseits von fünf Millionen.
Schämen wir uns des ganz normalen, zweckfreien Kneipenbesuchs?
Und wenn schon. Kann man ja ein Pils drauf trinken, und schon sieht die Welt ganz anders aus. Und, guck mal da, er nun wieder – es ist immer einer/eine da, der/die mehr getrunken hat und öfter in der Kneipe ist als man selbst: „Immer wenn ich mal hier bin, steht der da an der Theke – jedes Mal. Unglaublich, oder?“
Vielleicht trägt dieses Buch ja dazu bei, den Besuch von Kneipen vom Stigma des liederlichen, sinnfreien Müßiggangs zu befreien. Muss es aber nicht. Denn genau darum geht es ja, wenn man in die Kneipe geht.
Ich habe an mir selbst beobachtet (gute Editorialisten beobachten sich immer selbst), dass ich in fremden Städten oder Ländern besonders gern in Kneipen gehe. Ich weiß, was mich erwartet, aber ich weiß nicht, was mich genau erwartet.
Es wird manches vertraut sein, aber anderes völlig neu. Man tritt nicht ins völlig Ungewisse, aber es ist trotzdem spannend. Empathische Kneipengänger spüren auf Anhieb, wenn sie ein neues Lokal betreten, ob es ein langer, schöner Abend wird. Das kann man nicht lernen, und wenn, dann von meinem Freund Alfons Batke.
Mit ihm betrat ich einst ein Lokal in Dunedin/Neuseeland, um nach dem Weg zu einer nahe liegenden Sehenswürdigkeit zu fragen, die wir nie zu sehen bekamen. Vielleicht, weil wir ihrer nicht würdig waren, denn wir verbrachten einen unvergesslichen Abend (gut, ein bisschen Nacht war auch dabei) mit ein paar Einheimischen und einem Wirt namens Keith J. Mangos.
Am nächsten Morgen sagte Alfons: „Als wir in den Laden kamen, wusste ich nach fünf Minuten, dass wir uns für den Abend nichts mehr vornehmen mussten.“ Er stand noch lange in Kontakt mit jenem Mr. Mangos.
Ich kann mich an die Namen „meiner“ Wirte erinnern wie an die meiner Lehrer. Vielleicht ist das ein Zeichen. Hans Meister unterwies uns junge Wilde vom Jeggener Weg in der Carlsburg in der Kunst des Knobelns, eine der Zivilisationstechniken, die man wie Skat oder Billard nur in der Kneipe lernen kann.