Paracelsus. Erwin Guido Kolbenheyer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Erwin Guido Kolbenheyer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748520993
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denn er hatte immer wieder an verschluckten Flüchen zu würgen.

      In heller Freude war Uli Enz zu Hans Ochsner herübergerannt, als er den Bündner Boten die Nachricht abgefangen hatte. Er und Hans Ochsner waren einig, mit erster Gelegenheit gemeinsam zu reisen.

      Hans war nicht wieder an den Tisch gekommen. Er ging im Gadern auf und nieder, hörte kaum zu, als Uli Enz vorbrachte, was er von der hündischen Sache gegen Tirol wußte. Auch der alte Ochsner lauschte nur mit halbem Ohre. Er wartete auf das erste Wort von seinem Hans.

      Der trat nach einer Weile an den Tisch, trank aus Ulis Krüglein und sagte:

      „Wann willtu reisen, daß ich min Sach rüst.“

      Dabei brach heller Jubel aus seinen Augen, seine Zähne blitzten, er vermochte ein Lachen nicht mehr zu meistern. Er schlug dem Uli auf die Schulter, daß der Tisch zitterte. Beide lachten einander an. Er zog einen Schemel neben den Gast, und sie berieten halblaut miteinander, als sei sonst niemand im Gadern.

      Rudi Ochsner ließ den Kopf auf die Brust niedersinken und warf nur hie und da einen Blick auf die beiden Gesellen hinüber, Bombast verließ nach kurzem Gruß den Gadem, um seiner Eis zu folgen, die ihres harten Hustens wegen längst im Bette lag. Der alte Ochsner winkte nach einer bang durchlauschten Zeit dem Marx. Der lümmelte auf der Ofenbank, das Kinn in beiden Händen, die Ellenbogen gegen die Knie gestützt, und glotzte den Hans und Uli Enz unverwandt an. Er kam steifbeinig näher und setzte sich etwas unsicher neben den Alten, wo sonst Bambast saß.

      „Uf üns kummt eine harte Zit, Marx“, meinte der Rudi Ochsner und sah den Knecht scharf an.

      Marx wußte, was den alten Ochsner drückte. Es lag eine Frage in den Worten. Auch er hatte sich schon bedacht.

      Siebzehn Jahre stand er bei den Ochsnerleuten und damals war er mitten in den Zwanzigern, als er an die Teufelsbruck kam. Er hätte sich mit dem Spieß immer noch ein Stück Geld erstehen können. Allein der hündische Handel schien ihm nicht verlockend. Er meinte:

      „Wohl, Ochsner, wir werdind ouch bi ünser ringsten Schmer abkommen.“

      Da hellte sich das Gesicht des Hausvaters ein wenig auf. Er schob dem Marx sein Metkrüglein hinüber. Der Marx trank es aus.

      „Vor die Zit kunntest mir sechs Plappart zuolegen, Ochsner!“

      „Es möchtin wohl an vieren gnuog sin, dann derselb Handel wird solang nit währin.“

      Marx hatte auf drei gerechnet, also gab er sich mit den vieren zufrieden und schlug in des Wirtes Hand ein. Dann zog er ruhig auf die Ofenbank zurück, streckte seine langen, ungelenken Glieder über sie und schnarchte bald. Für ihn war der hündische Handel erledigt.

      Die beiden warteten von Tag zu Tag, daß ein Reisrodel bestellt würde oder eine Weisung der Einsiedler Ammänner aus Zürich und Schwyz käme; als nichts eintraf, beschlossen sie am Morgen nach Drei König gegen Pfäfers zu ziehen.

      Im Ochsnerhause wurde kein Wort darüber gesprochen. Die Mutter hatte bekümmert das Gewand des Reisigen durchgesehen, ohne daß er es viel beachtet hätte. Am DreiKönigstag brachte der Hans aus Rapperswil einen prächtigen Pelzkoller, schwarzgelb auf die Stiftsfarben geteilt.

      Sie spürten, was morgenden Tages geschehen sollte. Und doch lockerte sich das Schweigen nicht. Am Abend holte Rudi Ochsner einen dunklen Südwein, der viele Jahre im Kellerwinkel gelegen hatte, eine dicke Flasche, deren Bauch seitlich zusammengedrückt war. Alle mußten von dem schwer duftenden Weine trinken, auch Gritli und Marx. Dann reichten sie dem Hans die Hände und gingen bis auf den Vater und die Mutter.

      „Wann willtu ihn treffen?“ fragte der alte Ochsner in letzter Stunde.

      „Umb Mettenzit gangend wir von Einsiedlen.“

      „Kehr ohngekränket wieder. Wir wollend all diner gewärtig sin. – Umb Mettenzit fallend eim die Wort schwer“, fügte er leise hinzu.

      „Ich verhoff alls Guete vor üch, lieben Eltern, unde vor mich.“

      Das brachte der Hans zum eigenen Verwundern gut und bündig über die Lippen. Dann drückte er die Mutter an sich und führte sie, die schwer ihre Tränen niederrang, stark und frei zur Schlafkammer. Der Vater folgte. Er vermochte aber nicht mehr in seines Sohnes Augen zu blicken.

      Als die beiden Alten ihre Tür geschlossen hatten, reckte sich Hans hoch auf, dehnte seine Brust, breitete seine Arme. Ein Glückstaumel überkam ihn. Er löschte das Licht in der Herdasche aus und stieg langsam die finstere Treppe hinauf.

      Vor der Kammer hörte er einen verhaltenen Laut. Eine Hand tastete nach ihm. Es umfingen ihn zwei Arme. Sie preßte ihr Gesicht an seine Brust, um ihr Schluchzen zu ersticken.

      „Bi Gott … du …“

      Sie umklammerte seinen Nacken und drückte ihre Stirn an seinen Mund. Und sein Herz schlug, als fände er ein Weib zum ersten Male. Er hob sie auf und trug sie in die Kammer.

      „Grein nit, Maideli …“

      „Du … sollt mich … mit dir nehmen.“

      „Maideli … du bist so jung.“

      „Ich willt dir kochen … und waschen … und getrü diner warten.“

      Er nahm sie, wie der Föhn die Erde nimmt, der aller Kreatur den Atem für seine gewaltige Stunde raubt. Der Schnee hauchte seinen matten Schein durch die zwei kleinen Fenster. Der Hans sah das junge Weib, selig und satt, ihre Zähne schimmerten durch den halbgeöffneten Mund, ihre Augen ruhten furchtlos auf ihm. Er setzte sich noch einmal an den Bettrand, legte seine Hand auf ihre Brust, die ruhig stieg und fiel, sie kreuzte ihre Hände auf seiner Hand.

      „Maideli, das ist ein ruch Leben, so du willt han.“

      „Ich gang mit dir.“

      „Die Hodler, so den Troß führend, zartlen nit mit denen Huren. Die Huren sänd ein hässigs Volk. Du muoßt zu ihnen stöhn.“

      „Ich gang mit dir.“

      „Stah uf, Gritli, hol din Sach.“

      „Es leit für diner Tür.“

      „Hols in.“

      Sie holte ihr Bündel und legte es neben das seine. Dann schliefen sie beide, bis ihn sein brennendes Herz weckte. Er wollte Vater und Mutter nicht mehr sehen.

      Flink war das Gritli in den Kleidern.

      „Gang du vorus. Vor Willerzell soll tu ünser gewärtig sin. Der Uli Enz führt ein Mulesei mit, daruf wird als ouch din Büscheli liegen.“

      Er folgte ihr bald, obgleich die Nacht noch weit vor Mettenzeit stand; er konnte die ersten Schritte der Freiheit nicht mehr erwarten.

      Nur die Mutter war wach. Sie saß im Bett und hörte, daß er ging. Wohl ahnte sie zitternden Herzens ihres Sohnes Flammen. Sie stand nicht auf. Ein altes Weiblein sollte seinen Weg nicht vertreten, wars auch die Mutter, die ihn schwer geboren und treu gesäugt hatte. Sie betete für den starken Sohn.

      Schneenacht, durch die zwei brennende Herzen ziehen.

      Knirsche deine alten Weisheiten, Schnee.

      So mußte Eis an die Arbeit. Einige Tage schien sie heimgefunden zu haben. Bald beugte sie eine trostlose Müdigkeit, die durch schlafberaubte Nächte gesteigert wurde. Sie wußte nur, während sie ihrer Arbeit nachhetzte: der tote Bruder mahnt.

      Nachts lag sie mit offenen Augen und glaubte zu fühlen, daß die gleichmäßigen Atemzüge des Mannes und des Sohnes über ihren Körper huschten. War sie eine Zeit starr und verhalten gelegen, lauschend nach einem Leben, das jenseits der Sinne schwebt, konnte es ihre Brust mit Eisfingern rühren, leise, leise. Und ihr Herz stand vor Angst darüber still, daß es die Hand des Toten wäre. Schlug das Herz jäh wieder ins Dasein zurück, daß ihr Hals und Ohren pochten, so wurde sie von einem Taumel erfaßt, als sähe sie in einen tiefen Abgrund. Sie preßte die Lider zusammen, feurige Büsche lohten vor ihr auf. Hinter ihr hetzte ein Entsetzen näher und näher. Sie meinte ihre Arme