Es traf mich wie ein Faustschlag an's Kinn. Misaki! Eindeutig! Der Mund, die Lippen, die Augen, das Kinn! Hier im Bild nur zur verbissenen Fratze verkniffen. Die Haare ganz kurz rasiert, Ungeschminkt. Mit Bauch! Sie fährt Schwanger?
Oh Gott, Nein! Warum macht sie das? Schwanger! Es ist auch mein Kind! Ein tiefer Schmerz drang in mein Herz.
Warum nannten sie Sie immer Haruto? Das war doch ihr Bruder? Dann zoomten sie auf ihren Helm, den sie unter den Arm geklemmt hielt….
Der Kommentator gab zu allem seinen Senf ab: „Haruto scheint sich nicht sonderlich über den Sieg zu Freuen, obwohl er es durch sein gelungenes Comeback dem Team erst ermöglichte. Wahrscheinlich ist er wie früher nur enttäuscht dass es nicht mit Rundenrekord geschah. Dort ist ein ungewöhnlicher deutscher Schriftzug mit Edding auf den Helm geschrieben: >>>Bitte verzeih mir Miky!<<< Wir wissen leider nicht was das zu Bedeuten hat, vielleicht erzählte Haruto beim Interview den Kollegen vom japanischen Fernsehen etwas oder wir fragen beim nächsten Rennen in 2 Wochen selbst mal nach und berichten ihnen sofort wenn es etwas neues gibt…..“
Die Kamera zoomte auf den ganzen Körper zurück, was man eben hinter den anderen beiden so sehen konnte.
„Haruto ist offenbar noch in einer kleinen Formschwäche, vielleicht erklärt das seine üble Laune, wir glauben von unserer Kabine aus noch einen kleinen Bierbauch zu erkennen, oder vielleicht kocht Mama so gut….“
Alle spritzten mit Sekt umher. Misaki übergab ihren Pokal dem seitlich stehenden Teamchef (= ihrem Vater), kletterte die Treppe hinab und schlich möglichst unauffällig hinten durch die Werbeplakate von der Bühne.
Wurde wohl nichts mit Interview….
Ich saß immer noch Fassungslos vor dem Bildschirm, den Tränen nahe. Die Siegerinterviews interessierten mich nicht, eh alleweil das selbe Geschwafel. Das also bedeutet in Japan Disziplin. Das also ist der Druck vor dem sie immer fliehen wollte.
Das bedeutet in Japan Familienbund. Was ist nur aus dieser liebenswerten Frau geworden? Aus meiner großen Liebe? Was haben sie aus ihr gemacht?
Kalt, Emotionslos, Roboterartig: Einen Sportsoldaten.
Ich konnte das alles nicht glauben, trug immer noch unendlich Hoffnung in mir. Wie lange kann sie das machen? Welche Chancen habe ich sie wieder zu sehen? Wann wird das System sie wieder freigeben, sie ausspucken? Egal, ich habe Zeit! So einen wunderbaren Menschen treffe ich mein Leben nicht mehr, diese Frau kann und will ich nicht vergessen.
Mit einem Mal verstand ich: Ihr maskulines Aussehen, ihr männliches Auftreten, der verhärtete Gesichtsausdruck, das ablegen aller Dinge die ihre Identität ausmachten. Alles ergab auf einmal einen Sinn: Misaki gab es nicht mehr! Sie hatten sie gebrochen.
Misaki war fortan tatsächlich Haruto, nämlich der Sohn den sich ihr Vater immer erwartete, dessen Verlust ihn so sehr schmerzte, jenen Verlust den er der jungen Frau unterschwellig immer vorhielt und nie verzieh. Sie muss jetzt ihren Bruder buchstäblich ersetzen.
Und trotzdem! „Misaki, ich verspreche dir jetzt hier und heute: Ich werde bis in die Ewigkeit auf dich warten!“
Dann erwachte mein Trotz. Warum warten? Warum soll ich das so hinnehmen? Ich hatte nichts falsches getan. Plötzlich war sich Michael in mir sicher, er war sich absolut sicher, er will – er muß alles mögliche Unternehmen um sie wieder zu sehen! Wenn Misaki Schluß macht soll sie Michael das ins Gesicht sagen.
Verpissen tun sich nur Weiber. Misaki ist außer ihrem traumhaften femininen Körper sonst wie ein Mann.
Ich überlege krampfhaft wie ich sie finden kann. Stürze mich in Arbeit, erkenne meine Lösung erstmal darin meine Ausbildung möglichst gut zu beenden um ein gutes Angebot zu erhalten. Jetzt nicht auch noch den Job verlieren! Das wäre der GAU!
6 Wochen später kam mein Vater plötzlich in meine kleine Wohnung hoch, „ob ich Misaki gesehen hätte?“ Ich flippe völlig unangemessen aus: „Fuck Alter, Du brauchst volle 2 Monate damit dir auffällt dass deine Frau nicht mehr da ist?“
Dad wundert sich über die extrem heftige Reaktion, tritt einen Schritt zurück.
„Wenn du sie sehen solltest frage sie ob sie die Scheidung möchte und wo ich ihr die Papiere hin schicken soll.“ Dabei legte er einen Umschlag auf meinen Küchentisch. Also soll ich das wohl wegschicken? Warum sagst du es nicht so? Dann trollte er sich, scheinbar etwas schuldbewusst….
Ich stürze mich in die Arbeit. Lernen. Ablenken.
Sogar mein geliebtes Motorrad und meine Kumpels kamen zu Kurz. Nur Franz schaute mal Abends eben vorbei, er machte sich Sorgen weil man garnichts mehr von mir hörte. Er ist halt eine gute Seele. Meine nächste wichtige Aufgabe ist eindeutig die Lehre erfolgreich beenden.
Wie sollte ich sonst jemals eine Familie ernähren? Und Englisch lernen, das mindestens so Intensiv wie Wirtschaftslehre und Buchungssätze.
Nebenbei suchte ich intensiv Kontakt zu Misaki. Suchte im Netz, auf sozialen Medien. Aber nichts zu machen, alles in Japanisch. Wer soll sowas lesen können? Stoße jedoch bei den Nachforschungen auf einen englischsprachigen Fanclub von Haruto.
Schreibe mehrfach an den Fanbetreuer, bitte flehentlich ob er einen direkten Kontakt vermitteln könne. Dieser verspricht eine E-Mail von Mike direkt weiterzuleiten, wenn Haruto antworten wolle wird er antworten.
>>Pling!<< Eines Abends erreichte mich völlig unerwartet eine Textmail von Haruto über einen Messenger, jedoch ohne absendende Nummer: Woher weiß ich daß du der echte Miky bist? Das könntest du auch an meinem Helm gelesen haben.
>>Pling<< This is Italy. Not Amerika. No Superbike! Meine Antwort.
>>Pling<< Der Ton ging an.
„Miky! Wie geht’s dir denn?“ Unverkennbar ihre Stimme, ihr Bild wurde auf meinem Display sichtbar, mein Herz ging auf.
„Nicht gut, Misaki. Ich respektiere deine Entscheidungen, mache dir keine Vorwürfe. Vermutlich trafst du deine Entscheidung unter Druck. Kannst du es mir vielleicht trotzdem so erklären dass ich es verstehen kann? Du würdest mir vieles damit Erleichtern!“
„Als erstes: Mir geht es auch nicht gut, ich verstehe dich.
Es lag definitiv nicht an dir! Doch mein Vater hat mich nach Hause befohlen. Das Team war dabei auseinander zu brechen, in der Zweitklassigkeit zu versinken. Sie brauchen für die Mannschaft beim Langstreckenrennen 3 Fahrer, die hatten sie auch. Alles brave Schufter fürs Team.
Sie fuhren beständig im Mittelfeld, drohten aber die Werksunterstützung zu verlieren. Es fehlte der Leader, der herausragende Motivator. Der alle mitreißen, polarisieren kann, an dem sich die anderen Fahrer messen wollen und zu dem sie aufsehen. Der die eine gute Zeit für den Startplatz machen kann oder zurückliegende Zeit mit einem Gewaltakt aufholen kann.“
Ohne Luft zu holen plapperte sie weiter, als wenn ein riesiger Druck eine Quelle sprudeln ließ:
„Jetzt Arbeiten 40 Leute im Team mit 3 Millionen Dollar Jahresbudget.
Als Privatteam brauchen sie nur noch 4-5 Leute und müssen das ganze Budget aus privaten Mitteln aufbringen. Dazu bekommen sie nicht mehr das erstklassige Material vom Werk. Mein Vater erpresste mich mit dem Job der Angestellten und den Familien dahinter. Ich muß solange fahren bis das Team ein oder zwei herausragende Nachwuchsfahrer hat und der nächste Werksvertrag soll dann über 2 Jahre gehen, aber nur wenn in der Meisterschaft mindestens der 3.Platz erreicht wird und dann auch noch der Abstand zum 4.
oder zum nächsten Privatteam deutlich genug ausfällt. Ich kann erst weg wenn die Zukunft des Teams gesichert ist und alles andere muss sich dahinter unterordnen.“
Im