„Was für ein Café?“
„Wo wir uns immer versammeln, im Nebenzimmer.“
„Wie heißt das und wo ist es genau?“
„Das darf ich dir nicht sagen.“
„Das kommt mir aber seltsam vor.“
„Marianne, du hast mir noch gar nicht erzählt, wie es dir geht und was du für eine Arbeit hast.“
„Das ist doch jetzt nicht wichtig.“
„Darf ich es nicht trotzdem erfahren?“
„Ein Geheimnis ist es nicht. Ich bin an der Schule am Mariendorfer Weg und darf eine Grundschulklasse unterrichten. Da geht es vielleicht laut zu!“
„Das ist ja ganz bei mir in der Nähe! Und wie ist es, macht es dir Spaß?“
„Ach, weißt du, Karl. Ich frage mich manchmal, was diese Kinder für eine Zukunft haben werden und was aus ihnen wohl wird, wenn die Nazis das Sagen haben.“
„Das müssen wir verhindern!“
„Und wie soll das funktionieren?“
Karl wusste nicht, was er auf diese Frage zur Antwort geben konnte. Klar war ihm jedenfalls, dass Marianne nicht zufrieden war. Sie schlug vor, er solle sie doch einmal zu einem Treffen mitnehmen.
„Das geht auf keinen Fall!“
Damit war ihre Neugier erst recht geweckt.
Ein Beitritt
Den Genossen Wagner traf Karl jetzt öfter. Helmut hatte eine Gruppe der Roten Kämpfer in Dresden gegründet und kam häufig nach Berlin, um für seine Idee einer neuen Partei zu werben. Die Jungsozialisten in Sachsen bildeten eine große Gruppe und mit dem roten Zentrum in Freital verstanden sie sich als Speerspitze der Revolution.
In der Zeitschrift „Klassenkampf“ hatte Wagner schon im Januar 1930 geschrieben: „Die Partei muss mit ihrer Betriebspropaganda in der Arbeiterschaft verwurzelt sein, sie muss damit andererseits auch fähig sein, den so aufgenommenen Willen der Arbeiter ihrer Politik zugrunde zu legen…“
Das bezog sich zwar auf die SPD, aber er hatte damit eine noch zu gründende, echte proletarische Partei gemeint. Jetzt, nach seinem Rauswurf aus der SPD und dem Misserfolg der SAP war er auf der Suche nach neuen Bundesgenossen für das große Unternehmen des Klassenkampfes.
„Weißt du, Karl, wir Sozialisten können die Straße und die Säle nicht der SA und dem Rotfrontkämpferbund überlassen.“
„Wir haben das Reichsbanner, was willst du noch?“
„Die können vielleicht einen Saal schützen, in dem ein SPD-Bonze spricht, aber einen revolutionären Kampf kannst du mit denen nicht führen. Das wollen sie gar nicht!“
„Glaubst du wirklich, dieser Kampf steht uns bevor?“
„Mensch, Genosse, überleg mal! Jeden Tag verlieren Tausende von Proletariern ihre Arbeit. Von dem Stempelgeld können die Leute nicht leben und nicht sterben. Außerdem bekommt höchstens die Hälfte der Arbeitslosen Stütze. Die Menschen hungern. Diese Verelendung kann und darf sich nicht fortsetzen. Wann, wenn nicht jetzt, ist es Zeit, zuzuschlagen und die Macht in den Betrieben zu übernehmen?“
„Und wie sollen wir das anstellen?“
„Wir haben in Dresden wie in vielen anderen Städten eine starke Truppe zuverlässiger Jungsozialisten aufgestellt. Die werden den Nazis und auch den Kommunisten auf die Finger und notfalls in die Fresse hauen. Aber das ist nicht alles!“
„Was denn noch?“
„Sie sind der Kern der Truppe, die in der anstehenden Revolution im bewaffneten Kampf den Sieg erringen und die Übernahme der Betriebe sichern wird.“
Jetzt war es heraus. Während Onkel Schröder und die anderen sich auf ein Überleben in der Illegalität vorbereiteten, wollte Helmut den Sieg erringen und die Niederlage von 1919 ausbügeln. Das war in der Tat eine erhebliche taktische und strategische Differenz zur Führung der Roten Kämpfer!
„Habt ihr denn Waffen und könnt ihr sie bedienen?“
„Die eine oder andere Pistole findet sich bei uns und wenn erst Soldaten und Polizisten zu uns überlaufen, wird kein Mangel sein.“
Die Bewunderung, die Karl für diesen klugen und eloquenten Genossen hegte, blieb zwar bestehen, aber ein leiser Zweifel mischte sich in dieses Gefühl. Er erinnerte sich an das gestrige Gespräch mit Schröder und Schwab in dem Café am Halleschen Ufer.
Aber jetzt war erst einmal alles egal. Heute Nachmittag würde er Marianne wieder treffen. Sie hatte ihn neulich im Tiergarten mit Fragen über die Roten Kämpfer geradezu gelöchert. Er hatte viel von den Vorträgen in der SWV erzählt und war dann auf den „inneren Kreis“ gekommen, in dem sich im Anschluss an die Vorträge wenige ausgewählte Genossen versammelten. Sie hatten hierfür das Nebenzimmer des Cafés am Halleschen Tor als Treffpunkt gewählt.
„Mein Onkel ist zusammen mit seinem Freund, dem Alex Schwab, der Kopf der Berliner Gruppe und auch im ganzen Reich. Ich begleite ihn und ich kann dir sagen, da wird die Lage schonungslos analysiert.“
„Wo trefft ihr euch denn?“
„Du weißt, dass ich das nicht sagen darf. Es ist alles geheim. Wir müssen verhindern, dass die Nazis oder die Kommunisten etwas erfahren und es ist auch besser, wenn der SPD-Vorstand davon nichts weiß.“
Marianne hatte ihn irritiert angesehen.
„Wie wollt ihr denn die Massen für den bewaffneten Kampf gewinnen, wenn niemand weiß, wo ihr seid?“
Aus der Aktentasche, die er mitgebracht hatte, da er direkt von der Schule gekommen war, zog er den mehrseitigen Durchschlag eines Textes, den Wagner ihm vor wenigen Tagen anvertraut hatte. Dieser Artikel war für die Sondernummer der „RK Korrespondenz“ vorgesehen, die im August erscheinen sollte. Er drückte ihr das dünne Papier vorsichtig in die Hand.
„Hier kannst du alles nachlesen. Es ist ein Artikel über die Notwendigkeit der Gründung einer echten proletarischen Partei. Er stammt von einem Genossen aus Dresden.“
Sie war ersichtlich nicht zufrieden damit, ein Stück Papier in die Hand zu bekommen, aber sie hatte keine Zeit mehr. Zum Abschied hauchte sie einen Kuss auf seine Wange und verschwand im U-Bahnhof Wittenbergplatz. Sie hatten auf den Bänken vor der Fassade des KDW gesessen.
Auch beim nächsten Treffen war sie sofort auf die Politik zu sprechen gekommen.
„Also, deine Gruppe, diese Roten Kämpfer, das ist noch nicht die richtige Partei. Das habe ich dem Artikel von diesem Wagner entnommen.“
„Naja, eigentlich schon, aber auch wieder nicht. So genau kann ich dir das nicht erklären. Vielleicht sind wir die Partei. Du musst den Helmut einfach kennenlernen. Ich seh‘ ihn am Montag beim nächsten Termin am Halleschen Tor. Da könnte ich vielleicht ein gemeinsames Treffen vereinbaren.“
„Ist da das Café, in dem mir euch trefft?“
„Ach, nichts, ich geb dir dann Bescheid.“
„Kannst du mich nicht einfach mitnehmen?“
„Das darf ich auf gar keinen Fall. Das musst du bitte verstehen.“
Er war mit seinen Bemühungen um eine persönliche Annäherung nicht weitergekommen. Marianne schien ausschließlich an Politik interessiert zu sein. Vielleicht konnte er mit Hilfe von Helmut ihre Neugier befriedigen und endlich zu anderen Themen übergehen. Wenn ihm der Genosse dabei helfen könnte, wäre es nur gut.
In den Erinnerungen Mariannes ist zu diesen Annäherungsversuchen folgendes notiert: „Da ich wenig Leute, die sich für sozialistische Politik interessierten, kannte,