BÖSE im Bett. Andrea Lieder-Hein. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andrea Lieder-Hein
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847642756
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die zwei fast leeren Cola-Flaschen zur Seite und rüttelte an Emmas Schulter.

       Emma, Emma, aufwachen, es ist schon spät.

      Langsam rutschte Emma seitlich weg. Vor Schreck legte Mia ihre Hand an die Halsschlagader. „Leute, Emma ist tot“, schrie sie auf.

      Mit vereinten Kräften versuchten sie, Emma wieder zum Leben zu erwecken. Kaike war bei den Schulsanitätern und war perfekt in Erster Hilfe. Sofort startete sie bei Emma mit 30 Herzdruckmassagen. Frieso gab die zwei Atemspenden. Aber nichts half. Frieso roch während der Mund zu Mund Beatmung eine starke Alkoholfahne. Er rief die anderen, und die bestätigten ihm seinen Verdacht. Ein Test aus den Cola-Flaschen war positiv: Wodka, und nicht zu knapp. Als Timm sich beim Rütteln und Kneifen auch nicht rührte, wussten sie, dass auch er tot war.

      „Die haben sich totgesoffen. Aus Kummer“, mutmaßte Suse. „Komasuff?“, scherzte Wulle, aber die anderen blickten derart genervt, dass er sofort aufhörte.

      Mia pfiff leise auf zwei Fingern, wie sie es als Klassensprecherin in der Schule bei Bekanntmachungen immer machte und kam gleich zur Sache.

       Einer für Alle, alle für EINEN. Das müssen wir heute beweisen. ALLE. Wir können nichts, aber auch GAR NICHTS dafür, dass die beiden sich tot gesoffen haben. Wir hatten strikt ausgemacht: Keiner bringt Alkohol mit. Also Verstoß gegen die Regeln. Wie kommen wir heil aus der Sache raus?

      „Ich kenne Timms Hütte bei der Weide in der Nähe vom Wittmunder Wald“, meldete sich Jasper. „Die von Bauer Hinrichs. Da sind die Beiden oft hin, so zum Knutschen.“

       Das ist perfekt, Jasper. Du bist dabei und zeigst, wo die Hütte liegt. Mein Plan:

       Ich gebe euch aus dem Schrank zwei Leichentücher. Vier Leute, ein Tuch, an jeder Ecke einer. So könnt ihr die Leichen bequem tragen. Ich habe zwei Taschenlampen. Bei jeder Leiche geht einer voran und leuchtet den Weg aus. Von hier sind das knapp 700m bis zur Hütte, bei Regen und Wind. Aber muss sein. Zehn Leute seid ihr, macht keinen Quatsch, laut lachen oder so. Allerdings ist auf dem Weg an den Weiden nachts sowieso keiner mehr um diese Zeit. Trotzdem.

        Jede Gruppe bekommt Einmal-Handschuhe aus der Waschkammer und einen Lappen. Damit werden die Cola-Flaschen gesäubert. Nicht vergessen, wieder Fingerabdrücke auf die Flaschen, NICHT EURE, sondern Timm auf seine, und Emma auf ihre Flasche. Mund nicht vergessen. Die haben daraus getrunken.

        Ihr setzt die Beiden so in die alte Hütte, wie sie hier gesessen haben. Die Flaschen nicht vergessen. Und KEIN Erinnerungsfoto auf'm Handy. WICHTIG!

        Die anderen gehen nach Hause. KEINER erzählt was. Ich räume hier noch auf, lüfte und geh’ dann ins Bett. Viel Lüften muss ich nicht, wegen der Klimaanlage. Die wurde nämlich eingebaut bei der letzten Renovierung, damit die Leichen im Sommer nicht übelst riechen.

        Morgen bekomme ich die Leichentücher wieder, in einer Plastiktüte. Gummihandschuhe und Putzlappen entsorgt ihr selbst, aber NICHT im Wald und NICHT bei euch zu Hause.

        Wir werden sicher irgendwann in der Schule von der Polizei befragt, ihr wisst NICHTS, außer Trauer um die sechs in Latein. Und den Anruf von Frau Vogelfang und der Drohung von Emmas Mutter.

        Zu Hause trocknet ihr irgendwie HEIMLICH eure nassen Klamotten.

       Und nun alle zusammen:

       <EINER FÜR ALLE, ALLE FÜR EINEN>

      007 Zwei Leichen im Wittmunder Wald

      Normalerweise fühlte Mia Samstagnachmittag eine wunderbare Ruhe in sich. Wochenende, Freunde, frei. An diesem Tag war es anders. Ihre Mutter bereitete noch das Programm der Theatergruppe um 17:00 Uhr vor und ihr Vater steckte mitten in seiner Predigt. Gegen 20:00 Uhr leitete er dann seinen Bläserchor. Der musste ebenfalls vorbereiten werden.

      Mia seufzte tief in sich hinein. Kurz nach Mittag hatte sie sich mit Jasper hinter der Leichenhalle getroffen und die schmutzigen Laken in Empfang genommen. Jetzt glaubte sie, war der richtige Moment, sie heimlich zu waschen und später trocken wieder in die Leichenhalle zu legen. Mit zwei Plastiktüten bewaffnet ging sie zügig in den Keller, steckte die zwei feuchten und völlig dreckigen Tücher in die Waschmaschine und betete, dass ihre Mutter sie nicht erwischen würde. Weder beim Waschen, noch beim Trocknen oder Bügeln.

      Es war noch immer Mitte Mai und wunderbares Wetter. Die meisten Klassenarbeiten waren geschrieben und die Zeugnisnoten standen praktisch fest. Niemand würde die Klasse wiederholen müssen. Niemand, denn sie hatten ja ihr System.

      Warum eigentlich hatte Frau Vogelfang mit Nicht Versetzung gedroht? WARUM? Es konnte gar nicht sein. Auch bei einer sechs in der letzten Klassenarbeit. Das ergab höchstens eine schwache vier im Zeugnis.

      Oder vielleicht ein Nebenfach, auf das sie nicht geachtet hatten? Musik? Kunst? Sport? Reli? „SCHEISSE“, schrie sie quer durch den Keller, „Warum? Emma? Timm? WARUM?“ Aber niemand antwortete und sie würde es auch nie erfahren.

      ***

      Als die Glocken am Sonntag gegen zehn Uhr zum Gebet in der Lutherkirche in Waddehörn läutete und sich die Gläubigen auch aus Upmeer und Ikenbargen auf den Weg machten, klingelte zur gleichen Zeit im Polizeikommissariat Wittmund das Telefon. Ein aufgeregter Jogger berichtete von zwei Leichen in der Nähe vom Wittmunder Wald. Bei den Weiden. Zwei tote Jugendliche, die sein Irischer Wolfshund aufgespürt haben sollte. „Jugendliche, in einer zerfallenen Hütte am Weidenweg“, wie er sagte.

      Ein Wagen mit zwei Beamten fuhr sofort zu der angeblichen Fundstelle. Hauptkommissar Egon Reisig fuhr zunächst die B210 entlang und schüttelte den Kopf. „Ich mache jetzt hier seit über 20 Jahren Dienst, da gab es auch schon mal eine Leiche. Aber zwei, an einer Weide, in einer alten Hütte? Das glaube ich erst, wenn ich es sehe.“

      Jana Drexeler hatte sich gerade erst ein paar Tage eingelebt im Kommissariat. So richtig heimisch fühlte sie sich noch nicht, aber Kommissar Nils Lindström war echt niedlich und Hauptkommissar Reisig half ihr auf nette Art bei jeder Frage.

      Nun war sie gespannt auf den Einsatz. Aber zwei Leichen, das erschreckte sie schon sehr. Und dann sollten sie noch so jung sein. Kinder oder Schüler, hatte der Jogger gestammelt.

      Wenige Minuten später erreichten die Polizisten den Jogger am Weidenweg. Er hielt seinen Irischen Wolfshund an der Leine und sah erbärmlich aus. „Da, gleich dahinten. In der zerfallenen Hütte. Ein Junge und ein Mädchen. Sehen aus wie ein Liebespaar, aber so kalt, so weiß im Gesicht. Und so jung.“

      Der Fundort war bereits abgesperrt, die Spurensicherung am Werk und der Gerichtsmediziner unterrichtete Reisig über die bisher gewonnenen Fakten.

      Reisig notierte sich die wichtigsten Ergebnisse und bat den Mediziner, dem Jogger wieder auf die Beine zu helfen.

      Ziemlich gestresst zündete er sich danach eine Zigarette an. Er war seit Jahren Nichtraucher, aber bei jedem grausamen Fund rauchte er. Eine Packung bewahrte er deshalb immer im Handschuhfach seines Dienstwagens auf. Diese eine Zigarette half. Jedenfalls sonst. Hier stand er vor zwei Kindern, eng umschlungen, tot in einer zerfallenen Hütte sitzend. Wäre er nicht im Dienst gewesen, er hätte sich jetzt einen Magenbitter gegönnt. So musste die Zigarette reichen.

      ***

      Polizeirat