Der Lebensweg - ein Werk von Leo Tolstoi. Franz Gnacy. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Franz Gnacy
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783847653066
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      Nur für den gibt es keinen Gott, der Ihn nicht sucht. Such Ihn, so wird Er sich dir offenbaren.

      Moses sprach zu Gott: „Wo soll ich Dich finden, Herr?“ Gott antwortete: „Du hast Mich schon gefunden, wenn du Mich suchst.“

      Wenn dir der Gedanke kommt, alles, was du über Gott gedacht, sei unwahr, es gäbe keinen Gott – so gerate darüber nicht in Bestürzung, sondern wisse, dass das mit allen Menschen der Fall war und ist. Glaub’ aber nur nicht, dass, wenn du nicht mehr wie früher an Gott glaubst, das daher rührt, weil kein Gott existiert. Wenn du nicht mehr an denselben Gott wie früher glaubst, so rührt das daher, dass an deinem Glauben etwas verkehrt war.

      Wenn ein Wilder nicht mehr an seinen Holzgötzen glaubt, heißt das nicht: es gibt keinen Gott, sondern nur: Gott ist nicht Holz. Begreifen können wir Gott nicht, wir können Ihn aber mehr und mehr erkennen. Wenn wir also einen rohen Gottesbegriff über Bord werfen, dient uns das zum Nutzen. Es geschieht, damit wir immer besser erkennen, was wir Gott nennen.

      Gottesbeweise! Beweisen, dass Gott ist! – Kann es etwas Dümmeres geben? Gott beweisen, ist gerade so wie das Leben beweisen. Wem beweisen? Wodurch? Wozu? Wenn kein Gott ist, ist gar nichts. Wie kann man Ihn beweisen?

      Gott ist. Wir brauchen das nicht zu beweisen. Gottesbeweise sind Blasphemie; Gottesleugner: Irre. Gott lebt in unserem Gewissen, im Bewusstsein der ganzen Menschheit, im ganzen Weltall. Unter dem gestirnten Himmel, am Grabe teurer Angehöriger, oder beim Tode eines Märtyrers; Gott leugnen kann nur ein sehr elender oder ein sehr verdorbene Mensch.

       Die Liebe zu Gott

      „Ich verstehe nicht, was Liebe zu Gott heißt? Wie kann man etwas Unbegreifliches, Unbekanntes lieben? Lieben kann man seinen Nächsten, das ist verständlich und gut; dagegen: Gott lieben, sind nur leere Worte.“ So sprechen und denken viele. Die aber so sprechen und denken, sind in einem rohen Irrtum befangen, verstehen nicht, was es heißt, seinen Nächsten lieben – nicht angenehmen und uns nützlichen Menschen, sondern gleichmäßig jeden, selbst wenn dieser der unangenehmste und feindlichste Mensch ist. So seinen Nächsten lieben kann nur, wer Gott liebt, den Gott, der in allen Menschen einer ist. So ist also unverständlich nicht die Liebe zu Gott, sondern die Liebe zum Nächsten ohne Liebe zu Gott.

      Die Seele

       Das Unfühlbare, Unsichtbare, Unkörperliche, das allem Existierenden Leben gibt, nennen wir Gott. Dieses selbe unfühlbare, unsichtbare, unkörperliche Prinzip nennen wir, wenn es durch den Körper von uns allem Übrigen getrennt ist, und wir es in uns erkennen: Seele.

       Was ist die Seele?

      Wer lange lebt, macht viele Veränderungen durch – ist zunächst Säugling, dass Kind, dann ein Erwachsener, dann Greis. Wie sehr man sich aber auch verändert, man spricht von sich selbst per „Ich“. Und dieses „Ich“ war und ist stets dasselbe. Es ist dasselbe im Säugling, im Erwachsenen und im Greise. Dieses unveränderliche im Erwachsenen und im Greise. Dieses unveränderliche „Ich“ ist das, was wir Seele nennen.

      Die Annahme, dass alles, was wir um uns sehen: die ganze unendliche Welt genau so sei, wie wir sie sehen, ist ein großer Irrtum. Wir kennen die Körperwelt nur, weil wir ein bestimmtes Gesicht, Gehör, Gefühl besitzen. Wären diese Sinne anders, so würde die ganze Welt anders werden. Also wissen wir nicht, können wir nicht wissen, wie die materielle Körperwelt, in der wir leben, beschaffen ist. Das einzige, was wir genau und vollständig kennen, ist unsere Seele.

       Das „Ich“ ist geistig

      Wenn wir „Ich“ sagen, sagen wir das nicht von unserem Körper, sondern von dem, wodurch unser Körper lebt. Was ist nun dieses „Ich“? Mit Worten können wir es nicht ausdrücken. Dabei kennen wir es besser als alles andere. Wir wissen, dass, wenn dieses Ich nicht wäre, wir gar nichts wüssten; dass dann für uns nichts in der Welt wäre; dass wir selbst nicht wären.

      Wenn ich genau nachdenke, ist es schwerer zu begreifen, was mein Körper, als was meine Seele ist. Wie nahe mir mein Körper auch ist, er bleibt stets etwas Fremdes; nur die Seele ist mein.

      Wenn jemand in sich keine Seele kennt, heißt das nicht, dass er keine besitzt, sondern nur, dass er noch nicht gelernt hat, die Seele zu erkennen.

      Solange wir nicht wissen, was in uns ist, welchen Nutzen hat es da, zu wissen, was außer uns ist? Kann man ohne Kenntnis seines Ich die Welt kennen? Kann der zu Hause Blinde auf Besuch sehend sein?

      Wie ein Licht nicht ohne Flamme brennen kann, so kann der Mensch nicht ohne geistige Kraft leben. Diese Kraft lebt in allen Menschen, aber nicht alle wissen es.

      Froh ist das Leben dessen, der es weiß; unglücklich dessen, der es nicht weiß.

       Seele und Körperwelt

      Wir haben die Erde, Sonne, Sterne und Meerestiefen ermessen, schürfen tief im Erdinnern nach Gold, durchsuchen Flüsse und erforschen die Berge auf dem Mond; entdecken neue Sterne, bestimmen ihre Größe, überbrücken Abgrunde und konstruieren sinnreiche Maschinen – kein Tag vergeht ohne neue und immer neue Erfindungen. Was verstehen wir, was können wir nicht alles! Und doch gibt es etwas, das Allerwichtigste, womit wir unzufrieden sind, was uns nicht genügt. Was das eigentlich ist, wissen wir selbst nicht. Wir gleichen in dieser Beziehung kleinen Kindern: sie fühlen, dass ihnen nicht gut ist, wissen aber nicht, woher das rührt.

      Uns ist deshalb nicht gut, weil wir zwar viel Überflüssiges kennen, das notwendigste aber, uns selbst, nicht kennen. Wir wissen nicht, wer in uns lebt und kennen Ihn nicht. Wenn wir das wissen und Ihn kennen würden, würde unser Leben ganz anders sein.

      Von allen körperlichen Dingen in dieser Welt können wir nicht wissen, wie sie eigentlich beschaffen sind. Wir kennen eigentlich nur das geistige Wesen in uns, das wir als unser Ich bezeichnen und das weder von unseren Sinnen, noch von unseren Gedanken abhängt.

      Die Welt ist unendlich, muss unendlich sein: wie entfernt etwas auch ist, es gibt immer noch etwas Entferntes. Genau so ist es mit der Zeit; hinter der entferntesten Vergangenheit gibt es immer noch eine entferntere. Deswegen ist klar, dass wir nicht wissen können, woraus die materielle Welt jetzt besteht, was sie früher war und dereinst sein wird.

      Was können wir denn aber erkennen? Das eine, wozu wir weder Raum noch Zeit nötig haben – unsere Seele.

      Die Menschen glauben oft, nur das existiere, was sie mit Händen greifen können; dabei existiert in Wirklichkeit nur das, was man weder sehen, noch hören, noch fühlen kann, was wir unser Ich, unsere Seele nennen.

      Konfuzius sagte: Himmel und Erden sind groß, haben aber Farbe, Form und Ausdehnung. In Menschen dagegen ist etwas, was über alles Existierende nachdenkt und weder Farbe, Form und Ausdehnung hat. Wenn die ganze Welt tot wäre, würde das, was im Menschen ist, allein der Welt Leben verleihen.

      Eisen ist fester als Stein, Stein fester als Holz, Holz fester als Wasser, Wasser fester als Luft. Was man aber nicht fühlen, nicht sehen und nicht hören kann – ist das Allerfesteste. Nur dieses war, ist, wird sein und geht niemals zugrunde.

      Was ist das? Die Seele im Menschen.

      Es ist dem Menschen gut, darüber nachzudenken, was er samt seinem Körper ist. Dieser Körper erscheint groß im Vergleich mit einem Floh, winzig im Vergleich mit der Erde. Es ist auch gut, daran zu denken, dass unsere ganze Erde ein Sandkorn im Vergleich mit der Sonne, und die Sonne ein Sandkorn im Vergleich mit dem Sirius, der Sirius - : nichts im Vergleich mit anderen noch größeren Gestirnen ist und so weiter, ohne Ende.

      Klar, dass der Mensch mit seinem Körper nicht im Vergleich mit dieser Sonne und den Sternen ist. Wenn man sich aber weiter vergegenwärtigt, dass von jedem von uns nicht die Spur eines Gedankens vorhanden war, als vor tausend, vor vielen tausend Jahren ebensolche Menschen wie wir geboren wurden, heranwuchsen,