Gottes Wille
Wir erkennen Gott weniger mit dem Verstande, als dadurch, dass wir uns in seiner Macht fühlen, in der Art eines kleinen Kindes auf dem Arm der Mutter.
Das Kind weiß nicht, wer es hält, wärmt und nährt; weiß aber, dass jemand tut – ja, weiß es nicht nur, sondern liebt das Wesen, in dessen Macht es sich befindet. Dasselbe ist mit großen Menschen bei Gott der Fall.
Je mehr jemand Gottes Willen erfüllt, umso besser kennt er Ihn.
Jemand, der Gottes Willen gar nicht erfüllt, kennt Ihn gar nicht, selbst wenn er Ihn zu kennen behauptet und zu Ihm betet.
Wie man jedes Ding nur erkennt, wenn man nahe herantritt, so erkennt man auch Gott nur, wenn man sich Ihm nähert. Sich Ihm nähren kann man aber nur durch gute Werke. Je mehr jemand sich daran gewöhnt, ein gutes Leben zu führen, umso näher lernt er Gott kennen. Und je näher man Gott kennen lernt, umso mehr gewinnt man die Menschen lieb. Eins fördert das andere.
Gott können wir nicht kennen. Das einzige, was wir von Ihm wissen, ist Sein Gebot, Sein Wille, wie er im Evangelium ausgedrückt ist. Daraus, dass wir Sein Gebot kennen, folgern wir, dass Derjenige existiert, Der das Gebot erlassen hat. Ihn selbst aber können wir nicht kennen. Wir wissen sicher nur, dass wir im Leben das von Gott gegebene Gebot erfüllen müssen und dass unser Leben umso besser ist, je genauer wir Sein Gebot erfüllen.
Jeder Mensch muss fühlen, dass durch sein Leben etwas geschieht, dass er jemandes Werkzeug ist. Wenn er aber jemandes Werkzeug ist, existiert auch jemand, der mit diesem Werkzeug arbeitet. Dieser Jemand, der mit dem Werkzeug arbeitet, ist Gott.
Wunderbar, dass ich früher die einfache Wahrheit nicht habe erkennen können, dass hinter dieser Welt und unserem leben in ihr jemand, etwas ist, das weiß, wozu diese Welt existiert und wozu wir in ihr sind, wie Blasen im Wasser an die Oberfläche steigen, zerplatzten und verschwinden.
Ja, es geschieht etwas in dieser Welt mit allen Lebewesen, auch mit mir und meinem Leben. Wozu wäre sonst die Sonne, der Frühling, Winter, und wozu diese Leiden, Geburt, Tod, Wohltaten, Missetaten, - wozu all diese Einzelwesen, die augenscheinlich für sich keinen Sinn haben und doch mit aller Kraft leben, an ihrem Leben hängen, Wesen, in denen das Leben fest verankert ist. Das Leben dieser Wesen überzeugt mich am meisten davon, dass alles das für ein vernünftiges, gutes, mir allerdings nicht zugängliches Werk erforderlich ist.
Mein geistiges Ich ist meinem Körper nicht ähnlich; folglich weilt es im Körper nicht durch meinen, sondern durch einen höheren Willen.
Dieser Wille ist das, was wir unter Gott verstehen und so nennen.
Gott kann man weder verehren noch loben. Über Gott kann man nur schweigen und Ihm dienen.
Solange jemand singt, schreit und vor allen Leuten sagt: O Gott, Gott! – hat er Gott nicht gefunden. Wer Ihn gefunden hat, der schweigt.
In bösen Augenblicken fühlt man Gott nicht, zweifelt an Ihm. Die Rettung liegt stets in einem sicheren Mittel: nicht mehr an Gott denken, sondern nur an Sein Gebot, und dieses erfüllen. Alle lieben – dann enden sofort die Zweifel, und man findet Gott wieder.
Mit dem Verstande kann man Gott nicht erkennen
Gott in sich fühlen kann man. Das ist nicht schwer. Aber erkennen, was Er ist – das ist unmöglich und unnötig.
Man kann nicht mit dem Verstande begreifen, was Gott und die menschliche Seele sind; ebenso kann man nicht begreifen, dass es keinen Gott und keine menschliche Seele gibt.
Warum bin ich von allem übrigen getrennt; warum weiß ich, dass alles das existiert, wovon ich getrennt bin, und warum kann ich nicht begreifen, was alles das ist? Warum ändert mein Ich sich unaufhörlich? Das kann ich nicht begreifen. Ich kann aber nicht anders, als annehmen, dass in alledem ein Sinn liegt – dass es ein Wesen gibt, für das alles das verständlich ist, das weiß, wozu alles das da ist.
Gott fühlen kann jeder, Ihn kennen – niemand. Deswegen bemühe dich nicht, Ihn kennen zu lernen, sondern bemühe dich, Seinen Willen zu tun, Ihn immer lebhafter in dir zu fühlen.
Gott, den wir begriffen haben, ist schon nicht mehr Gott: der Gott, den man begriffen hat, ist ebenso endlich, wie wir selbst. Gott kann man nicht begreifen. Er ist stets unbegreiflich.
Wenn deine Augen von der Sonne blind werden, sagst du nicht, es gäbe keine Sonne. Du wirst auch nicht sagen, es gäbe keinen Gott, weil dein Verstand irre wird und schwindet, da du Anfang und Grund des Alls begreifen willst.
„Warum fragst du nach meinem Namen!“, sagt Gott zu Moses. „Wenn du hinter dem, was sich bewegt, das sehen kannst, was stets war, ist und sein wird, so kennst du Mich. Mein Name ist ebenso wie mein Wesen. Ich bin. Bin das, was ist.
Wer meinen Namen wissen will, der kennt Mich nicht.“
Die Vernunft, die man begreifen kann, ist nicht die ewige Vernunft; das Wesen, das man nennen kann, nicht das höchste Wesen.
Gott ist für mich das, wonach ich strebe. In diesem Streben besteht mein Leben; deswegen ist Er für mich, ist aber so, dass ich Ihn nicht begreifen, nicht nennen kann. Wenn ich Ihn begreife, würde ich zu Ihm gehen; dann hätte mein Streben ein Ende und es gäbe kein Leben mehr für mich. Ich kann ihn aber nicht begreifen und nicht nennen, und kenne Ihn dabei doch, kenne die Richtung zu Ihm, ja, von all meinen Kenntnissen ist diese die sicherste.
Sonderbar, dass ich Ihn nicht kenne, dass mir aber gleichzeitig schrecklich ist, wenn ich ohne Ihn bin und nur dann Ruhe habe, wenn Er bei mir ist. Noch sonderbarer, dass, Ihn näher und besser zu kennen, als ich Ihn in meinem jetzigen Leben kenne – für mich gar nicht nötig ist. Mich Ihm nähern kann ich und will ich – in dieser Annäherung besteht mein Leben; die Annäherung vermehrt aber nicht, kann nicht vermehren meine Kenntnisse von Ihm. Jeder Versuch einer Vorstellung von Ihm (z.B. Er sei Schöpfer, oder barmherzig, oder etwas Ähnliches) entfernt mich von Ihm, beschränkt meine Annäherung an Ihn. Sogar das Fürwort „Er“ in Bezug auf Gott beeinträchtigt schon Seine Bedeutung. Das Fürwort „Er“ verkleinert Ihn gleichsam.
Alles, was man über Gott sagen kann, ist Ihm nicht ähnlich. Mit Worten kann man Gott nicht ausdrücken.
Über den Unglauben
Der vernünftige Mensch findet in sich einen Begriff für seine Seele und die Weltseele – Gott; er bleibt in der Erkenntnis seines Unvermögens, diese Begriffe ganz klar auszudrücken, ergeben vor ihnen stehen und rührt sie nicht an.
Es gab und gibt Leute mit verfeinertem Verstand und Wissen, die durch Worte den Gottesbegriff erklären wollen. Ich verurteile diese Leute nicht. Sie haben aber Unrecht, wenn sie sagen, es gäbe keinen Gott. Ich gebe zu, dass schlaue Machenschaften Menschen eine Zeitlang überzeugen können, es gäbe keinen Gott; aber diese Gottlosigkeit kann nicht lange dauern; so oder so bedarf der Mensch stets Gottes. Würde die Gottheit uns in noch größerer Klarheit erscheinen als jetzt, so, bin ich überzeugt, würden Gottes Widersacher neue Listen ersinnen, um Ihn zu leugnen. Die Vernunft ordnet sich den Forderungen des Herzen stets unter.
Der Glaube, dass es keinen Gott gibt, ist nach Lao-Tse gerade so wie die Annahme, dass wenn jemand mit Pelz die Luft bewegt, der Wind von Pelz ausgeht und nicht von der Luft, und dass der Pelz auch da Wind erzeugen könnte, wo keine Luft ist.
Wenn Menschen, die ein schlechtes Leben führen, sagen, es gäbe keinen Gott, haben sie Recht. Gott ist nur für die da, die nach Ihm hinschauen und sich Ihm nähern. Wer sich aber von Ihm abgewandt hat und sich von Ihm entfernt – für den gibt es keinen Gott, kann es keinen geben.
Zwei Menschenarten kennen Gott: solche mit frommem herzen, einerlei ob sie klug oder dumm sind – und wahrhaft Verständige. Nur Hochmütige und Menschen mit Durchschnittverstand kennen Gott nicht.
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