Pfeffi ist von der Szene doch sehr berührt. Es ist also so, dass einige Gefühle dem verstorbenen Geschöpf zunächst noch bleiben, zumindest den geliebten Lebenden gegenüber, die selbst über alles lieben und geliebt haben und auch hier noch von großer Bedeutung sind. Alles Negative fällt aber ab und hat keinen Einfluss mehr. Pfeffi konnte sogar Phils liebevolles Streicheln seines toten Körpers nachempfinden. Trotzdem ist der kleine Hund weder traurig noch verzweifelt. Abgesehen davon, dass es diese Gefühle hier nicht mehr gibt, wird ihm in diesem Moment klar, dass er Phil eines Tages wiedersehen wird. In diese Situation hinein wird Pfeffi plötzlich von einer ihm bekannten Stimme gerufen: „Pfeffer, Pfeffiiii…, komm zu mir!“ Pfeffi dreht sich herum und entdeckt ----MATTHI----! Die Freude, die den Hund übermannt, ist nicht in Worte zu fassen. Er stürmt auf Matthias zu und beide wirbeln umeinander herum. Es ist eine großartige Begrüßung. Beide Spezies, Mensch und Tier, können nicht überschwänglicher ihre Liebe und Wiedersehensfreude zeigen. Pfeffi hält inne und guckt nach Philipp. „Mache dir keine Gedanken, mein Kleiner! Es wird ihm gut gehen. Er steht uns sehr nahe und wir werden ihn vielleicht begleiten dürfen.“ Pfeffi folgt nun Matthi vertrauensvoll. Ondra bleibt auch bei ihnen. Sie machen sich auf den Weg zu der herrlichen Wiese, von der Pfeffer in letzter Zeit so oft träumte. Dort spielen Hunde und Kinder miteinander wie sie es wohl auch im Leben schon getan haben. Umso erstaunter ist Pfeffi als ihnen ein anderer Foxterrier freudig entgegen springt, der offensichtlich allein ist. Dieser andere Hund ist aber nicht allein. Es ist seine Schwester Pinta, die hier auf ihre Lieben und den Neuankömmling gewartet hat. Pfeffi freut sich riesig, sie zu sehen und ist ganz erstaunt, dass sie schon hier ist. Pinta erkennt sein Erstaunen und sagt nur: „Es war ein Unfall.“ Ondra hingegen ist im Alter von fast dreizehn Jahren gestorben. Sie war nicht krank und sie ist auch erst kürzlich gekommen, es war eben das Alter. Matthi und die drei Hunde wenden sich wieder der Wiese zu und dem großen Licht, welches dahinter aufgegangen ist. Es ist hell und klar und frisch, und sie verschwinden darin.
Die Begriffe Raum und Zeit haben in der Welt danach keine Bedeutung mehr. Aber es gibt verschiedene Ebenen und Tiefen. Ihre Grundlagen sind im irdischen Leben bereits gegeben. In welche Ebene das verstorbene Geschöpf eintauchen darf, ist davon abhängig, wie es sein reales Leben gestaltet hat. Ein Mensch oder Tier mit schlechtem, gar boshaftem Charakter geht eben in eine sehr niedrige Ebene über. Jeder hat aber die Möglichkeit durch entsprechendes Verhalten, eine höhere Ebene zu erreichen. Dies ist der Grund, warum sich nicht alle Bekannten, Freunde oder Familienmitglieder nach dem Ableben je wiedersehen. Dies ist so gewollt, um jede eventuelle Erinnerung an erlittenen Schmerz vergessen zu dürfen. Hier sind alle frei und unbeschwert. Es gibt aber auch verirrte Seelen, die keine Ebene finden. Häufig müssen sie in einer Art Zwischenuniversum warten bis die Macht entscheidet, was mit ihnen geschehen soll. Doch von den himmlischen Strukturen wissen die Freunde nichts. Sie wissen auch nicht, wie viel Zeit bei ihren lebendigen Freunden und Familienangehörigen vergangen sein mag und wer überhaupt noch am Leben ist. Es ist Ondra, die irgendwann meint: „Ob wir wohl nachschauen dürfen, wie es den anderen ergangen ist?“ Und Matthi antwortet: „Ich glaube, es ist uns erlaubt, unsere Lieben zu besuchen, wenn wir uns das wirklich wünschen. Ich würde wirklich gern nach meinen Eltern schauen. Außerdem ist ein Besuch unschädlich. Sie können uns nicht sehen und wir können keinen Kontakt aufnehmen.“ Und Pfeffi seufzt: „Wie mag es Phil gehen?“
Die Freunde haben in der Zwischenzeit gelernt, sich Kraft der Gedanken fortzubewegen. Es ist ganz einfach. Sie denken also alle gemeinsam an den Uhlenhof. Und tatsächlich befinden sie sich im nächsten Augenblick im Arbeitszimmer von Tristan. Hier hat sich kaum etwas verändert. Es gibt immer noch die schweren dunklen Stühle und den großen Eichenschreibtisch, an dem Tristan früher so oft gearbeitet hat und auf dem ein Foto von Matthias mit schwarzem Rahmen und schwarzer Schleife steht. Daneben befindet sich eine kleine weiße Vase mit frischen roten Moosröschen. Auf den Regalen stehen mehr Bücher als früher, dafür sind die Pokale verschwunden, die Christin auf den unzähligen Hundeausstellungen gewonnen hat. An die Wände hat jemand etliche Ölgemälde gehängt, die Landschaften und Tiere zeigen. Die vielen Fotos, die früher in schwarzen und silbernen Rahmen auf den Kommoden standen, sind ebenfalls verschwunden. Auch steht noch der große gelbe Ofen mit den handgearbeiteten Kacheln. Daneben gibt es eine flache Kiste, die den Dreien unbekannt ist. Darinnen liegt auf Kissen gebettet ein großer schwarzer Hund. Er hat sich ganz lang gemacht und blickt die Ankömmlinge geradewegs an. Die sind verunsichert. Es ist Pfeffer, der fragt: „Ob der uns wohl sehen kann?“ „Kann ich“, antwortet dieser bevor jemand anderes etwas sagt. Matthi schnauft: „Wer lebt jetzt hier?“ Er befürchtet, dass sich mehr verändert haben muss und dass wohl doch mehr Zeit vergangen ist als er geglaubt hat. „Bleib ruhig, Freund. Es ist vieles noch beim alten und doch hat es Veränderungen gegeben. Ich weiß, wer du bist. Mein Frauchen stellt täglich frische Blumen an dein Bild dort drüben, und wir gehen sehr häufig zum Friedhof.“ Nun ist es Ondra, die sich einmischt: „Ich habe es immer für mich behalten, aber als Matthi so krank wurde, war es schnell beschlossen, dass wir Tiere abgeschafft werden müssen. So gingen Pina und Paula zu einer Züchterin, mit der Christin befreundet war. Da sich die Mädels nie vertrugen, blieb Pinta bei mir. Wir kamen zu Christins Schwester, Adele. Sie und ihr Mann, Bernd, hatten einen Sohn, der damals so etwa zwei Jahre alt war. Bernd war ein großer Fan von Autorennen. Wenn sie zu den Rennbahnen fuhren, ließen sie mich und den Kleinen bei dem Kindermädchen, das sie eingestellt hatten. Für den Jungen waren diese Touren noch nichts und ich habe das Autofahren nie wirklich vertragen. Deshalb blieben wir daheim. Adele hat Pinta immer gern mitgenommen. So musste sie nicht komplett auf uns Tiere verzichten, weil Pinta nie den Innenraum des Wagens beschmutzt hat. Ich musste jedes Mal kotzen. Auf der letzten Reise kam es zur Tragödie. Ein Lastwagenfahrer war während der Fahrt eingeschlafen. Sein Fahrzeug brach aus und drängte das Auto mit Adele, Bernd und Pinta von der Fahrbahn. Das Auto raste direkt in ein Brückengeländer, durchbrach es und stürzte in die Tiefe. Es überlebte niemand von ihnen. Es war natürlich sofort beschlossene Sache, dass das Kind von Bernd und Adele zu den Gruhns geholt wurde. Auch ich kam damit hierher zurück und der kleine Junge, der nun Vollwaise war, wurde mit der größten Selbstverständlichkeit von Christin und Tristan adoptiert“, schloss Ondra ihren Bericht. Pinta, die aufmerksam zugehört hatte, setzte sich nun zu dem großen Hund und fragte: „Wie bist du hierhergekommen?“ „Ach, das ist eine hässliche Geschichte. Ich bin angefahren worden und meine früheren Leute wollten mich einschläfern lassen. Ich bin hier operiert worden und man hat mich eben behalten. Es sind gute Menschen hier. Aber nun noch einmal zu euch. Geht doch mal auf die Terrasse. Ihr werdet überrascht sein.“
Auf der Terrasse stehen andere Möbel als früher. Es gibt einen riesigen Tisch, ganz viele verschiedene Stühle und Liegen und eine hölzerne Bank, auf der ein nicht mehr ganz junger Herr sitzt. Auf einer Liege schläft eine Dame. Überall stehen große und kleine, kurze und lange Kübel mit den verschiedensten bunten Blumen, die angenehm duften. Matthi lächelt. Die beiden Personen, die sich dort ausruhen, sind seine geliebten Eltern. Erst jetzt fällt Pfeffi auf, dass Matthias nicht mehr der kleine Junge ist. Er wirkt wie ein Jüngling, den ein strahlendes Licht umgibt. Auch er selbst hat sich verändert. Pfeffer ist längst nicht mehr der alte Hund. Ihm wurde Jugend zurückgegeben, sein Fell war nun schneeweiß und auch ihn umgibt dieses sonderbare Licht. Er schaut zu Ondra und Pinta, die eine ähnliche Verwandlung erfahren haben. Oder fällt dies auf der Erde nur besonders auf?
Tristan sitzt auf der Kante der Fläche der Bank. Er hat zwischen seinen Knien einen Wurzelstock mit silbernem Knauf. Auf diesem Knauf hat er seine Hände und darüber das Kinn gestützt. Er beobachtet die schlafende Christin. Matthias geht auf Christin wortlos zu und küsst ihr Haar. Sie öffnet die Augen und lächelt als ob sie die Berührung spüren könnte. Dann wandert ihr Blick zu ihrem Mann und sie legt ihre schlanke Hand auf die gefalteten Hände von Tristan. Die beiden verbindet immer noch ihre große Liebe und das gemeinsame Schicksal. Die Szene ist so rührend, dass alle in Stille verharren und in sich gekehrt dieses dargebotene Bild aufnehmen. In diese Idylle stolpert ein Mann hinein, der einen hellblauen Kittel und einen weißen Mundschutz trägt. In den Händen hält er jeweils einen rotbäckigen Apfel. Neben ihn taucht der große schwarze Hund auf: „Na Jan, alter Löwe. Alles in Ordnung? Haste auf meine Eltern auch aufgepasst?“ Der Mann riecht ein bisschen wie der Doktor von Matthi damals und doch völlig anders. Er geht