Eine von den Vermissten. Harry Peh. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Harry Peh
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742798886
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Woher sie überhaupt wisse, ob mein Leben überhaupt lebenswert ist? Ich meine das nicht seit Marias Tod, ich meine das vorher, schon lange davor, ja lebenslang.

      Ich mache eine Pause, lockere aber meinen Griff nicht ein bisschen. Dann kommt mir ein weiterer komischer Gedanke. Dass sie neidisch ist, ist klar. Neidisch und missgünstig, natürlich. Aber es kommt noch eines hinzu: Sie ist eifersüchtig. Sie ist eifersüchtig auf Maria und mein Mutterdasein. Nun, das hat sich ja jetzt erledigt. Aber sie ist auch eifersüchtig auf meinen Mann. Jawohl, auf meinen Mann. Für einen Augenblick bin ich ganz entsetzt. Eine Hand halte ich vor meinen Mund, um das Entsetzen zu verbergen. Henrike rührt sich keinen Millimeter. Ich packe sie erneut und fahre fort. Ob sie denn auch meinen Mann will und ob sie sich überhaupt vorstellen könnte, was für ein entsetzlicher Langweiler er ist. Und wie klein er eigentlich ist. Aber sie würden gewiss gut zusammenpassen, diese beiden Akademiker! Ob sie sich von ihm ficken lassen will? Oder ob sie solch verdorbene Gedanken aus pädagogischen Gründen gar nicht erst hegt? 'Hast Du Dich von ihm ficken lassen?' will ich von ihr wissen. Keine Antwort. Na ja, feige ist sie auch noch. War sie auch schon immer. Ich muss gehen. Henrike wird mit jeder zehntausendstel Sekunde erbärmlicher. Ich ertrage ihre Winzigkeit nicht mehr. Erneut wird mir schlecht. Aber außer einem halbmotivierten Aufstoßer kommt nichts heraus. Henrike hat ihren Kopf in beide Hände gelegt, aufgestützt auf dem Waschbecken. Sie regt sich nicht. Mein Gott, denke ich, was für ein bedauernswertes Etwas. Ich würde mich umbringen. Ja, ja. Beim Konstatieren eines so verlebten Lebens, mit allen Chancen und Möglichkeiten ausgestattet, und dann am Ende doch so jämmerlich versagt zu haben, würde mir den Rest geben. Ich klopfe ihr auf die Schulter. Beinahe väterlich und gut gemeint. 'Häng' Dich auf!' flüstere ich langsam in ihr Ohr. Ohne mich umzudrehen verlasse ich das Abort und lasse leise die Tür ins Schloß gleiten. Als mich mein Mann sieht, springt er hektisch von der Tischkante ab, an die er sich gelehnt hatte. 'Wo ist Henrike?' will er wissen. Ich deute mit einer Hand hinter mich. 'Sie ist unpässlich.' sage ich und gehe auf die Frau in grau zu ohne ihn anzusehen.

      5. Tag

      Natürlich hat der Appell nichts gebracht. Für mich stand das schon vorher fest. Ich habe mich trotzdem ziemlich verzweifelt angestellt. Weinkrämpfe, verzweifeltes Flehen an den Entführer, doch bitte meinem Kind nichts zu tun. Dass wir alles dafür tun würden. Et cetera. Et cetera. Das wollen die Leute doch sehen, oder? Die Medien schienen jedenfalls zufrieden. Sie hatten tolle Fotos, auf denen ich mich überhaupt nicht mehr wiedererkennen konnte. Sie hatten die verzweifelte Mutter, die sie sich vorgestellt hatten. Sie hatten ihre Story. Ihre Fragen waren die üblichen, unsere Antworten entsprechend. Was soll man auch groß erzählen?

      Auf der Rückfahrt war ich ein wenig böse auf mich. Ich ärgerte mich, nicht ich selbst gewesen zu sein. Ich hätte Ihnen durchaus sagen können, dass ich eintausend prozentig sicher bin, dass meine Tochter tot ist. Warum auch nicht? Aber das hätte ihre Anspruchshaltung erschüttert und erheblichen Anlaß zum Äußern moralischer Bedenken gegeben. Sie hätten mich als herzlos betrachtet, als Rabenmutter bestenfalls. Als kalte, emotionslose Geschäftsfrau. Die Intrigantesten unter ihnen hätten wahrscheinlich sogar gemutmaßt, wir oder ich hätten Maria selbst entführt. Heutzutage weiß man ja nie. Sie hätten wie üblich das Opfer zum Täter gemacht, nichts leichter als das. Sie hätten mich zur Bestie gestempelt. Am meisten hätten sie die Hoffnungslosigkeit bemängelt. 'Die Hoffnung stirbt zuletzt!' hatte Henrike immer gesagt. Wenn die Tochter zuerst stirbt, stirbt die Hoffnung mit ihr.

      6. Tag

      Der Morgen graut und ich knie auf dem Sofa, schaue hinaus und lausche dem Wind und den Tiergeräuschen, die ich nicht eindeutig zuordnen kann. Manchmal klingt das Pfeifen des Windes wie Stimmen oder Rufen. Ich kann nicht genau hören, wen er ruft oder was er meint, aber ich weiß, er will mit mir sprechen. Vielleicht will er mir zuflüstern, wo die Leiche meines Mädchens liegt. Aber ich kann ihn nicht verstehen. Gott ist wieder nicht zu mir gekommen.

      Die Hand meines Mannes legt sich auf meinen Hintern. Ich habe ihn gar nicht kommen hören. Seine zweite Hand legt sich an meinen Po und greift unter meinen Slip. Jetzt ist es soweit. Jetzt fordert er seinen Teil ein, meinen Teil des Deals, den ich ihm selbst angeboten habe. Bitte nein, ich möchte jetzt nicht. Ich möchte keinen Sex. Aber ich kann mich ihm auch nicht verweigern. Zwar bin ich doch zum Appell gegangen und trotzdem haben wir einen Deal. Jetzt muss ich meinen Part einlösen. Quid pro quo. Ich schließe jedes Jahr hunderte von Verträgen, also sehe ich sein Recht ein, ohne wenn und aber. Er hat mir den Slip bereits hinab gezogen, bis in die Kniekehlen und drückt meine Schenkel ein wenig auseinander. Wieder ist er schrecklich nervös und gierig. Er hat Angst, ich könnte in letzter Sekunde Zicken machen oder mich wehren. Ich bleibe gekniet ganz ruhig und versuche locker zu sein. Doch ich bin genauso verkrampft wie neulich im Bad. Er schmatzt und ich merke wie er sich den Daumen beleckt oder sogar bespuckt. Dann führt er ihn mir ein. Er drückt mir den ganzen Daumen rein. Mein Oberkörper drückt gegen die Sofalehne. Er reibt in mir herum, nimmt seinen Daumen heraus und versucht seinen Schwanz in mich reinzustecken. Der ist so hart und so groß, dass ich glaube, ihn so nicht zu kennen. Er schafft es nicht. Wieder wird er hektisch. Er packt meinen Hintern und drückt wie von Sinnen. Einmal versucht er mit der Hand meine Scheide zu öffnen und ihn reinzustecken. Auch dieser Versuch scheitert. Er lässt mich kurz los. Dann bemerke ich seine Zunge an meinen Lippen. Er leckt mich gierig. Seine Nasenspitze dringt in mich ein und sein Atem scheint mich aufzupumpen. Erneut packt er mich und setzt seinen Schwanz ruckartig in mich. Er ist ein wenig drin. Ich habe Schmerzen und gebe einen Laut von mir, den er irrtümlich als Zustimmung auffasst. Er ist jetzt ganz drin.

      Ich kann ihn nicht sehen, spüre aber, dass er glücklich ist. Er beginnt mich zu stoßen. Er wird schneller. Ich spüre immer noch seine Angst, ich könnte mich wehren oder ihn sonst irgendwie abwimmeln. Sein Atem wird spürbar lauter und unkontrollierter. Ich spüre nichts, muß mich aber festhalten. Ich habe Angst, er stößt mich samt dem Sofa um. Er stößt und stößt und stößt und stößt. Er ist sehr schnell und auch sehr hart. Ich kann mich nicht erinnern, wann er mich das letzte Mal derart gefickt hat und ob er es schon einmal so getan hat. Ich wünschte, er hätte es früher getan, als ich noch in der Lage war, Orgasmen zu bekommen. Jetzt stochert irgendwer mit irgendetwas wild in mir herum und ich hoffe, es ist bald vorbei, obwohl es mir auch irgendwie egal ist. Plötzlich röchelt er etwas und hört auf. Ich spüre seinen Schwanz nicht, weiß aber, dass er zuckt und ich mich jetzt auf keinen Fall bewegen soll. Es dauert länger als sonst. Dann fällt er halb auf meinen Rücken und röchelt erneut. Jetzt verstehe ich, was er sagt: Elise.

      7. Tag

      Meine Mutter ist gekommen. Wieder ist sie im unpassendsten Moment gekommen. Seitdem ich denken kann, kommt sie in den unpassendsten Momenten. Entweder weiß sie das nicht, begreift es nicht oder sie ist schlicht und einfach komplett unsensibel. Ja, das ist sie und das war sie immer. Vollkommen unsensibel. Alles konnte und wollte sie immer nur aus ihrer Position betrachten. Das hat meinen Vater auch fertiggemacht. Lange bevor es mich und meine Schwester fertiggemacht hat, hat es meinen Vater fertiggemacht. Zermürbt hat es ihn. Und umgebracht. Ich war und bin der Meinung, dass meine Mutter meinen Vater ins Grab gebracht hat. Zumindest teilweise. Gesagt habe ich ihr das nie. Aber jetzt würde ich es gern. Henrike hat mir diese Auffassung immer schwer übel genommen. Sie sagt, ich müsste auch mal Mamas Position sehen. 'Mamas Position'! Darum ging es doch immer. Immer und immerzu. Sie sei doch außerdem unsere Mutter, so Henrike. Ich erinnere mich, wie ich Henrike angeschrien habe, was das denn für ein schwachsinniges Argument sei, 'Sie ist doch unsere Mutter!' Als sei das ein Blankoscheck zum generellen Terrorisieren der Familie, eine Lizenz zur allgemeinen Menschenvernichtung!

      Jetzt sitzt sie da, meine Mutter, und weint und schluchzt, weil ihr Enkelkind tot ist. Sie weint, das ist ihr gutes Recht. Aber bitte schön nicht jetzt und nicht hier. Immer wieder bricht es aus ihr heraus, 'meine Enkelin' und 'meine Maria, armes Kind' Aber sie ist nicht nur ihr Enkelkind gewesen, sondern meine Tochter. Ich habe sie ausgetragen und geboren. Ich habe die Schmerzen erlitten, nicht sie. Ich habe bei Marias