Автор: | Ekkehard Wolf |
Издательство: | Bookwire |
Серия: | Krähe |
Жанр произведения: | Языкознание |
Год издания: | 0 |
isbn: | 9783847613701 |
Bruder meistens ein ganz klein bisschen schneller war, wenn es um die Verteilung ging. Aber Hungerleiden musste ich deswegen natürlich nie. Das war jetzt anders. Seit meinem unrühmlichen Abflug aus dem Nest hatte ich definitiv nichts mehr in den Magen bekommen und das war genauso definitiv nicht so schön. Die ständige Herumlauferei hatte es auch nicht besser gemacht und die Aufregung mit dem blöden Köter natürlich ebenfalls nicht. Dazu kam, dass weit und breit nichts in Sicht war, was nach etwas Essbarem aussah. Ich habe zwar mal hier und da herumgepickt, aber das Ergebnis war immer gleich. Nichts, niente, ne rien, nothing, nitschewo, wie auch immer. Aus meinem Versteck herausgetraut habe ich mich natürlich auch nicht, wegen des Köters eben. Also hieß es Kohldampf schieben. Irgendwann ist mir das dann auch zu langweilig geworden und ich habe versucht, wieder in den Garten meines Retters zu kommen. Das war auch leichter gesagt als getan. Schließlich hatte ich mich zwischen Hütte, Lärmschutzwand und Zaun so verheddert, dass ich nicht mehr weiter wusste. Ein Unglück kommt selten allein und das meinige näherte sich ausgerechnet in dem Moment in Gestalt eines anderen Vierbeiners. Das Viech war deutlich kleiner als der schwarze Hund, machte auch nicht soviel Radau wie der Hund und schaffte es trotzdem, mir einen gehörigen Schrecken einzujagen. Es näherte sich ganz langsam auf leisen Pfoten und war ganz offensichtlich ebenfalls hungrig. Wir hätten natürlich versuchen können, uns gegenseitig zu verspeisen, aber das schien mir offen gesagt nicht sehr verlockend, in keiner Weise. Also habe ich eigentlich nur versucht, mich klein zu machen. Aber das hat selbstverständlich nichts gebracht. Als nächstes habe ich darauf gehofft, dass die Frau mit dem Hund wieder auftaucht, und die Katze zurückpfeift. Aber die Frau kam nicht. Zum Glück wusste ich damals noch nicht, dass ausgerechnet Katzen nicht zu der Sorte von „Haustieren“ gehören, denen ihr Menschen versucht Gehorsam einzuimpfen. Dass das den Katzen im Vergleich zu den Hunden ziemlich viele Freiräume eröffnet, konnte ich damals ebenfalls noch nicht wissen, begann es aber mit jedem Schritt zu ahnen, den das braune Untier näher kam. Innerlich hatte ich schon mit meinem Leben abgeschlossen. Einen Moment lang habe ich immerhin überlegt, ob es Sinn machen könnte, mich mit dem fresslustigen Biest anzulegen. Noch bevor ich zu einer abschließenden Entscheidung in dieser Schlüsselfrage meiner Existenz gelangt war, wurde ich ihrer schon wieder entbunden. Mein Retter war wieder aufgetaucht. Wie aus dem Nichts, tauchte er plötzlich im Garten auf und inspizierte dort etwas, was ich nicht erkennen konnte, da ich ja immer noch eingeklemmt war zwischen dem Biokomposter, dem Gartenzaun, der Lärmschutzwand und der Hütte. Im gleichen Moment konnte ich aufatmen, denn ich hatte ein Problem weniger. Die blöde Katze hatte sich beim Auftauchen meines Retters unverzüglich verzogen. Die Sympathiewerte meines Retters stiegen schon in dem Moment nochmals deutlich, auch wenn ich noch nicht begriffen hatte, dass ich es war, wonach er suchte. Aber noch bevor ich dazu kam, mich mit einem deutlichen Krächzen bemerkbar zu machen, tauchte bereits das nächste Problem auf. Die Frau von Nebenan, die Frau mit dem Hund, die Frau, in deren Garten ich immer noch fest saß, diese Frau tauchte ebenfalls auf und dazu gleich auch noch deren Mann. Ich zog es vor, mich so klein zu machen, wie möglich. Schließlich war da ja auch noch der Hund. Der war zwar nicht wirklich da, dafür aber sehr präsent. Ganz anders die Nachbarsfrau. Die tat etwas, was mich in dieser Situation ein wenig verblüffte. Sie erzählte meinem Retter, dass ich mich in ihrem Garten verborgen hatte, dass ihr böser Köter versucht hatte, mich aufzufressen und ließ alles in allem keinen Zweifel daran, dass sie es sehr schön fände, wenn sich mein Retter etwas einfallen lassen könnte, um das Problem zu lösen – schließlich sei ich ja aus seinem Garten in ihren gekommen und schließlich konnte sie den armen Hund ja nicht den ganzen Tag einsperren. Was mit mir geschehen würde, wenn der Hund mich erst einmal wieder entdeckt hätte, das könne sich mein Retter ja wohl selber vorstellen. Er konnte sich das vorstellen. Was er sich aber nicht vorstellen konnte, war die Panik, die mich ergriff, als er mich endlich entdeckt hatte und nun versuchte, mich ausgerechnet wieder in die Richtung zu scheuchen, aus der ich vor Stunden bereits fast dem Hund unter die Zähne gekommen war. Ich fand die Idee nicht so gut. Also war die allgemeine Verwirrung vorprogrammiert, aber das wusste mein Retter natürlich nicht. Bevor er zur Tat schritt, machte er sich zudem daran, etwas aus seiner Wohnung zu holen, was er Käfig nannte und was dazu dienen sollte, mich davor zu bewahren von Hund und/oder Katze verspeist zu werden. Ich werde das nicht vergessen. Das war so ein seltsames blaues Gefäß mit vielen dünnen Streben. Sobald er dieses Teil in den Garten geschafft hatte, ging das Gezerre los. Mein Retter versuchte mich zu scheuchen, ich hatte nicht vor mich scheuchen zu lassen, flatterte wie wild mit den Flügeln – natürlich vergeblich – er versuchte mich zu greifen, geriet aber mit den Armen in die Stacheln des Stachelbeerstrauches, fluchte ein wenig zu laut und brachte mich dazu, vor Schreck tatsächlich dorthin zu flattern, wohin ich eigentlich gar nicht hin wollte. Im nächsten Moment steckte ich dann im hinteren Gartenzaun des Nachbarn fest. Hier erwischte mich endlich der Mann der Frau mit dem Hund und reichte mich an meinen Retter weiter, der mich ohne weiteres Federlesen in den Käfig entließ und mich mitsamt demselben an einen Ast seiner Gartenkiefer hängte. Ich war völlig geschafft, zugleich aber auch so erleichtert, der Gefahr entronnen zu sein und von meinem neuen Nest zugleich so verblüfft, dass ich zunächst einmal nicht wusste, was ich sagen sollte. Also verhielt ich mich vorläufig ruhig. Das blieb auch so, als mein Retter sich anschickte, mein neues Nest ein wenig häuslicher zu gestalten. Erst einmal dachte er wohl, dass ich durstig sei. Daher bekam ich eine Schale mit Wasser. Dann hatte er wohl das Gefühl, dass ich ein wenig mehr Überblick bräuchte und so bekam ich einen Ast, auf dem ich hocken konnte. Aber eigentlich hatte ich ja Hunger, aber keine Ahnung, ob meinem Retter mit dem einen roten Bein das auch klar war. Das war schon ein wenig eigenartig. Deshalb habe ich das gemacht, was ich bisher in solchen Fällen immer gemacht habe, nämlich den Schnabel auf. Mein Retter machte die ganze Zeit das, was man bei den Menschen in solchen Fällen zu tun pflegt. Er redete mir gut zu. Da man vom guten Zureden nun mal nicht satt wird, habe ich es schließlich vorgezogen, den Schnabel zu halten und meinen Retter mit traurigem Blick anzusehen. Da hat er ebenfalls die Klappe gehalten und mich, wie ich fand, sehr aufmerksam angesehen. Dann hat er den Käfig wieder aufgemacht, seine Hand hereingehalten, gewartet bis ich darauf geklettert bin und mich dann auf der Stange wieder abgesetzt. Ich habe das als Zeichen des guten Willens einfach mal mitgemacht, aber weiterhin traurig aus der Wäsche geschaut, den Schnabel aufgerissen und gehofft, dass er dann irgendwann mal darauf kommt, mir was zu fressen zu geben. Die Hoffnung ging zum Glück in Erfüllung. Das es so lange dauerte, hing mit unseren Kommunikationsproblemen zusammen. Mein Retter konnte meine Sprache noch nicht und ich verstand nicht seine Gesten. Heute weiß ich natürlich, dass er sich mit seinen merkwürdigen Handbewegungen zum Mund die ganze Zeit danach hat erkundigen wollen, ob ich schon fressen kann und ob ich Katzenfutter mag, etwas anderes hätte er nämlich nicht. Als ihn mein trauriger Blick endlich überzeugt hatte, dass probieren über studieren geht, fiel ihm ein, dass Vögel von ihren Eltern das Futter ja in den Schnabel gestopft bekommen. Mit seinen dicken Fingern ging das natürlich nicht und sein eigener Schnabel war dafür definitiv nicht gemacht. Also schnitzte er sich einen Schnabel in Form einer Gabel aus Holz. Auf diese Gabel spießte er kleine Fleischstückchen auf und hielt sie mir vor meinen Schnabel. Ja, stimmt schon, jetzt habe ich einen Augenblick gebraucht, um zu kapieren, wozu das gut sein sollte. Aber die Krähe ist ja lernfähig und folglich war mein Futterbedarf wenig später erst einmal gestillt. Die kommende Nacht habe ich dann im Käfig verbracht, hoch oben am Ast der Kiefer hängend, auf meinem Stock hockend. Hund und Katze konnten mich da mal und der Marder auch. Entsprechend ausgeruht habe ich am nächsten Morgen den Tag begonnen und mir mit meinem Krähen dann meinen Namen eingefangen: Krächts. An dieser Stelle sollte ich Sie vielleicht einmal darauf hinweisen, dass das kein Schreibfehler ist. In Wirklichkeit ist es nämlich nicht so, dass wir krächzen, sondern wir krächtsen tatsächlich. Natürlich war ich nicht die einzige Krähe im Lande. Kaum hatte sich die frohe Kunde von meiner Rettung in der Welt verbreitet, als meine Eltern mitsamt der gesamten Verwandtschaft kamen, um nach dem Rechten zu sehen, mich im Käfig entdeckten und es erst einmal nicht so recht glauben wollten, dass das so erst einmal in Ordnung war. Also wurde die Botschaft nach Krähenart unverzüglich verbreitet. Die Nachricht von der Neuigkeit und vor allem deren Umstände lockte natürlich Zaungäste an. Weniger freundlich ausgedrückt hätte man auch von Gaffern sprechen können, aber so etwas gibt es nur bei euch. Bei uns Krähen war die Versammlung tatsächlich allein Ausdruck echten Interesses. Das Ergebnis diskutierten wir dann ausgiebig untereinander, Zugegebenerweise auf Krähenart etwas lautstärker und von nun an wussten zunächst auch die Nachbarn meines Retters, dass in dessen Garten