Das Paradies ist zu Ende. Louis Lautr. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Louis Lautr
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742724182
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„Aufstehen, frühstücken.“ Ich duschte gerade als Esther ins Bad kam, in die Toilette pinkelte und danach mit mir duschte. Ich sagte: „Schade dass sie duschen, ich mag ihren Geruch.“ „War es schön mit Lindtraud?“ Ich antwortete: „So schön wie immer, ich mag sie sehr.“ Lindtraud stand unter der Türe, freute sich und meinte: „Ich dich auch.“ Gerda schaute uns an und fragte: „Kann ich euch schon Kaffee einschenken, oder soll ich noch warten? Es war die schönste Nacht in meinem Leben, ich werde wahrscheinlich nie mehr mit einem Mann schlafen.“

      Esther hatte sich angezogen und die Lippen leicht geschminkt. Sie hatte ein weinrotes Kostüm an mit einem engen Rock der hinten geschlitzt war. Dazu trug sie eine schwarze Bluse, schwarze Strümpfe und schwarze Schuhe mit hohen Absätzen. Um den Hals hatte sie eine Perlenkette. Ich sagte ganz spontan: „Madame sie sehen toll aus.“ Sie sagte das muss ich auch, wenn ich heute in der Kirche zu spät komme und alle mich sehen.“ Ich hatte von Hans, meinem Vetter, einen braunen Anzug mit einer langen Hose und einem beigen Hemd. Dazu die frisch geputzten braunen Halbschuhe, die mir Esther gekauft hatte. Meine Mutter sagte: „Wenn du schon mal in die katholische Kirche gehst, dann ziehst du deine schönsten Sachen an, damit die Leute nicht sehen, dass wir arm sind.“ Sie hatte mir für den heutigen Tag in einer Tasche die frisch gebügelte Kleidung mitgegeben. Lindtraud hatte sich ebenfalls hübsch angezogen. Sie hatte ein schwarzes Samtkleid an, das ihrer Schwester zu klein war. Das Kleid hatte einen weißen Kragen und schwarze Samtknöpfe auf dem Rücken, die ich ihr zuknöpfte. Gerda hatte ihre Schwester blonde Zöpfe geflochten, rote Haarmaschen eingebunden und ihr die silberne Halskette geliehen, die sie zur Konfirmation bekam. Der Tisch war gedeckt, es roch nach Kaffee und frischem Brot. Tina saß mit Gerda und Lindtraud am Tisch. Linde hatte das Brot im Backofen gewärmt. Dazu gab es eine gute Bauernbratwurst, die man kalt aufs Brot streichen konnte und Marmelade in allen Variationen, die Dr. Tina von Patienten geschenkt bekommen hatte. Nach dem Frühstück fuhren Lindtraud und ich mit Esther nach Larenbuch. Diesmal saß Linde neben Frau Kofer. Als wir in Larenbuch Angelika abholten, kam Frau Kranski ans Auto. Ich hörte, wie sie sich nochmals bedankte und sagte: „Liebe Frau Kofer, was sind sie für ein herzensguter Mensch. Ich weiß nicht, wie ich mich bei ihnen bedanken kann. Bitte melden sie sich, wenn ich jemals etwas für sie tun kann.“ Linde hatte sich neben mich nach hinten gesetzt, Angelika sagte beim Einsteigen zu uns: „Ich habe mich anfangs gefragt, warum eure Lehrerin das alles umsonst macht. Ich sagte damals, sie sehe nicht so aus, als wäre sie nur nette Frau. Ich habe mich getäuscht, sie ist wirklich unglaublich. Ohne sie, hätte ich nicht mehr gerne in eurem schönen Dorf gelebt.“ Frau Kofer stellte das Auto in der Nähe der Kirche ab. Wir blieben noch sitzen, denn Frau Kofer wollte unbedingt zu spät kommen. Die Glocken hörten auf zu läuten, es wurde still. Ich war aufgeregt und fragte: „Frau Kofer, sind sie ebenfalls aufgeregt?“ „Ja, natürlich“, sagte sie, „aber das weiß niemand. Wenn wir in die Kirche kommen, nehme ich Louis an der Hand und an der andern führe ich Angelika. Louis du nimmst Lindes Hand. Der Gang in der Kirche ist breit genug, wir können nebeneinander gehen. Lasst euch nicht anmerken, dass ihr aufgeregt seid, wir gehen durch die ganze Kirche, bis zur ersten Reihe, damit uns der Dekan lange sieht. Meine lieben Kinder, niemand sieht euch und mir unsere Aufregung an. Was ich euch jetzt sage, merkt ihr euch bitte für euer ganzes Leben, wenn ihr jemals Zivilcourage braucht und reden müsst, sprecht laut und deutlich, wenn ihr eine Sprechpause braucht, sagt nie äh, oder ähm. Verwendet die Pause um Menschen anzusehen, sucht euch eine nette Person aus und lächelt sie an. Das erhöht die Spannung und wirkt nicht unsicher. Beobachtet mal, wie unsicher ein Mensch wirkt, der immer wieder äh, oder ähm sagt.“ Ich lächelte, weil mir ein Pfarrer einfiel, der in seiner Predigt immer wieder äh sagte und weil mir seine Predigt langweilig war, zählte ich damals seine äh und ähm Worte. -In meinem späteren Leben dachte ich oft an den Satz meiner damaligen Lehrerin, ich suchte bei Vorträgen Schulungen und Meetings eine nette Person aus, die ich ansah, wenn ich Wasser trank und vermied die Füll- und Verlegenheitsworte ähm und äh.- Als wir zur schweren Kirchentüre reinkamen und die Türe hinter uns zufiel, drehten sich die Menschen um. Die große katholische Kirche war berstend voll. Die Werbung durch den Bürgermeister, seinen Büttel, den Ärzten und Schülern zeigte Wirkung. Es roch nach Weihrauch. Der Dekan hatte sein Gebet gesprochen und sagte mit seiner singenden Stimme, Amen. Es wurde still, man hörte nur noch die Absätze von Frau Kofers Schuhen die auf dem Steinboden klackten und in dem hohen Gemäuer der Kirche hallten. Jetzt wusste ich, wie Spießrutenlaufen war, denn so fühlte ich mich. Trotzdem ging ich aufrecht. An der Hand von Esther fühlte ich mich geborgen, ich drückte die Hand von Linde. Wie besprochen, setzten wir uns neben Herrn Lohrer in die erste Reihe. Der Vikar konnte uns nicht übersehen. Er stieg auf die Kanzel und predigte langweilig. Dann sah er in seine Kirchengemeinde und sagte: „Ich möchte mich bei einer Familie aus unserem Dorf entschuldigen, weil ich einem Gerücht aufsaß, das sich im Dorf verbreitet hat. Wie sich inzwischen herausstellte, war dieses Gerücht falsch. Deshalb möchte ich mich von dieser Stelle aus, entschuldigen und mit seiner Predigt fortfahren. Esther Kofer stand auf und ging die ersten beiden Stufen hoch. Sie blieb unterhalb der Altarstufe stehen, sie wusste, dass diese Stufe heilig war. Ich dachte, mich würde der Schlag treffen. Frau Kofer stand da, schaute mit ihren dunklen Augen in die Kirchengemeinde und sagte mit lauter und fester Stimme: „Ich habe noch nie in einer Kirche zu einer Gemeinde gesprochen, aber Gott ist mein Zeuge, ich kann nicht anders. Herr Dekan, dies reicht als Entschuldigung nicht aus. Sie als Mann der Kirche müssen das achte Gebot kennen, das da lautet, du sollst kein falsches Zeugnis reden, wider deinen Nächsten. Gott gebietet uns in dem Gebot, die Wahrheit zu sagen und Taten des Nächsten positiv auszulegen, damit ein vertrauensvolles Zusammenleben unter Menschen möglich ist. Eine Frau aus ihrer Gemeinde erzählte ihnen etwas von einem Mädchen und ihrem Sohn, weil die Mutter einen Rat von ihnen wollte. Leider hatte sie etwas missverstanden. Sie haben nicht geprüft, ob das, was die Frau ihnen im Vertrauen erzählte, die Wahrheit ist. Sie haben es ungeprüft von der Kanzel als Wahrheit verkündet. Durch Ihre Lüge hat sich dieses Gerücht wie ein Feuer verbreitet. Nicht die Mutter eines ihrer Gotteskinder hat dieses Gerücht in die Welt gesetzt, sondern sie. Sie gaben ihr auch keinen Rat, sondern sie haben sofort von Ihrer Kanzel ein Kind und dessen Familie verurteilt. Das Kind und dessen Familie hat unter ihrem Gerücht Schaden genommen. Sie haben eine Flüchtlingsfamilie für etwas verurteilt, das nicht gestimmt hat. Die Flüchtlingsfamilie hat ihre Heimat verloren und vielleicht sogar ihren Ehemann und Vater, der vermisst ist und hat bei uns in Larenbuch Schutz gesucht und eine neue Heimat gefunden. Unser Bürgermeister hat es zutiefst bedauert, was sie, Herr Dekan, dieser Familie und diesem Mädchen, durch ihre Lüge angetan haben. Was glauben sie, warum in diesem Gotteshaus heute so viele Gläubige sitzen, weil alle auf eine Entschuldigung für die Verbreitung ihrer Lügen warten. Ich schäme mich für ihre Kirche, in der ein Dekan Lügen über ein Kind verbreitet, das unseren Schutz verdient hat. Während sie in ihrer Kirche Gerüchte verbreiteten, hat unser Bürgermeister, den Flüchtlingen in Larenbuch eine Heimat geboten. Frau Kranski und ihre Tochter haben geweint, weil sie keine Möglichkeit fand, ihre Lügen richtig zu stellen. Ich hoffe, dass dies nicht das letzte Wort ihrer Entschuldigung war.“ Frau Kofer schaute sich nochmals um, ging an ihren Platz zurück und setzte sich. Es wurde beifällig gemurmelt. Der Bürgermeister, der nächstes Jahr wieder gewählt werden wollte, nutzte die Gunst der Stunde, stand auf, dankte Frau Kofer für ihren Mut und die Richtigstellung. Er sagte: „Wenn Frau Kofer, eine junge Lehrerin, sich nicht für die Wahrheit eingesetzt hätte, wäre einer Familie in seiner Gemeinde großes Unrecht geschehen. Ich hoffe, dass sie Herr Dekan jetzt die Worte finden, um ihr Unrecht an der Familie wieder gut zu machen.“ Als Frau Kofer sich hinsetzte, weinte Angelika und drückte Esthers Hand. Ich bewunderte meine Lehrerin, himmelte sie an und überlegte welchen Mut man braucht, um vor so vielen Menschen zu reden. Dem Dekan, der auf der Kanzel stand, waren anscheinend immer noch die Worte im Hals stecken geblieben. Herr Lohrer, der Rektor unsrer Schule, stand ebenfalls auf und sagte: „Ich als Rektor der Schule bin froh, dass dieses Gerücht, das aus dieser Kirche in unsere Schule getragen wurde, widerlegt werden konnte und dass beide Kinder um die es geht, sich wieder auf die Schule freuen. Ich möchte alle Eltern die heute hier sind, bitten es ihren Kindern zu erzählen, damit an unserer Schule wieder fröhliche und wissbegierige Kinder in den Klassen sitzen, die sich nicht mit dummen und verlogenen Gerüchten beschäftigen.“ Endlich sprach auch der Vikar wieder von der Kanzel, gab seine Verfehlung zu und bat die Familie um Verzeihung. Als wir aus der Kirche kamen, wartete Hartmut mit seiner