Nach der großen Pause wurde eine Wahlurne in Form einer Schuhschachtel aufgestellt. Frau Kofer verteilte Zettel mit folgende Namen: Alma Herold, Erhard Stauch, Klaus Mohrmann, Louis Lautr, Rosanna Friedrich. Frau Kofer hatte 39 Zettel geschrieben und sagte: „Alle Stimmzettel sehen gleich aus. Die Namen habe ich in alphabetischer Reihenfolge geschrieben. Bei einer geheimen Wahl ist es wichtig, dass man nicht erkennt, wer wie abgestimmt hat. Jetzt kommt jeder den ich aufrufe hier her und streicht alle Namen, die er nicht wählt durch, dann darf nur ein gültiger Name auf dem Zettel stehen. Den Zettel wirft er dann in die Wahlurne. Frau Kofer stellte sich neben die Türe. An ihrem Pult konnte man Namen durchstreichen. Sie rief ebenfalls in alphabetischer Reihenfolge ihre Schüler und Schülerinnen auf. Als alle Stimmzettel in der Urne waren, nannte sie zwei Beisitzer, Lindtraud und Dieter, er war Erhards Freund. Frau Kofer schrieb die fünf Namen an die Tafel und bat Lindtraud hinter jeden Namen, den sie lesen würde einen Strich zu machen. Frau Kofer sortierte die Stimmzettel und zählte sie mit den Beisitzern gemeinsam, es waren 39 Stimmzettel. Dieter reichte den Zettel an Frau Kofer. Sie las den Namen vor, der nicht gestrichen war. Ein Stimmzettel war durchgestrichen und wurde als ungültige Stimme bewertet. Am Schluss zählte Lindtraud die Striche und schrieb die Zahl dahinter, Frau Kofer zählte nach und Dieter rechnete die Gesamtzahl der Stimmen aus. Es waren 38 gültige Stimmen. Frau Kofer sagte: „Auf Rosanna entfielen 27 gültige Stimmen. Ich gratuliere dir, du hast eine verantwortungsvolle Aufgabe. Du bist Klassensprecherin und Streitschlichterin. Dich hat eine beeindruckende Mehrheit gewählt.“ Wie sich die andern Stimmen verteilten weiß ich nicht mehr. Frau Kofer fragte uns ob wir einen Stellvertreter wollten. Wir wollten keinen. Es war die erste geheime Wahl, an der ich teilnahm. Unsere Klasse war an unsrer Schule die erste, die ein Mädchen als Klassensprecherin wählte. Unsere Lehrerin war begeistert und sagte: „Ihr seid eine tolle Klasse. Ich denke, ihr könnt es noch erleben, dass wir eines Tages in Deutschland eine Bundeskanzlerin wählen. Eure Klasse ist der Zeit voraus. Bleibt neugierig und informiert euch, seid immer kritische Bürger.“ -Esther Kofer hatte recht, wir waren unserer Zeit 55 Jahre voraus, denn erst im Jahre 2005 wählten Deutschlands Bürger eine Bundeskanzlerin. Im Jahr 1950 bestand unser Parlament fast nur aus Männern. Ministerinnen gab es nicht. Adenauer regierte unser Land von 1949 bis 1963. Weder in Länderparlamenten, noch beim Bundesverfassungsgericht gab es Frauen.- Nach der Schule fragte Reinhild: „Darf ich mit Rosanna heute Nachmittag mit Hartmut und dir auf dem Holzplatz Eisenbahn spielen?“ Ich sagte: „Wenn Hartmuts Vater, keine Stämme bekam, können wir auf dem Holzplatz spielen, wenn ein Langholzfahrzeug Stämme gebracht hat, ist es zu gefährlich.“ Wir schauten unsere Hausaufgaben an und überlegten, dass wir gegen halb drei fertig wären und verabredeten uns. Ich fragte Hartmut, er freute sich. Als Rosanna und Reinhild kamen, stotterte Hartmut zunächst. Ich sagte den Mädels: „Wenn ihr so tut als wäre nichts dabei, dann verliert er sein Stottern, wenn ihn jemand darauf anspricht, stottert er noch mehr. Es war ein schöner Nachmittag, wir hatten mit den Rollwägelchen viel Spaß. Als Hartmut nicht mehr stotterte erklärte er den Mädchen das Sägewerk und war stolz darauf. Es hatte schon 1952 eine Gattersäge, die mit Wasserkraft und einer Turbine arbeitete. Das Wasser für die Gattersäge wurde durch einen Kanal vom nahen Bach abgeleitet. Die große Gattersäge lief mit einem Dieselmotor. Sie war leistungsfähiger und schneller. Die großen Stämme wurden mit dem Gatter, das vom Dieselmotor angetrieben wurde, verarbeitet. Wir schauten immer erstaunt zu, wie die Baumstämme zu Balken oder Bretter verarbeitet wurden. Die Mädels meinten, wir könnten Linde fragen. Wir fragten Frau Kofer, wann sie nach Hornfleeg fahren würde. Sie überlegte und sagte, wahrscheinlich gegen Abend. Linde fragte, ob sie bis zur Weggabelung mitfahren könne, weil sie gerne mit uns, beim Sägewerk von Hartmuts Vater, mit uns Eisenbahn spielen würde. Frau Kofer sagte: „Ich hole dich ab.“ Linde kam mit mir und aß bei uns zu Mittag. Als wir unsere Hausaufgaben fertig hatten, spielten wir Eisenbahn mit den Rollwägelchen. Hartmut und ich waren Lockführer und schoben die Wägelchen. Nach zwei Stunden waren wir ziemlich verschwitzt. Wir waren überrascht, als beim Sägewerk der Renault von Frau Kofer schon um halb vier hielt. Sie besuchte uns, sprach mit Hartmuts Vater und fragte: „Herr Poller, ich würde gerne mit meiner Klasse einen Lehrgang zu ihrem Sägewerk machen, um den Schülern ein Sägewerk zu erklären.“ Ich bemerkte, wie der Vater meines Freundes, stolz auf den Betrieb war. Er galt im Dorf als Schürzenjäger, ich sah, dass ihm unserer Lehrerin gefiel. Er sagte: „Am Samstag ist ein günstiger Tag, weil alle meine Arbeiter vormittags arbeiten, habe ich Zeit, den Kindern das Sägewerk zu zeigen und zu erklären. Es gehört allerdings meiner Schwägerin, ich werde sie informieren, sie hat sicher nichts dagegen.“ Hartmut war traurig, weil er nicht dabei sein konnte. Unsere nette Lehrerin fragte Hartmut, ob er in Herrn Lohrers Klasse ging. Als es Hartmut bejahte, sagte sie: „Ich frage Herrn Lohrer, ob er sich mit seiner Klasse unserem Lehrgang anschließt.“ Hartmut stotterte ein wenig und meinte: „Des dät mi so freue, wenn unser Klasse au mitgingt.“ Herr Poller zeigte unserer Lehrerin das Sägewerk und erklärte ihr wie die Gatter arbeiteten und wie die Sägen auf verschiedene Breiten eingestellt werden konnten. Frau Poller kam hinzu, es hieß damals, sie wäre sehr eifersüchtig, wahrscheinlich war es ihr nicht geheuer, dass ihr Mann mit unserer gutaussehenden Lehrerin durchs Sägewerk ging. Ich fand Frau Poller in ihrer Art sehr nett, äußerlich war sie eher hässlich. Frau Kofer bemerkte, warum Frau Poller kam und war besonders nett und freundlich zu ihr. Sie unterhielt sich noch eine Weile mit ihr. Dann fuhr Frau Kofer mit dem Rollwägelchen eine kleine Bahnstrecke mit uns und spendierte uns für ihre Zugreise fünfzig Pfennige, damit wir uns Brause kaufen konnten. Da Kinder in den fünfziger Jahren noch keine Uhren hatten, sagte sie: „Herr Poller, wenn sie um 18:00 Uhr Feierabend haben, schicken sie die Kinder bitte heim.“ Frau Kofer fuhr an diesem Mittwoch zu ihrer Freundin, sie nahm Linde mit und brachte sie nach Hause.
Frau Kofer hatte in der großen Pause mit Herrn Lohrer, der Klasse von Hartmut, gesprochen und sagte uns nach der Pause: „Wir machen am Samstag einen Lehrgang durch ein Sägewerk, es ist noch die Klasse unter uns und deren Lehrer, Herr Lohrer, dabei. Da ein Sägewerk sehr gefährlich ist, müsst ihr unbedingt an dem Tag sehr diszipliniert sein und nichts anfassen, ohne vorher zu fragen. Ihr müsst den Anweisungen von Herrn Lohrer oder mir unbedingt folgen. Falls ihr nicht gehorcht, ist dieser Lehrgang