Als der Herr Lehrer inständig seinen ausständigen zweimonatigen Lohn von Viktor Ertl verlangte, erklärte ihm dieser bedauernd, die Gemeinde hätte nun für ihn kein Geld, denn zuerst müsse ein Saubär gekauft werden, dieser Ankauf sei wichtiger. Denn jeder Bauer müsse seine Schweine zum Belegen zum Saubären bringen. Im gleichen Moment bat er den Herrn Lehrer freundschaftlich, sich mit dem von der Gemeinde zur Verfügung gestellten Lehrergrund, auf dem er sich Gemüse und das Futter für seine Schweine, Hühner, Hasen anbauen konnte, und mit dem Lehrerwald, wo er das Holz zum Heizen als Deputat (Teil seines Lohnes) bekam, sich zu gfretten (begnügen) und noch kurze Zeit über Wasser zu halten. Als Trost gab er dem Herrn Lehrer ein Stück Geselchtes und Speck mit.
Wie beschämend es für den Herrn Lehrer war, als Toni höhnisch zu lachen anfing ob dieser Absage.
Nie würde der Herr Lehrer das höhnische und beschämende Lachen von Toni Ertl vergessen. So sehr der Herr Lehrer Viktor Ertl schätzte, so sehr verachtete er seinen Sohn Toni Ertl. Schon als sein Schüler war Toni Ertl selbstbewusst, aufrührerisch, leicht zu beeinflussen, für jede Verlockung leicht zu haben und als Rädelsführer und Hitzkopf immer gerne im Mittelpunkt seiner Anhängerschaft gestanden. Für ihn war Toni überheblich, ein sich selbst überschätzendes Großmaul, dessen Noten und Intelligenz zu wünschen übrig ließen.
Wie oft ärgerte sich der Herr Lehrer über die hitzigen, dickköpfigen Grünschnabel im Dorf und wie oft hatte er enttäuscht und niedergeschlagen den Kopf geschüttelt, wenn er am Sonntagnachmittag zusehen musste, wie sich die zwei rivalisierenden Gruppen, nämlich die Hahnenschwanzler mit ihrem Anführer Toni Ertl, und die Sturmscharler im Dorf etablierten und vormals friedlich nebeneinander lebende, fleißige Nachbarbuben nun durch Hetze von gegenseitigem Hass zerfressen sich bekämpften und der Terror und die Radikalisierung im Dorf zunahmen. Wie oft blickten ihn seine ehemaligen Schüler aus höhnischen Augen an, welche sich von ihm unterschätzt und minderwertig behandelt und schlecht benotet fühlten und ihm nun selbstherrlich vorführen wollten, was aus ihnen, trotz seiner ewig gestrigen Verwarnungen, geworden war. Wie oft hatte er ihnen gepredigt, sich nicht blenden und von plumpen Versprechungen verführen zu lassen, es sei nicht alles Gold was glänzt, und ihnen unermüdlich eingetrichtert, sich zu vertragen, sich nicht verhetzen zu lassen, aus der Geschichte zu lernen, ihre Zeit sinnvoll einzusetzen, sich nie wieder gegenseitig zu bekämpfen, da sie alle Österreicher seien.
Resigniert musste er feststellen, dass seine Reden fruchtlos im Wind verhallten. Jeden Sonntagnachmittag marschierten die Hahnenschwanzler und die Sturmscharler singend, getrennt, die Hahnenschwanzler im Untertrum, die Sturmscharler im Obertrum des Dorfes, um sich auszuweichen, und hielten Paraden mit Musik und Fackelzügen ab. Dann kehrten sie meist im Gasthaus ein, wo sie nach einigem Alkoholgenuss sich verspotteten, rauften und blutig geschlagen heimkehrten.
Als am 25. 7. 1934 die Nationalsozialisten einen Putsch in Österreich versuchten, waren auch Toni Ertl und die anderen Mitglieder der dörflichen Hahnenschwanzler dabei. Und als Toni Ertl mit den anderen dörflichen Hahnenschwanzlern, welche gut organisiert waren und Sympathien für die NSDAP zeigten, mit etlichen Lastkraftwagen von mehreren Dörfern gesammelt nach Wien fuhren, um beim Putsch am 25. 7. 1934 in Wien dabei zu sein, am selben Tag mit zerdeptschen (ruinierten) Federn und Hüten nach Hause kamen und beklagten, dass sie nicht ahnen konnten, dass es Tote geben würde, und sie wie beim Mausnen (Federlassen der Hühner wenn sie keine Eier legten) die Federn lassen mussten, schalt der Herr Lehrer Toni Ertl und die anderen Hahnenschwanzler, sie sollten endlich begreifen, was sie mit ihrer Tätigkeit anrichten würden, und Ruhe geben.
Den zerdepschten Hut in der Hand, mit einer Schnittwunde im Gesicht, erklärte Toni Ertl deprimiert, er habe nicht gewollt, dass dieser Putsch derart enden würde und dass Engelbert Dollfuß, der die vaterländische Front am 21. 5. 1933 gegründet hatte, ums Leben kommen würde, während er seine sonnenverbrannte Haut betrachtete.
Dass Toni Ertl und die anderen Hahnenschwanzler nun derart deprimiert heimkamen, erfasste den Herrn Lehrer mit Genugtuung. Vielleicht haben sie nun ihr Lehrgeld bezahlt, einen Denkzettel erhalten und würden nun endlich gescheit werden, dachte er.
Niemals hätte der Herr Lehrer Viktor Ertl, mit dem er gerne beisammen war und gerne mit ihm diskutierte, auf seinen großkotzigen Sohn Toni angesprochen. Er wollte ihn nicht kränken.
Toni Ertl war, wie viele seiner Freunde und Anhänger bestrebt, das alte, arme Leben hinter sich zu lassen und sah einen Lichtblick für ein besseres Leben mit Arbeitsplätzen, Fortschritt, ohne Hunger und Armut, nur in der NSDAP.
Obwohl die NSDAP und alle ihr zugehörigen Institutionen in Österreich vom 19. 6. 1933–12. 3. 1938 verboten waren, arbeitete Toni mit anderen Anhängern der Partei im Untergrund weiter.
Karl kannte alle Geheimnisse von Toni, die er als Illegaler der NSADP hatte, denn so wie in den anderen kinderreichen Familien, wo die größeren Kinder im Winter im Stall und im Sommer im selbst gezimmerten Bett am Heuboden schliefen, zimmerten sich auch Toni und Karl gerne jedes Jahr im Frühjahr Betten für den Heustadel, damit sie vogelfrei waren. Aber auch, weil es im Haus zu wenig Platz für die vielen Kinder gab.
Wie oft schlich sich Toni abends, wenn es schon dunkel war, auf der Leiter vom Heuboden herunter, um unkontrolliert und unbeobachtet sich mit anderen Illegalen im Heimatdorf von Stefan Resner, dem Mann von Tante Mitzi, der jüngsten Schwester seiner Mutter, welcher ein paar Dörfer entfernt wohnte, zu treffen. Er musste einen langen Fußmarsch durch den Wald machen und traf sich dort mit den anderen Gleichgesinnten im Keller eines Gasthauses, wo die Uniformen der NSDAP bereit lagen.
Jedes Mal, wenn jemand Unbekannter sich verdächtig näherte, läutete ein Verbündeter oben im Gasthaus die Glocke, damit sie sich unten im Keller ruhig verhalten sollten.
Wie oft zitterte Karl, wenn Toni nachts vom Heustadl herunterstieg, sich mit anderen Illegalen, welche das Parteiabzeichen verstohlen unter dem Revers trugen, alle im Glauben an ein besseres Leben, traf, um an den verschiedensten Streuaktionen von Flugschriften oder selbst gebastelten Papierhakenkreuzen, Störung von Veranstaltungen und Beschmierungen von Häusern und öffentlichen Gebäuden mit Hakenkreuzen, teilzunehmen. Ihre Parole lautete: „Trotz Verbot nicht tot.“
Karl atmete jedes Mal erleichtert auf, wenn er frühmorgens beim ersten Hahnenschrei die Schritte von Toni hörte und die Leiter heraufsteigen sah. Dann war seine erste Frage an Toni, wie viele Illegale da waren, wer alles da war und was sie heute gemacht hätten.
Eines Morgens im Morgengrauen als Toni ganz verrußt und rauchig stank und angesengte Haare hatte, vertraute er seinem Bruder Karl an, dass er die Hütte des Schleifer-Hans, eines im Dorf im Zigeunerwald ansässigen Roma, als eine Art Mutprobe und zwecks Erfüllung der heimlichen Aufnahmebedingungen angezündet hätte. Obwohl die Flammen meterhoch waren, das Feuer weiter griff und die ganze Roma-Siedlung im Zigeunerwald abbrannte, was von weitem sichtbar war, läutete niemand im Dorf wie sonst bei einem Brand üblich das spezielle Glockengeläute als Alarmzeichen für die Feuerwehr.
Es kam keine Feuerwehr löschen. Hinter dem Gebüsch versteckt lauerte Toni und schaute schadenfroh zu, wie alle Roma-Kinder und Erwachsene schreiend barfuß mit den nötigsten Habseligkeiten wegliefen. Niemand leistete ihnen Hilfe oder gewährte ihnen Unterkunft im Dorf.
Die Roma-Männer versuchten den Brand zu löschen, allerdings ergebnislos. Es brannte die ganze Siedlung der Roma ab. Nachdem alle Hütten aus Holz waren, blieben nur die gemauerten Rauchfänge übrig.
Sogleich nach seinem Geständnis ließ Toni seinen Bruder Karl bei seinem Augenlicht schwören, ihn ja nicht zu verraten.
Aber es war gar nicht notwendig, dass Karl schwieg, denn am selben Tag war der Schleifer-Hans mit seiner Frau und seinen vielen Kindern weinend und schreiend, barfuß, in zerfetzten