Nur ein Tropfen Leben. Christina M. Kerpen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christina M. Kerpen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783847686248
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sie sich schließlich bereit, wenigstens den Handarbeitsunterricht sowie Mal- und Bastelstunden zu übernehmen, da sie der Meinung ist, dass auch dieses wichtige Fächer sind, nicht nur Lesen und Schreiben.

      Seit die rothaarige Lehrerin unterrichtet, sind alle Kinder morgens pünktlich und vollzählig in der Schule anwesend. Erstaunt und angenehm überrascht stellen die Eltern fest, dass morgendliches Bäuchleinweh und andere Unpässlichkeiten der Vergangenheit angehören und nicht wenige sind dankbar, dass ihre Kinder endlich Spaß am Lernen gefunden haben.

      Da Plumquartpinie nicht sonderlich groß ist, ist die junge Frau nicht nur wegen ihres geheimnisvollen Auftauchens, sondern auch wegen ihrer Freundlichkeit und ihrem scheinbar unerschöpflichen Wissen und ihrer Intelligenz dauerhaftes Gesprächsthema Nummer eins in dem kleinen Ort und sie ist sehr schnell bei jedermann beliebt, obwohl sie sich nach wie vor mit der Aura des Geheimnisvollen umgibt.

      In diesem Nest in Nevada wird ihr sogar mehr Zuneigung entgegengebracht als in Ebony Town, denn hier kommt keiner auf die Idee, in ihr eine Streunerin oder gar Schlimmeres zu sehen, ja noch nicht einmal eifersüchtige Ehefrauen fürchten um ihre Ehemänner, denn Carol scheint keinerlei Interesse an den männlichen Bewohnern zu zeigen.

      So dauert es auch gar nicht lange und schon kommen verlegen die ersten erwachsenen Bürger, die sie bitten, ihnen Privatunterricht im Klavierspiel zu erteilen und nachdem es sich herumgesprochen hat, dass sie neben Französisch und Spanisch auch die deutsche Sprache beherrscht, gibt es eine ganze Reihe von Lernwilligen, die auch von dieser Sprache etwas lernen möchten.

      Nach anfänglichen Bedenken ist ihr Tagesablauf angefüllt mit den diversen Stunden, die sie gibt und dafür erhält die junge Frau gutes Geld, obwohl sie sich gar nicht im Klaren darüber ist, ob sie sich angemessen entlohnen lässt oder ob sie den Menschen das Geld aus der Tasche zieht, denn sie bekommt wesentlich mehr, als sie jemals auf der Willow-Tree-Ranch erhalten hat und verliert schnell den Überblick über ihre Einkünfte. Allerdings staunt sie immer wieder, dass sie sogar über das vereinbarte Entgelt hinaus Summen zugesteckt bekommt, wenn eine Stunde besonders lernintensiv gewesen ist und kommt zu dem Schluss, dass es in Nevada offensichtlich recht viele wohlhabende Bürger zu geben schein. Dagegen ist die Bevölkerung von Wyoming geradezu als arm zu bezeichnen.

      Und nicht nur für Carols Vermögen bringen die vielen kleinen Jobs nur Gutes mit sich, nein, sie wirken auch dem Grübeln entgegen und Grübeln ist noch immer das Hauptproblem der jungen Frau. Allerdings grübelt sie mittlerweile nicht nur dem verlorenen Glück hinterher, nein, mittlerweile grübelt sie sogar über ihre Vermögensverhältnisse. Niemals hätte sie bei ihrer Flucht aus Wyoming gedacht, dass sie einmal so reich sein würde, dass sie Angst um ihr Geld hat. In Ebony Town würde sie sich jetzt an Gerrit Fisher wenden, den jungen Mann von der Bank, den sie als Mann zwar ein wenig verachtet, aber als Bankangestellten umso höher schätzt.

      An einem Mittag legt sie ihre Barschaft und einige alte Bankpapiere vor sich auf den Tisch und betrachtet sinnend die vielen Banknoten. Mit einem Ruck schiebt sie den Stuhl zurück, auf dem sie sich schwerfällig niedergelassen hatte, rafft Geld und Papiere zusammen, schüttelt Hefte, Stifte und Bastelkram aus ihrer großen Handtasche und stopft entschlossen alles Geld und ihre Papiere hinein. Ihr direkter Weg führt sie zu der kleinen Bankfiliale in Plumquartpinie. Als sie im Schalterraum steht und die Gitterstäbe sieht, hinter der der hiesige Bankangestellte seine Arbeit verrichtet wird es ihr wieder wehmütig ums Herz, denn dieser Raum unterscheidet sich in nichts von dem in Ebony Town. Sie wird nach ihren Wünschen gefragt und als sie ihr Begehr genannt hat, in einen anderen Raum gebracht, welcher von innen verschlossen ist und erst auf Klopfen und der Nennung des Grundes der Störung, geöffnet wird.

      Nach etwa einer Stunde verlässt sie die Bank wieder und ist ziemlich verwirrt, denn nachdem der Bankdirektor ihr Bargeld und ihre Papiere in Augenschein genommen und mit vielem „Hm“ und „Oh“ eine Kolonne Zahlen auf einem Zettel notiert hatte, war er so galant und fast unterwürfig freundlich, dass es Carol ganz unheimlich geworden war. Er hat sie als eine der reichsten Frauen der Stadt bezeichnet und Carol ist sich nicht sicher, ob er sie mit dieser Aussage irgendwie auf den Arm genommen hat. Sie wünschte sich Gerrit wäre jetzt hier und stellt wieder einmal fest, Ebony Town ist nicht so leicht aus dem Kopf zu bekommen.

      So viele Wochen ist Carol nun schon von der Willow-Tree-Ranch weg, aber sie ist einfach nicht in der Lage, die wunderschöne Zeit zu vergessen oder wenigstens ganz weit in den Hinterkopf zu verbannen. Immer wieder steht ihr Davids Bild vor Augen, sie sieht seinen ernsten Blick bei der Arbeit und dann wieder sein zärtliches Lächeln, wenn sie beide alleine waren. Dann ist die Sehnsucht jedes Mal so stark, dass sie weinen muss. Besonders schlimm ist es nachts, wenn ihre Augen in die Dunkelheit starren und sich ihre Gedanken in dem verlorenen Glück verirren. In diesen Momenten hält sie das Taschentuch, welches David ihr einmal nach einer verliebten Nacht gegeben hat, in den Händen, meint noch seinen Geruch darin zu verspüren und weint bittere, heiße Tränen. Wie konnte sie nur so dumm sein, alles in einigen schwachen Momenten zu zerstören, was ihr etwas bedeutet hat.

      Das sind die Augenblicke, in denen die meint sterben zu müssen, doch genau dann spürt sie das Kind, das schon sehr kraftvoll seine Arme und Beine bewegt, sie spürt ihren dicken, rundlichen Leib, der immer wieder an anderen Stellen kleine Beulen aufweist, wenn ein Füßchen, das Knie oder der Ellbogen des Babys nach Platz suchen und dann weiß sie, dass es sich lohnt für dieses Kind zu leben, für das Kind von David, das Kind, das der Beweis dafür ist, wie sehr sie beide sich geliebt haben. Sie wird für dieses kleine Menschlein alles in Kauf nehmen und ihrer beider Leben meistern, egal, was auf sie zukommen mag.

      Die bösen Geister der Nacht verflüchtigen sich allerdings jeden Morgen sofort, wenn sie aus dem Hotel auf die Straße tritt und sofort von einigen Kindern umringt wird. Dann vergisst sie schlagartig ihren Kummer, denn das Unterrichten macht ihr immer mehr Spaß und sie liebt „ihre“ Kinder von Tag zu Tag heftiger.

      Auch das abendliche Singen bereitet ihr nach wie vor viel Vergnügen und wird nie zu einer lästigen Pflichtübung, weil sie sehr gerne singt und merkt, dass sie allen Zuhörern damit Freude bereitet.

      Ist sie dann allerdings wieder alleine in ihrem Zimmer, spürt sie trotz aller Abwechslung und der Müdigkeit von der Arbeit, dass es ihr einfach nicht möglich ist, richtig glücklich zu werden.

      Sie vermisst einfach all die netten und ihr so vertrauten Menschen, die sauberen, einfachen Häuser von Ebony Town, die wunderschöne geliebte Landschaft von Wyoming und natürlich ihren Bruder, den sie nach so vielen Schwierigkeiten endlich gefunden hatte.

      Von ihrem Startkapital, welches sie sich bereits auf der Willow-Tree-Ranch erspart hatte, gibt sie in Plumquartpinie keinen einzigen Cent aus, denn mittlerweile verdient sie sehr gut, viel mehr, als sie selbst voller Übermut ausgeben kann.

      Sie leistet sich einiges an Garderobe, das eigentlich nicht notwendig wäre und legt sich sogar ein paar Schmuckstücke zu, ja sie erlaubt sich sogar den Luxus, nach Lust und Laune die Schneiderin aufzusuchen und sich für die zunehmende Leibesfülle immer wieder passende Kleider arbeiten zu lassen, anstatt auf Zuwachs, wie es Schwangere normalerweise zu tun pflegen.

      Dann kommt der Zeitpunkt, an dem sie nicht mehr nur für Unterkunft und Verpflegung singt, nein, sie bekommt einen richtigen Kontrakt mit fester Gehaltsvereinbarung, in dem festgehalten ist, dass sie für selbstkomponierte Lieder sogar noch einen Extrabonus erhält.

      Carols Tage sind also wirklich bis an den Rand ausgefüllt und man sollte glauben, sie hätte nun keine Zeit mehr zum Nachdenken, doch das ist nicht zu erreichen, ihr bleibt noch immer mehr als genug Zeit zum Grübeln und um mit sich und ihrem Schicksal zu hadern, obwohl es das Leben mehr als gut mit ihr meint.

      Eines Nachts plötzlich beginnt sie aus einer Eingebung heraus zu malen. Sie kann schon seit Wochen nicht mehr vernünftig schlafen und wälzt sich nur in ihrem Bett herum, weil die bösen Geister der Vergangenheit sie besuchen und ihr die Ruhe rauben, also greift sie zu Pinsel und Farbe und bannt auf Papier, wovon sie heimlich träumt und wonach sie sich von Herzen sehnt.

      Bislang hatte Carol keine Ahnung, dass sie malen kann, denn sie hat es niemals vorher ernsthaft versucht, aber nachdem sie sich ein wenig Technik angeeignet hat, werden ihre Bilder immer ansprechender und