Winger. Peter Schmidt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Schmidt
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847655589
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auf seinem Schreibtisch und setzte mich damit in den Sessel zurück.

      "Und den Rest haben Sie sich bloß zusammengereimt? Sie haben nur geblufft?"

      "Bisschen Poker ist im Zeitungsgewerbe nun mal das Salz in der Suppe."

      "Ganz schön durchtrieben, alle Achtung. Was ist mit Winger? Wer garantiert mir, dass er den Mund hält? Der haut doch jemanden schon für einen fleckigen alten Anzug zusammen oder weil ihm seine Krawatte nicht gefällt. Was, wenn ihm plötzlich einfiele, aus der Geschichte Kapital zu schlagen? Oder wenn Ihnen dasselbe einfallen würde, Gnädigste?"

      "Das Risiko müssen Sie einfach eingehen."

      "Hm", sagte er nachdenklich und stand steif und ungelenkig auf, um aus dem Fenster zu blicken. Ich war überzeugt, dass es da draußen nichts weiter als ein paar Garagen und kahle Backsteinwände zu entdecken gab, aber er sah so lange und angestrengt hinaus, als sei es mindestens die Bundesgartenschau oder der Stadtpark.

      "Aber Ihr Schweigen ist nicht ganz uneigennützig. So habe ich Sie eben doch verstanden?“, sagte er unerwartet heiter, als er sich wieder an den Schreibtisch setzte. Anscheinend war er zu dem Ergebnis gekommen, dass die Sache ganz gut für ihn lief, solange er sich Linda und mir gegenüber als Strahlemann zeigte.

      "Ich habe Ihnen schon gesagt, dass ich an einer Story arbeite", bestätigte Linda. "Und ich garantiere Ihnen, dass Sie bei der geringsten verwertbaren Information vollkommen von mir aus der Sache herausgehalten werden – unter Zeugen, nicht wahr, Winger?"

      "Wer würde einem Mädchen mit solchen Augen falsche Versprechungen unterstellen wollen", sagte ich.

      "Verwertbare Informationen ... aha", murmelte Eduardo. "Und woran hatten Sie dabei gedacht?"

      "Wenn ich sie schon hätte, müsste ich nicht danach fragen."

      "Ja, das ist richtig", bestätigte er und grinste so unergründlich zuvorkommend, wie es nur ein waschechter Orientale fertigbringt. "Wollen wir nicht hinüber in die Bar gehen und zusammen einen pechschwarzen kleinen Mokka trinken?"

      "Wenn Sie glauben, dass das Ihrem Gedächtnis auf die Sprünge helfen könnte?"

      Eduardos Bar war ein Spezialding hinter einer verspiegelten Wand am Ende einer Theke, die arglose Zeitgenossen für die eigentliche Bar halten. Er öffnete die Tür mit einem fünfeckigen Spezialschlüssel, und wir setzten uns in eine mattschwarz lackierte Nische mit wenig Licht halbschräg links von der Bühne, unter deren grellen Deckenscheinwerfern abends wahrscheinlich so ziemlich alles an kleinen Perversionen geboten wurde, was das abgestumpfte Herz eines männlichen Fußgängers in der Stadt wieder zu schnellerem Schlagen brachte.

      "Also gut", sagte er aufgekratzt, als der Mokka in kleinen nordafrikanischen Gläsern mit Goldrand serviert worden war. "Schließen wir so etwas wie einen ungeschriebenen Vertrag. Sie mischen sich nicht in meine Geschäfte ein und ich mich nicht in Ihre. Dafür sage ich Ihnen, was ich per Zufall über die Sache erfahren habe."

      "Einverstanden." Linda verschränkte die Arme und schlug ihre Beine übereinander. Doch in der dunklen Ecke kamen sie nicht so recht zur Geltung.

      Ich versuchte herauszufinden, was jetzt in ihrem Kopf vorging. Aber zwischen Innenleben des Kopfes und Gesichtsausdruck besteht manchmal bekanntlich eine nicht ganz unbeabsichtigte Diskrepanz. Wahrscheinlich war Linda stolz auf ihren Erfolg. Vermutlich war sie mit dem bisschen Grips, das wir gemeinhin der Durchschnittsfrau zubilligen, schon viel weiter gekommen als jeder Kerl in ihrer Situation. Aber Linda war nun mal keine Durchschnittsfrau. Jedenfalls nicht für mich – und wohl auch für keinen anderen Kerl, der Augen im Kopf hatte. Vielleicht brachte mich das an diesem blauen Vormittag zu der wehmütigen Erkenntnis, dass ich mir kaum Chancen bei ihr ausrechnen konnte. Und plötzlich fühlte ich mich alt und grau.

      "Rosa Vanessa", sagte Eduardo.

      "Das ist ihr Name?“, fragte Linda.

      "Haben Sie einen anderen erwartet?"

      "Nein, sollte ich ...?"

      "Rosa hat nur wenige Tage bei mir gearbeitet. Sie verstand sich nicht mit den anderen Mädchen. Sie sah sich als was Besonderes. War wohl aus dem Osten herübergekommen, um hier im goldenen Westen Karriere zu machen – Karriere mit ihrem schönen Körper, wie das Millionen Mädchen überall auf der Welt versuchen. Na, Rosa war schon ein besonderes Früchtchen, ein durchtriebenes Luder. Konnte sich aber genauso gut als große Dame oder als kleine Naive verkaufen."

      "Eine Freundin von ihr, ein Mädchen namens Tanja, sagte mir, Rosa sei Prostituierte?"

      "Was man so Freundin nennt. Eher Kollegin, würde ich sagen. Nein, ich glaube nicht, dass Rosa auf den Strich ging, nicht mal ausnahmsweise. Dafür war sie sich zu schade. Sie versuchte ihren Körper auf andere Weise an den Mann zu bringen, wie viele sogenannte ehrbare Frauen."

      "Und es dauerte nicht lange, bis sie damit Erfolg hatte?"

      "Irgendwann kam Robert Elmond hier hereingeschneit. Ich glaube, er wollte nichts weiter als einen Tomatensaft trinken. Rosa spielte sofort die große Dame für ihn. Das musste ihm mächtig imponiert haben. Ein paar Tage später warf sie ihren Job hin."

      "Sie selbst hatten oft Ärger mit Rosa?"

      "Na, sagen wir – sie duldete keinen anderen Herrn neben sich", sagte Eduardo nachdenklich. "Aber ich bin nun mal der Besitzer des Klubs."

      "Und Elmonds Frau?"

      "Ich nehme an, sie weiß nichts von Rosas Existenz."

      "Rosas Arbeitskollegin sagte mir, sie sei mit Elmond in ein Jagdhaus irgendwo in der Nähe von Frankfurt gezogen?"

      "Ja, mag schon sein. Elmond hatte seit langem ein ziemlich distanziertes Verhältnis zu seiner Frau. Frau Elmond handelt mit Kunst und Antiquitäten. Sie gingen sich aus dem Weg, wo immer es möglich war. Elmond war oft auf Reisen, das brachte seine Arbeit als Rechtsanwalt so mit sich."

      "Und was ist an dem Gerücht dran, er wolle sich noch ein zweites Mal für eine Kandidatur als Oberbürgermeister bewerben?

      "Ein paar Tage, nachdem er Rosa kennengelernt hatte, war er plötzlich wie verwandelt – ein anderer Mensch. Er sagte, es hätten sich ganz neue Perspektiven für ihn ergeben. Seine Chancen in der Politik seinen beträchtlich gestiegen."

      "Und worauf führten Sie diesen Sinneswandel zurück?“, fragte Linda.

      "Keine Ahnung – ich habe keinen Schimmer. Das müssen Sie mir einfach glauben. Elmond war nicht der Typ, der einem über ein paar beiläufige Bemerkungen hinaus viel anvertraute."

      "Ziemlich wenig für ein so schönes Haus, finden Sie nicht?"

      "Was kann ich Ihnen anderes sagen?" Eduardo hob bedauernd die Hände. "Oder warten Sie, da ist noch ein Punkt, der vielleicht von Interesse sein könnte ... Rosa war manchmal für ein paar Tage verschwunden."

      "Verreist, meinen Sie?"

      "Niemand wusste, wo sie sich aufhielt."

      "Und was steckt Ihrer Meinung nach dahinter?"

      "Keine Ahnung."

      "Verschwand Rosa auch, als sie mit Elmond zusammen war?"

      "Da auch, ja, für zwei bis drei Tage."

      "Fuhr Sie mit dem Zug oder mit dem eigenen Wagen?"

      "Sie sagte immer nur, sie müsse jetzt wieder für kurze Zeit verreisen. Aber sie käme bestimmt zurück."

      "Und Sie haben nie den kleinsten Hinweis darauf gefunden, wo sie stecken könnte?“, fragte Linda.

      "Irgendwann nahm ich den Anruf eines Reisebüros entgegen. Das Mädchen sagte, Rosas Verbindung sei wegen eines Fahrplanwechsels geändert worden. Aber ich erinnere mich nicht mehr genau, worum es dabei ging."

      "Sie erinnern sich nicht – wie bedauerlich für Sie, Eduardo."

      "Nun machen Sie aber mal einen Punkt", sagte Eduardo sichtlich beleidigt. "Wir haben einen klaren Vertrag miteinander geschlossen. Vertrauen gegen Vertrauen. Vielleicht