Eine amerikanische Kleinstadt signalisiert einem sofort, jemand könnte einem an der nächsten Straßenecke eine runterhauen, nur weil es ihm gerade so eingefallen ist, selbst wenn sie gepflegte kleine Vorgärten und sauber gestrichene Garagentore besitzt, und das hat etwas von ehrlichem Bekenntnis zur Gewalt. Die Bedrohung hängt wie eine große gut lesbare Ankündigung am klaren blauen Himmel.
In Frankfurt sehen selbst die Drogensüchtigen so aus, als seien sie auf dem Wege zur Gesprächstherapie, und dann rammen sie einem an der nächsten Telefonzelle wegen des Wechselgelds ein Messer in die Nieren.
Linda schien mich bei ihren mysteriösen Streifzügen genau in jene Etablissements zu schleppen, mit denen ich schon einmal auf unsanfte Art und Weise Bekanntschaft gemacht hatte.
Das Eduardo im Bahnhofsviertel war eine jener Bars der Größe und Weitläufigkeit, die an ein mittleres Spielkasino erinnern, obwohl sie von der Straßenseite aus eher bescheidene Maße hatte.
Kein dunkler Schlauch der alten Art mit Séparées und stromlinienförmigen Damen an der Theke, die auf ein Getränk eingeladen werden wollen, das nach Cognac aussieht, aber wie Tee schmeckt, sondern eine neue Erfindung, bei der man nie weiß, ob es sich nicht doch nur um eine Billardhalle oder Peepshow, einen Laden für Ehehygiene oder einen Spezialitätenimbiss handelt. Weil sie nämlich alles zugleich sind und es noch gar keinen Namen dafür gibt. Oder ob es eigentlich nur darum geht, den paar großen dunklen Hinterzimmern zur Hofseite eine undurchsichtige Fassade zu geben.
Meiner Meinung nach war Eduardo gar kein echter Portugiese, sondern stammte aus einem Dorf südlich von Casablanca. Aber ein marokkanischer Pass würde der Freizügigkeit in der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft empfindliche Grenzen setzen.
Sein Gesicht war alles andere als afrikanisch, was hätte ihn also daran hindern sollen, dieser Legitimation für den europäischen Markt durch geeignete Papiere nachzuhelfen? Portugiesische Pässe mit Beglaubigung der Behörden in Lissabon und einem amtlichen Auszug aus dem örtlichen Taufregister, der kostenlos beigefügt wird, kann man, wenn man in der Stadt die richtige Adresse kennt, für weniger als tausendfünfhundert bekommen.
Mit einer Einschränkung: Es dürfen keine Hunderter aus dem Farbkopierer sein, weil man die an derselben Stelle für dreißig Mark kaufen könnte. Das Geschäft würde sich sonst nicht rechnen.
Eduardos Geschäftsführer mochte mein Gesicht nicht. Eduardos Geschäftsführer mochte überhaupt keine Gesichter, wenn sie es darauf anlegten, ihre Nasenspitzen in Eduardos Hinterzimmer zu stecken. Aber das war nun einmal meine gottverdammte Aufgabe gewesen, nachdem ich darauf eingegangen war, für einen geschäftlichen Konkurrenten Eduardos nachzuweisen, dass Eduardo lieber schleunigst in sein Heimatdorf an der marokkanischen Atlantikküste zurückkehrte.
Eduardo hatte das gar nicht gefallen, seinem Geschäftsführer nicht und mir auch nicht. Darin waren wir uns alle einig gewesen. Soviel Einigkeit ist selten. Trotzdem hatte sie Eduardos Geschäftsführer Balwin ein paar Tage Bettruhe und Erholung eingetragen.
"Müssen wir wirklich ins Eduardo?“, fragte ich. "Sind Sie da sicher, Linda?"
Wir standen auf der Straße neben dem Eingang, und Linda trat ans Schaufenster und versuchte zwischen den grünen Vorhängen aus Plastikfolie einen Blick ins Innere des Lokals zu werfen.
"Sie war hier", sagte sie und wiegte nachdenklich den Kopf. "Das ist das letzte, was ich über sie herausbekommen habe."
"Wer war hier?"
"Das Mädchen vom Phantombild."
"Herzlichen Dank, dass Sie sich jede Silbe über den Fall einzeln entreißen lassen wollen, Linda. Das macht die Sache etwas spannender für mich. Mein Leben ist eine einzige Kette langweiliger Alltäglichkeiten, und da freut man sich doch über jeden kleinen Nervenkitzel, selbst wenn er aus nichts weiter als den Wortkrumen besteht, die beim Nachdenken aus Ihrem hübschen Mund fallen."
"Was haben Sie gerade gesagt?“, fragte Linda und sah mich entgeistert an.
"Schon gut. Versuchen Sie gar nicht erst, das in einfaches Alltagsdeutsch zu übersetzen."
"Sie mich auch ..." sagte sie erbost und stellte sich mit in die Hüfte gestemmten Armen vor mich hin. "Nun hören Sie mir mal gut zu, Winger. Ich zahle Ihnen hundertfünfzig am Tag, damit sie mich unterstützen und nicht weil ich scharf drauf wäre, dass Sie mir mit Ihren Kommentaren auf den Wecker gehen. Wenn Sie der Fall langweilt oder wenn Sie meine Methode in Zweifel ziehen, dann ..."
In diesem Augenblick flog die Schwingtür auf, und Balwin kam in seinem albern wippenden Gang heraus – albern wippend, weil er größer wirken wollte und hochhackige Schuhe mit schweren Absätzen trug, die mich immer an spanische Toreros erinnerten. Obwohl ich gar nicht sicher war, ob ein Torero damit in der Arena überhaupt eine Chance gehabt hätte. Er hielt zwei Aktenmappen unter dem Arm und in der rechten Hand eine schwere Ledertasche, als sei er Vertreter.
"Winger?" flüsterte er fast lautlos und sah mich ungläubig an. "Welcher Teufel reitet Sie denn, dass Sie sich immer noch in der Stadt aufhalten?"
"Hundertfünfundsiebzig", sagte ich an Linda gewandt. "Oder ist mein Kurs wegen meines kleinen Schwächeanfalls gestern Abend um fünfundzwanzig gefallen?"
Linda steuerte wortlos auf den Eingang zu und drückte mit den Fingerspitzen die rechte Hälfte der Schwingtür nach innen.
"Tut mir leid, das Lokal ist momentan geschlossen", sagte Balwin.
"Aber die Tür steht doch offen, oder?"
"Die Tür steht offen", bestätigte er. "Aber das Lokal ist geschlossen."
"Na schön, so was soll's geben", sagte Linda. "Was halten Sie davon, Winger?"
"Soll das heißen, ich bin wieder eingestellt?"
"Ich kann mich nicht erinnern, Sie rausgeworfen zu haben."
"Und was da eben wie 'hundertfünfzig' klang, gehört auch nur in den Bereich der akustischen Halluzinationen? Also unter diesen Umständen", sagte ich und schob die andere Hälfte der gläsernen Schwingtür nach innen, "würde ich meinen, dass Eduardos Betrieb nicht geschlossen sein kann, weil sich darin eine Menge Kunden aufhalten."
"Es ist geschlossen, weil ich es sage", erklärte Balwin.
"Jetzt, in diesem Augenblick?“, fragte Linda und sah auf ihre Armbanduhr. "Um zwanzig vor zwölf?"
"Meinetwegen auch um zwanzig nach zwölf. Wollen Sie mir deswegen Vorschriften machen?"
"Lieber Himmel, Balwin, hat Ihnen denn Eduardo immer noch nicht gesagt, dass ich jetzt sein bester Freund bin?" Mit diesen Worten ging ich einfach hinein, und Linda kam mir nach und ließ die Glastür genau in dem Augenblick vor Balwins Nasenspitze zufallen, als er mit seinen Mappen und der Ledertasche eine Kehrtwendung gemacht hatte, um uns zu folgen.
Ich steuerte schnell auf eine schmale Tür hinter der Theke zu, die wegen ihrer Scheibe aus Spiegelglas leicht als Eingang von Eduardos Büro zu erkennen war. Im Regal an der Rückwand stand ein auf Hochglanz poliertes Messingschild mit der Aufschrift: LIGA GEGEN AUSLÄNDERHASS – Sektion Frankfurt.
Als ich hinter der Theke stand, fragte mich ein dünnes Mädchen in rosa Leinenkleid mit Samtträgern, wohin ich wolle. Sie sah mich so aufmerksam an und klimperte so nervös mit ihren schwarz bewimperten Augenlidern, den schwach geschminkten Mund leicht geöffnet, als erwarte sie irgendeinen Zauberspruch von mir, der sie von der Pflicht erlöste, sich einem Kerl wie mir in den Weg zu werfen.
Ich murmelte etwas Unverständliches und deutete auf Balwin im Eingang. Dann schob ich Linda in Eduardos Büro und drehte hinter mir den Schlüssel im Schloss um.
Eduardo kam wie eine mächtige, erschreckende Masse Mensch hinter seinem Palisanderholzschreibtisch hoch. Ich hatte ihn nicht so groß und voluminös in Erinnerung, aber er war schon immer ein guter Esser gewesen. Er hielt etwas in der Hand, das wie dünnes, zerbrechliches Glas aussah